10 August 2014| Scheljachowskaja (Gruzdewa) Maria Alexandrowna

Ein ungerechter Brief

1943, 4. August (von S. I. Gruzdewa an die Front) Nr. 18

Jetzt arbeite ich in der Kolchose, wir bringen gerade die Ernte ein. Vorher war ich bei der Heumahd. Ich bin um 3 oder um halb 4 aufgestanden und habe dann erst am Mittag für ein Stündchen geruht. Am Abend bin ich dann erst gegen 8 nach Hause zurückgekehrt. Ich habe den Kolchosbäuerinnen aber in Nichts nachgestanden.  Ich bin Reihe für Reihe mit ihnen immer auf einer Höhe geblieben und wir habe das Heu von der Wiese geholt. Sie hatten es von mir so nicht erwartet. Wie es jedoch meinen Schultern und meinem Rücken dabei erging, kannst du dir sicher gut vorstellen, auch ohne dass ich es dir beschreibe. Jeden Tag bekam ich in der Kolchose 400 Gramm Brot zusätzlich zu der vorgeschriebenen Lebensmittelration. Du kannst also sicher sein, dass Natascha und ich genügend Brot haben. Gestern habe ich mich krank gefühlt. Ich hatte große Hitzeschübe und starke Kopfschmerzen. Heute ist es aber so gut wie vergessen. Ich habe heute bereits von 8 Uhr bis 11 Uhr bei der Ernte geholfen. Jetzt ist es 12 Uhr und ich schreibe dir und ruhe mich dabei etwas aus. Gegen 2 Uhr gehe ich dann wieder aufs Feld. Das Mittagessen kocht Rida für uns. Sie bringt auch Natascha in den Kindergarten, wofür ich ihr sehr dankbar bin.

Du fragst: Ob es nicht auch ohne all dem geht? Das ist leider überhaupt nicht möglich, denn wer soll die gesamte Arbeit machen? Die gesündeste von allen 30 Lehrerinnen hier bin ich und vielleicht auch noch zwei andere.

Unsere Kartoffeln sind gut angewachsen. Einige Male habe ich schon welche davon gekocht. Einige Gurken für Natascha habe ich aus dem Schulgarten gekauft. Außerdem trinken wir jeden Tag regelmäßig 3 Gläser Milch.

In der letzten Zeit geht es uns gut. Nur die Arbeit ist sehr anstrengend. Doch der Krieg wird ja wohl eines Tages zu Ende sein.

Alexander Iwanowitsch Gruzdew und Sofia Iwanowna Gruzdewa.

1943, 8. August (von S.I. Gruzdewa an die Front) Nr. 19

Mein lieber Saschenka! Ach wie wohl es uns tut, dass Natascha und ich so oft deine kleinen Briefe bekommen. Es wärmt uns immer das Herz! Nun sind es schon Jahre, die wir uns nicht mehr gesehen haben und wer weiß, was uns noch bevorsteht. Du machst dir Sorgen, dass du zu spät kommst, um mit in Europa einzuziehen. Ich dagegen mache mir Sorgen, ob wir noch für 2 Jahre genügend Kleidung haben werden. Für Natascha haben wir kein einziges Kleid mehr für den nächsten Sommer — sie ist aus allen herausgewachsen.

Dem Winter sehe ich mit größerer Besorgnis entgegen, als in den vergangenen Jahren, denn ich werde hier allein sein in dieser Einöde. Ich habe mich von Valja getrennt und sie in der Stadt untergebracht. Ich selber habe nur ein kleines Stück Land mit Kartoffeln. Außerdem habe ich jetzt auch kein Geld. So konnte ich auch nichts kaufen. Manchmal gehe ich zum Pilze sammeln in den Wald. Bald wird der ganze Wald voller Pilze sein und ich werde dann öfter gehen. Wir sind im Ganzen aber gesund. Ich fühle mich nur oft erschöpft. Aber anders geht es eben nicht.

1943, 9. August (von A. I. Gruzdjew an S.I Gruzdjewa in Totma) Nr. 33

 Aus deinen Briefen kann ich herauslesen, dass du recht viel arbeitest. Wir können eben nicht ohne Arbeit leben. Unter deinen Umständen jedoch musst du dich stündlich darum bemühen, deinem Organismus etwas Ruhe und Erholung zu gönnen, gerade auch weil die Verpflegung bei euch nicht die beste ist.

Aber wie soll man die Tatsache arbeiten zu müssen und die Notwendigkeit, Zeit zum Ausruhen zu haben, unter einen Hut bekommen? Bei all der Verschiedenheit der Arbeit, die du machst (ich rede gar nicht von der schweren und nicht einfachen Arbeit zu Hause) musst du mit so viel verschiedenen Dingen zurechtkommen, also —  wie man so sagt- den richtigen Blick für alles haben.  Es ist notwendig, alle die Dinge, die zu tun sind, in verschiedene Kategorien einzuteilen: 1. wichtige Dinge, die hauptsächlichen also, die unbedingt mit aller Sorgfalt und möglichem Fleiß abzuarbeiten sind. 2. Dinge, die weniger wichtig sind, die nur bei äußerster Notwendigkeit auch zu erledigen sind und 3. Dinge, die überhaupt nicht wichtig sind, Kleinigkeiten also (von denen gibt es manchmal sehr viele). Von ihnen muss man sich mit höflicher Absage freimachen können. Wenn dies aber nicht gelingt, sollte man sie mit dem geringstmöglichen Aufwand an Kraft und Zeit verrichten. Du verstehst dies alle sehr gut, doch du solltest daran immer denken und dich von dieser Maxime leiten lassen.

