Zoepfchens Tod
Schon einen Monat nach Kriegsbeginn fing man an, die Einwohner der Siedlung zum Bau von Luftschutzbunkern anzuhalten. Meistens machte man je einen fuer zwei Haeuser. Das Baumaterial — Bretter und Balken, schaffte man mit Transportfahrzeugen des Siedlungsrats heran. Die Einwohner mussten dazu nur in den naechsten Wald fahren, wo schon alles vorbereitet war, und beim Beladen und Abladen helfen. Unser Nachbar Boris Andrejevitsch Utkin erwies sich dabei als sehr tuechtig und hatte seine Bretter und Balken unversehens auf sein Grundstueck gefahren. Er war es auch, der Vater dazu ueberredete, den Bunker auf dessen Parzelle zu graben.
Der Luftschutzbunker war also einem Keller aehnlich, aber ziemlich eng und mit Abschraegungen zum Grund hin. Einige Balken laengs der Waende waren unten und oben mit Streben befestigt, damit sie nicht eingedrueckt wuerden. Das Dach schloss mit der Erdoberflaeche ab. Auf die Querbalken nagelte man fugenlos Bretter, deckte sie mit Ruberoid, sofern man welches hatte, und schuettete sie mit Erde bis auf das Niveau des umliegenden Terrains zu. Eine Erdtreppe fuehrte hinunter. Die Eingangstuer machte man nach Moeglichkeit aus massiven Brettern. Erwachsene mussten sich beugen, um einzutreten.
Mein Vater ging bei Alarm meist nicht in den Bombenkeller, obwohl er dem Nachbar bei den Arbeiten geholfen hatte. Er war der Meinung, dass eine Bombe sowohl auf das Haus, als auch auf den Bunker fallen kann, und der wird vor einer Bombe, die ihn direkt trifft oder in seiner Naehe faellt, nicht schuetzen. Mama weckte Vater gewoehnlich auf, wenn wir bei Alarm in den Keller gingen, aber der brummte dann nur: „Geh zum Teufel, lass mich doch schlafen!“ So war es auch dieses Mal. Nachdem uns Mama eilig in die schon am Vorabend bereitgelegten Maentel gesteckt hatte, damit wir im Bunker nicht froeren, nahm sie etwas zum Essen mit und wir brachen auf. Der juengere Bruder bettelte immer: „Ich will nicht, lasst mich zu Hause!“ Aber Mama war unerbittlich. So gingen wir in den Luftschutzkeller. Im Keller war es feucht und dunkel. Wir gingen tastend hinein — zuerst die Schwester, dann ich, und nach uns die Mutter mit dem Bruederchen. Unsere Bank war rechts. Uns gegenueber richteten sich unsere Nachbarn ein, die Utkins. Utkin selbst sass sich bei der Tuer. Er rauchte heimlich, den Zigarettenstummel im Aermel versteckend. Er beobachtete die Scheinwerfer und kam ins Innere, wenn die Flak zu schiessen begann. Er erzaehlte uns, wie die deutschen Flugzeuge uns beschossen und ob am Himmel unsere „kleinen Habichte“ [das Militaerflugzeug Jak-3 – M.P.] zu sehen waren. Wir fuehlten uns sicherer, wenn die kleinen Habichte da waren, denn wir glaubten, dass die Deutschen nicht gegen sie anfliegen und uns nicht bombardieren wuerden.
Die Habichte gaben einen hellen Ton von sich, der beim Steigflug noch hoeher wurde: „U-u-u-u-u-u-u…“. Die deutschen Bombenflugzeuge flogen mit einem stockenden tiefen Heulen, als waeren sie vom Flug muede: „U-u, u-u, u-u…“.
