15 November 2013| Amajew Amir Dschabrailowitsch, Doktor der Technischen Wissenschaften, Professor für Atomphysik

Der Siebzehnte

Амир Амаев, фото 1942 г.

Amir Amajew, 1942.

Der Name „Amir“ bedeutet auf Arabisch „Gipfel“. Amir Amajew hat man mich genannt — zu Ehren eines Cousins meines Vaters. Wie es sich herausstellte, passt dieser Name zu mir. Ein Junge, der an den Hängen eines hohen Berges im kleinen Aul Untschukatl in Dagestan aufgewachsen ist, hat es in die luftigen Höhen der heimischen Wissenschaften geschafft. Der zukünftige beachtete Spezialist auf dem Gebiet der radioaktiven Rohstoffkunde hat sich als Freiwilliger für die Front gemeldet, wurde schwer verwundet und hat nur überlebt dank der Hilfe einfacher sowjetischer Menschen.

Im Februar 1942 ging ich trotzdem als Freiwilliger an die Front. Zuerst kam ich in die Infanterieschule von Machatschkala, die man nach Georgien evakuiert hatte. Dann in eine Militärschule, wo ich als Kommandeur zukünftige Offiziere ausbildete. Als die Deutschen Rostow am Don eingenommen hatten und sich zielstrebig auf Wladikawkas zubewegten, kam Berija in das Gebiet der Kampfhandlungen. Ihm war aufgetragen worden, den Feind unter allen Umständen nicht zum Öl des Kaspischen Meeres und zu den Reichtümern des Kaukasus zu lassen. Er hat den Befehl gegeben: alles zu geben, um den Feind vor Georgien zu stoppen.

Die Gefangenen wurden in das Gebiet von Stawropol gebracht. In der Siedlung Rog pferchte man uns, 17 Mann, in eine Scheune, wo wir unserem Schicksal entgegenharrten. Dieses sollte ohne Zweifel Tod durch Erschießen sein. Als man uns hinausführte, war ich der letzte und es gelang mir unbemerkt in eine benachbarte Scheune zu schlüpfen. Diese stand direkt daneben. Dort wurden Pferde gefüttert. Der gutherzige Stallknecht hatte keine Angst, mich im Futtertrog zu verstecken. Er überschüttete mich ganz mit Futter und ließ die Pferde zum Trog. Als die Deutschen alle Gefangenen zählten, bemerkten sie, dass einer fehlte und stürzten sich mit Drohgebärden auf den Stallknecht. Aber gefunden haben sie niemanden. Die Leichen der sechzehn Erschossenen haben sie dann in das Flüsschen Tschernaja geworfen. Der siebzehnte hätte ich sein sollen.

Die Deutschen haben dann bald das Dorf verlassen und der Stallknecht riet mir, mich in die Kosakensiedlung Soldatskaja aufzumachen. Der Dorfälteste von Rog war ein boshafter Mensch, er hätte Angst bekommen können, wenn er mich im Dorf belassen hätte. Doch sechs Kilometer Fußmarsch waren für mich eine unüberwindliche Strecke. Ich konnte mich nur unter großen Mühen auf den Beinen halten! Ich musste es also riskieren und im Dorf bleiben. Und wieder half mir eine gutherzige Frau. Ich klopfte an das Fenster des letzten Hauses im Ort und eine Frau ließ mich ein und machte mir ein Bett für die Nacht. Mir, der ich voller Läuse war und völlig verdreckt. Sie gab mir den Bademantel ihres Mannes, der auch an der Front war, und desinfizierte meine Kleidung.

Während der erbitterten Gefechte im Gebiet von Krasnodar wurde ich schwer verwundet. Am fünften Mai 1943 traf eine umherirrende Kugel auf die rechte Tasche meines Offiziersmantels. Dort hatte ich eine erbeutete Pistole mit zwanzig Patronen. Alle explodierten. Der Schmerz war furchtbar! Ich war überall von Blei durchlöchert. Das war in der Kosakensiedlung Neberdshajewskaja. Die Deutschen, die sich auf der anderen Seite des Flusses befanden, bewarfen mich mit Minen. Ich kroch in Stiefeln, die ganz voller Blut waren. Um mich herum gingen sechs Minen zu Boden und nicht eine einzige explodierte! Da ist kein Wunder passiert. Das waren sowjetische Kriegsgefangene, die dazu gezwungen wurden, für die Versorgung der faschistischen Truppen zu arbeiten. Sie haben die Sprengkörper einfach nicht geladen und Ausschuss produziert. Auch von dort bekamen wir Hilfe!

Ich wurde dann von Sanitätern aufgesammelt und in ein Hospital gebracht. Ich musste drei Operationen über mich ergehen lassen.

In Machatschkala hat mich der bekannte Professor Zanow, ein Schüler von Burdenko, operiert. Er hat mein Bein vom Knie bis zum Schritt unter lokaler Betäubung aufgeschnitten und dann gesagt: „Ja, so etwas habe ich in meiner chirurgischen Praxis noch nie gesehen!“ Er hat mich mehr als drei Stunden „gesäubert“. Doch mehr als fünfzig Granatsplitter sind im Bein geblieben, die ich immer mal wieder zu spüren bekomme. Nach diesem Vorfall war der Krieg für mich beendet. Nach einem halben Jahr an Krücken bin ich in mein Heimatdorf zurückgekehrt. Lange noch konnte ich mich weder auf ein Pferd setzen noch einen Berg besteigen.

 Uebersetzt von Henrik Hansen
www.deu.world-war.ru

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