Unsere Flugabwehrgeschuetze waren in der Umgebung von Moskau stationiert. Die deutschen Flugzeuge umflogen Moskau vom Osten her. Nicht weit von unserer Siedlung, die sie eine Zeit lang ueberflogen, kehrten sie nach Westen, in Richtung Moskau um. Die Flugabwehrgeschuetze waren nach Osten gerichtet. Ihre Geschosse explodierten ueber den Haeusern, so dass die Splitter der Detonationen auf die Hausdaecher und Datschengrundstuecke niedergingen. Tagsueber sammelten wir Jungen die Splitter und tauschten sie untereinander. Jeder von uns besass irgendwelche Kupfersplitter mit Gewinden, Aluminiumsplitter mit Ziffern von ferngesteuerten Geraeten, oder einfache metallische Geschosssplitter. Je groesser ein Splitter war, desto mehr brachte er beim Tausch. Man fuerchtete die Splitter, und ging deshalb nicht waehrend des Beschusses auf die Strasse. Es wurde streng auf Verdunkelung geachtet. Die Einwohner mussten auf den Hausdaechern Wache halten, damit es nicht zu Braenden kam. Auf den Dachboeden wurden Metalltonnen und Troege mit Wasser aufgestellt. Die Einwohner bekamen Zangen mit den langen Griffen ausgeteilt, mit denen man die schwelenden Brandbomben greifen konnte, um sie unverzueglich in die Tonnen oder Troege mit Wasser zu buxieren. In jedem Haus gab es jemanden, der das tun musste und eigens dafuer geschult worden war. Man nahm das wirklich ernst.
Als wir noch keinen Bombenkeller besassen, fuhr die Mutter uns Kinder nach Moskau. Wir fuhren meistens frueh ab, gegen acht Uhr abends. Wir nahmen Plaids mit, dicke Winterdecken, und zogen uns warm an. Am Kursker Bahnhof angekommen, gingen wir in die U-Bahn. Die Metrozuege kehrten frueher als sonst in ihr Depot zurueck. Ganze Menschenmengen waren zu Fuss auf den Gleisen unterwegs auf der Suche nach einem Plaetzchen fuer die Nacht. Keiner wollte sich weit vom Bahnsteig entfernen, sondern sein Lager in dessen Naehe aufschlagen. Mama breitete Decken zwischen den Schwellen aus und bedeckte sie mit einem Maentelchen und kleinen Kissen fuer jeden von uns. Sie deckte uns zu und gab sich Muehe, uns durch Gespraeche moeglichst bald zum Einschlafen zu bringen. Es war kuehl, aber ruhig. Die ganze Nacht lang wurden wir nicht durch Alarmsirenen, das Schiessen der Flak oder Geschossexplosionen gestoert. So musste Mama immerhin nicht um unser Leben bangen. Das Licht im Tunnel wurde abgeblendet, es war halbdaemmerig. Nur ab und zu kamen Passanten vorbei und man konnte ruhig schlafen. Um fuenf Uhr morgens wurden wir durch Lautsprecher dazu aufgefordert, Bahnsteig und Tunnel so schnell wie moeglich zu verlassen. Mama weckte uns und packte eilig unsere Sachen zusammen. Es fiel schwer aufzustehen – doch die Leute um uns herum machten Laerm und entfernten sich schnell. Das Auftauchen der Strassenkehrer machte uns Beine, noch dazu mussten wir den ersten Vorortzug erreichen. Auf dem Bahnhofsplatz des Kursker Bahnhofs standen schon viele Menschen. Die einen kamen mit dem Zug an und eilten zur Arbeit, andere, wie wir auch, wollten so schnell wie moeglich fort. Mama fragte immer wieder: „Wie ist es da bei uns, zu Hause?“
Im Zug setzte Mutter unser Bruederchen auf den Schoss, drueckte es fest an sich, so dass es meist schnell einschlief. Ich und meine Schwester schiegten uns seitlich an Mama und schlummerten.
Vom Kursker Bahnhof nach Nikolskoje fuhr man fuenfundzwanzig bis dreissig Minuten. Im Vorbeifahren an den Vorortbahnhoefen sahen wir die abgebrannten Haeuser. Tschuchlinka, Kuskovo, Novogirejevo, das alles war nicht mehr als zehn bis fuenfzehn Kilometer vom Moskauer Stadtzentrum entfent. Immer wieder stellten wir uns unser Haus in Nikolskoje vor: War es nicht abgebrannt, wie diese Haeuser? In Nikolskoje stiegen wir schnell aus und rannten beihnahe nach Hause; sogar der juengste vierjaehrige Bruder weinte nicht, sondern lief mit uns.
Und da war das Haus. Heil! Wie freuten wir uns immer, dass unser Haus unversehrt geblieben war! Vater schlief gewoehnlich noch. Die Tuer stand immer offen. Als er aufgewacht war, sagte er immer: „Na, ihr Reisende, wart ihr wieder ausgiebig in der U-Bahn spazieren?“
Als ich und Julia im Ferienheim waren, fuhr manchmal mit meiner Mutter auch meine kleine Freundin, Zoepfchen genannt, mit ihrer Mutter nach Moskau. Genau wie mein Vater fuhr er nie mit, sondern blieb auf der Datscha. Er sagte, dass ihr Haus keine Bombe treffen wuerde und bewies das damit, dass ein Flugzeug nur zwei Bomben habe, wobei nur ein einziges Flugzeug Nikolskoje erreiche. In Nikolskoje gebe es knapp tausend Haeuser, und da werde keine dieser beiden Bomben gerade ihr Haus treffen. Aber meine Mutter mit dem Bruederchen und die Mutter von Zoepfchen fuhren oft zum Kursker Bahnhof nach Moskau, um in der U-Bahn zu uebernachten. Es war Sommer, die Kinder gingen nicht in die Schule, und so war es fuer sie nicht so anstrengend. Man konnte tagsueber schlafen.
Je naeher die Deutschen Moskau rueckten, desto haeufiger wurden die Luftangriffe. Einmal kamen wir nach Hause, als ploetzlich die Alarmsirenen aufheulten. Mutter schaffte gerade noch, uns in den Luftschutzbunker zu fuehren, als eine laute Denotation erfolgte. Es schien, dass das Haus der Utkins, das sich direkt hinter unserem Ruecken befand, zerbarst. Fast gleichzeitig wurde ich und alle, die auf der einen Seite des Kellers sassen, auf die gegenueberliegende geschleudert, und gleich darauf zurueck. Mir gegenueber sass Mutter. Sie erzaehlte spaeter, dass sie mit dem Hinterkopf an die Wand des Bunkers schlug, und dann warf es sie nach vorne, auf mich.
Maria Fjodorovna Utkina begann zu heulen und das Gebet „Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name“ zu beten. Wir waren noch gar nicht zu uns kommen, so hatte es uns nach der Explosion hin- und hergebeutelt. Maria Fjodorovna, die rechts von mir sass, ergriff meine Hand und befahl: „Wiederhole: Vater unser im Himmel, Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“. Ich sprach ihr gehorsam die Worte des Gebets nach. Nachdem sie es ganz mit mir aufgesagt hatte, befahl sie: „Nun bete selbst. Na…? Vater…Sprich weiter!“ Ich fuegte hinzu: „…unser“. Sie fuhr fort: „Der Du bist…“. Und wieder forderte se mich auf: „Sprich weiter!“ Ich sagte: „Im Himmel.“ So sprachen wir das ganze Gebet – zuerst sie, dann ich. Danach noetigte mich Maria Fjodorovna wieder und wieder, das ganze Gebet zu wiederholen, bis ich es von Anfang bis Ende auswendig konnte.
Die Nachbarin beruhigte sich. Mein vierjaehriges Bruederchen schluchzte auf, und unser Nachbar sprach meine Mutter an. Er sagte, die Explosion sei deswegen so stark gewesen, weil eine Bombe wahrscheinlich in der Naehe niedergegangen war, und noch dazu eine grosse. Wir koennten von Glueck sagen, dass sie nicht uns getroffen habe.
„Morgen werden wir alles erfahren“, sagte er letztlich. Mama und die Nachbarin konnten sich nicht genug wundern und dankten Gott, dass wir verschont geblieben waren.
Da heulten die Sirenen wieder auf. Das bedeutete das Ende des Alarms, die Gefahr war vorbei. Alle draengten in Scharen aus den Bombenkellern.
Es war Vollmondnacht auf dem Hof. Stille. Die Nachbarn Utkin gingen zu sich, ihr Haus war ganz in der Naehe, fuenfundzwanzig bis dreissig Meter entfernt. Wir gingen zu unserem Haus, das etwas weiter lag, vielleicht fuenfzig Meter.. Es war nicht weit von der dritten Strasse entfernt, rund vierhundert Meter.
Am Morgen verliess ich das Haus und fragte die Nachbarjungen, wo die Bombe explodiert sei. Man sagte mir, beim Laden in der dritten Strasse. Da wohnte meine Freundin. Beunruhigt brach ich dorthin auf. Aus der Ferne bemerkte ich schon eine Menschenmenge am Ende der Gasse, die unseren Hof mit der dritten Strasse verband. Ich ueberholte einige Leute, die in dieselbe Richtung gingen.
Als ich bei der Menge ankam, sah ich das Haus von Zoepfchen nicht. Da war weder das Haus, noch der Zaun, noch die Scheune, noch die Toilette, noch die Baeume, die um das Haus herum standen. Die Menschenmenge stand dichtgedraengt. Aufgerichtet konnte ich nicht durchkommen, deshalb bueckte ich mich und versuchte, mich zwischen den Leuten durchzuschlaengeln. Die Vordersten standen am Rande eines Granattrichters. Wenn zwei Erwachsene sich im Trichter aufeinander stellten, so blieben sie immer noch unter der Erdoberflaeche. Hausbalken, Ziegel, Bretter, Moebeltruemmer, Eimer und andere Haushaltsgegenstaende, entwurzelte Baeume lagen hinter der Menschenmenge, die den Granattrichter umstand, auf der Erde herum.
Am Rand des Granattrichters standen die Grosseltern von Zoepfchen und weinten. Sie erzaehlten, dass die Bombe mitten ins Haus traf, wo ihre Tochter mit ihrem Mann und der Enkelin schliefen. Ihr Luftschutzbunker war noch nicht fertig; es fehlte nur noch ein bisschen am Innenausbau und die Tuer musste eingehaengt werden. In jener Nacht war niemand in den Bunker gegangen, und nun waren alle umgekommen. Sie wurden in Stuecke zerrissen. Die Grossmutter schluchzte und jammerte: „Ihr meine Lieben, ihr meine Teuersten! Warum seid ihr denn nicht in den Keller gegangen? Wie sollen wir nur ohne euch weiterleben?“
Auch ich weinte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es mein liebes Zoepfchen, das immer laechelte und so gut und aufmerksam zu mir war, nicht mehr gibt. Sie hatte immer Mitleid mit allen. Einmal hatte ich eine Muecke totgeschlagen, die es sich mit Blut vollgesaugt auf ihrer Hand bequem gemacht hatte. Zoepfchen rief damals: „Zhenetschka, wozu hast du das Muecklein totgeschlagen? Es wollte doch leben! Stell dir mal vor, dass die Menschen alles totschlagen, was sie nur beisst! Wie werden wir dann ohne sie leben? Kein einziges Lebewesen darf man totschlagen, auch kein Mueckchen!“
Und jetzt war sie totgeschlagen worden! Ich weinte und wollte fort. Man wich mir aus. In den Augen vieler Menschen waren Traenen. Als ich mich aus der Menge herausgearbeitet hatte, sah ich mich unwillkuerlich um. Fuer einen Augenblick hielt mein Blick bei einem umgestuerzten Baum inne. Seine Wurzeln waren noch in der Erde, und der Stamm mit den Zweigen beugte sich nieder. Da schimmerte ploetzlich auf einem Zweigchen etwas Rotes. Ich lief zum Baum, um mir dieses Rote anzusehen, und… blieb entsetzt stehen. Auf dem Zweig hing ein Zoepfchen mit einer roten Schleife. Das war IHR Zoepfchen. Das war IHRE Schleife.
Ich erinnerte mich daran, wie ich sie einmal an ihrem Schleifchen gezogen habe. So sehr wollte ich an ihr ziehen! Damals habe ich lange IHR Gesichtchen angeschaut, ihren ueber ein Buch geneigten Kopf. Sie gefiel mir so gut!
Im Profil war ihre Nase klein und etwas abgeplattet. Die Brauen waren dunkel und der Mund klein. Ihre Wangen waren leicht geroetet. Sie las das Lehrbuch ganz aufmerksam und fluesterte das Gelesene leise. Mir schenkte sie dabei keinerlei Aufmerksamkeit. Das konnte ich nicht ertragen und zupfte sie an ihrem Zoepfchen mit dem roten Schleifchen. Sie wandte sich unvermittelt in einer Halbkehrung nach mir um. Sie hatte ein wunderschoenes Gesicht, und fragte: „Zhenetschka, was ist los?“ Da laechelte sie und zeigte ihre spaerlichen Zaehne. Ihre Augen leuchteten irgendwie auf besondere Weise. Die Wangen waren von Gruebchen gezeichnet. Sie strahlte gleichsam von innen her und war so bezaubernd! „Was ist los?“, wiederholte sie ihre Frage. Ich konnte nicht mehr, ich erroetete, beugte mich zum Tisch und murmelte vor mich hin: „Nur so“.
Sie sah mich weiter pruefend an, dann kicherte sie und sagte mit heller Stimme: „Mein lieber Zhenetschka, wie gut du bist!“ Und dann streichelte sie mit ihrer Rechten meine Hand, mit der ich sie eben am Zoepfchen gezogen hatte.
Danach beruehrte ich ihr Zoepfchen nie wieder, obwohl ich es mich sehr reizte. Einige Male machten das andere Jungen meiner Klasse, und sogar der naechsthoeheren. Wenn ich dabei war, fing ich immer an mit ihnen zu raufen. Noch dazu schlug ich dem immer gleich ins Gesicht, der es wagte, sie am Zoepfchen zu ziehen. Das war mein Zoepfchen und ich glaubte, dass nur ich es beruehren duerfe und die anderen kein Recht dazu haetten. Und jetzt haengt das Zoepfchen mit dem roten Schleifchen auf dem Zweigchen. Das war eben dasjenige Zoepfchen, an dem ich sie damals gezupft hatte. Ich erinnerte mich an ihr Laecheln, ihren Blick und heulte noch staerker.
Man wurde auf mich aufmerksam. Ich kletterte auf den Baumstamm. Die Wurzel begann zu schaukeln, der Stamm zu zittern, und bog sich bei jedem Schritt durch. Ich konnte fallen, der Baum umstuerzen, aber ich kletterte hartnaeckig zu dem Ast, an dem das Zoepfchen hing.
Die Menschenmenge kam zum Baum und umkreiste ihn. Bei jeder Bewegung hoerte ich die Menschen seufzen und aufatmen. Man beschwor mich: „Junge, klettere nicht weiter, du faellst herunter! Junge… Junge, bleib wo du bist!“ Aber ich kletterte weiter und wollte nur noch das Zoepfchen bekommen, was es auch koste!
Da war schon der Ast, an dessen Zweig das Zoepfchen hing. Obwohl es vom Stamm bis zum Zweig nicht weit war, konnte ich ihn trotzdem nicht erreichen. Der Ast bog sich nieder, wenn ich auf ihn trat. Mir schien, dass ich das Zoepfchen schon ergriffen hatte. Unter mir standen Leute, die bereit waren mich aufzufangen, wenn ich fallen wuerde. Und wieder Ausrufe: „Junge, klettere nicht weiter, du wirst herunterfallen!“ Und da war Grossmutters Stimme. Und die Stimme ihres Grossvaters. Ich erkannte diese Stimmen, sie nannten mich beim Namen: „Zhenja, sei vorsichtig! Zhenja, fall nicht runter!“
Zu den nach mir ausgestreckten Haenden der Menschen, die da unten standen, waren es nicht weniger als zwei, drei Menschenlaengen. Ich sah die Schliefe und das Zoepfchen und war wie besessen, so sehr wollte ich ihr Zoepfchen kriegen – mein Zoepfchen!
Ich weiss nicht, was es war. Aber ich verstand, dass ich das Zoepfchen mit der Hand nicht erreichen werde. Das Zoepfchen war so nah, und doch konnte ich es nicht fassen. Der Ast bog sich herunter, er knarrte sogar. Leicht konnte er abbrechen, und dann wuerden wir zusammen fallen. Was sollte ich tun? Ich sprang vom Stamm zum Ast, auf dem mein Zoepfchen hing. Ich griff das Zoepfchen, ich hatte es. Es war bei mir! Ihr Zoepfchen, mein Zoepfchen!
Unten ertoenten Schreie, Rufe. Ich fiel herunter, hielt aber das Zoepfchen in der Hand. Man fing mich unten auf und liess mich auf die Erde hinunter. Da heulte ich auf, laut und stark. Mir standen Traenen in den Augen, als ich zum ersten Mal sagte: „Tanjetschka, meine Liebe, wie liebe ich dich!“ Ich schwenkte das Zoepfchen, von meiner Hand umklammert, und schrie laut, zum Himmel aufblickend: „Warum habt ihr meine Tanjetschka getoetet? Warum? Halunken seid ihr, Halunken! Faschisten! Ich hasse euch! Ich werde euch auch toeten!“
So heulte ich, auch die Menschen um mich herum weinten. Tanjas Grossmutter kam zu mir, setzte sich hin und bat: „Zhenja, mein Lieber, gib mir Tanjas Zoepfchen! Mir und Opa zum Andenken“. Ich weinte und wollte das Zoepfchen nicht hergeben: „Nein, das ist mein Zoepfchen, mein Zoepfchen fuer’s ganze Leben. Ich werde mit dem Zoepfchen kaempfen und die Faschisten schlagen“.
Dennoch gab ich dann Tanjas Zoepfchen ihren Grosseltern.