Du, mein liebes „Krümelchen“, bist ein sehr kluger Mensch. Das habe ich sofort begriffen, also ich dir das erste Mal begegnet bin. Das ist nun schon so lange her — wie in einem anderen, goldenen Zeitalter. Später konnte ich mich dann mit jedem Jahr unseres Zusammenlebens immer mehr davon überzeugen. Ich sage dies deshalb, weil Klugheit eine Kraft ist und jegliche Kraft, wenn sie nicht auf die sinnlose Zerstörung von humanitären Werten und dem Leben selbst gerichtet ist, Respekt verdient.

Habe also deshalb Hochachtung vor dir selbst und fordere sie auch von anderen dir gegenüber.

1943, 14 August (von S.I. Gruzdjewa an die Front) Nr. 21

Sascha, mein lieber Saschenka! Du hast mich darum gebeten, dir sofort zu schreiben, wenn ein unabwendbares Unheil geschieht. Trotzdem habe ich mich zwei Tage lang nicht dazu entschließen können. Folgendes Unglück ist also passiert: Ich wurde zum Direktor einer der größten Schulen hier ernannt. Es ist fast eine Realschule[1]. Sie liegt in der Stadt und an ihr unterrichten 21 Lehrer 500 Schüler. (Ich sehe vor mir, wie dir nun, nachdem du die ersten 3 Zeilen gelesen hast, ein Stein vom Herzen gefallen ist, doch wenn du dich in meine Lage hineindenkst, dann wirst du meine trostlose Lage verstehen). Ich habe die Stelle natürlich abgelehnt. Doch alle meine Argumente wurden für unwichtig befunden. Das Gespräch mit dem Vorsitzenden des Amtes für Volksbildung im Kreis musste ich mit einem Sprichwort beenden, das ich immer wieder heranziehe: „Ach wie schön ist es zu reisen, sagte der Papagei, als der Kater ihn am Schwanz aus dem Käfig zog“. Die Schule habe ich noch nicht übernommen, aber ich habe schon angefangen zu arbeiten. Ich habe mich zu einer ersten Versammlung mit den Lehrern getroffen und den morgigen sonntäglichen Arbeitseinsatz an der Schule organisiert. Es ist mir fast gelungen Nägel aufzutreiben – etwas, was nur einigen wenigen Glücklichen gelingt. Um ehrlich zu sein, muss ich sagen, dass ich sie noch nicht in der Hand halte, doch man hat sie mir in 2 Stunden versprochen. Mein Zustand ist sehr kompliziert: zu allererst habe ich Angst vor der riesigen Verantwortung, die man mir auferlegt hat, denn jetzt kennt mich ja buchstäblich die gesamte Stadt. Es wird bald kein Haus mehr geben, in dem man mich nicht kennt oder in 2-3 Tagen kennen wird. Und was auch furchtbar ist, es ist so viel zu tun.

Ich habe dir schon geschrieben, dass ich in der Kolchose gearbeitet habe. Nach der Heumahd, von der zu erzählen für mich immer so aufregend ist, obwohl sie körperlich so furchtbar anstrengend war, dass ich Schmerzen in der Brust hatte und mir schwindlig wurde, habe ich nun bei der Roggenernte geholfen. Ich habe am Tag 6-8 Strohmieten aufgestellt, wobei ich zwischendurch einige Male nach Hause gehen musste – um entweder etwas zu kochen, Natascha losschicken oder dann wieder abzuholen. Ich habe es dank meiner Erinnerungen an meine Kindheit gelernt, das Stroh zu Schobern aufzurichten. Ich wollte die Anderen nicht fragen. Meine Schober sind zwar etwas schief geraten und waren auch etwas gebeult und nicht so einwandfrei wie ihre Nachbarn  von den Kolchosbäuerinnen. Dafür aber ist interessanterweise nicht einer von ihnen zusammengefallen, wobei ihre so glänzenden Nachbarn zum größten Teil schon wie ein klägliches Häuflein am Boden liegen. Möge mir Gott also helfen, dass ich mir auch auf dem neuen Aufgabenfeld nicht den Hals breche. Sascha, mein lieber Sascha, wie aber soll ich das alles schaffen? Ich weiß doch noch nicht einmal, wie ich eine Sitzung der gesamten Lehrerschaft leiten und wie ich mit den Kindern umgehen soll oder was unter den Begriffen „Erziehungsarbeit“ und „pädagogischer Prozess“ usw. überhaupt zu verstehen ist. Und dann noch all die organisatorische Arbeit, die zur Leitung einer Schule gehört! Reparaturen, Holz für den Winter, Hefte, Bücher – wie furchtbar das alles! Das reinste Grauen! Doch hier kommt mir die Gestalt Zifirkin aus dem „Landjunker“, der sich vor den Untiefen der Weisheit fürchtete, in den Sinn. Ein solcher Lehrer möchte ich nicht sein. Kurz gesagt, all diese verschiedenen Gedanken und Gefühle haben mich in der ersten Nacht nach der Ernennung zum Direktor nicht schlafen lassen. Heute nun habe ich schon wieder normal schlafen können. Es stellt sich aber noch eine sehr wesentliche Frage: Wo wir wohnen sollen? Die Wohnung für den Schuldirektor ist mit Möbel und Holz ausgestattet, hat viel Licht und ist sehr schön —  es ist ein recht geräumiges, warmes Zimmer. Doch wer wird an den Abenden auf Natascha aufpassen, wenn ich zu den Versammlungen muss? Wie soll alles funktionieren ohne Eimer, Waschtrog, Kohlenzange und Kessel usw.? Natürlich werden uns einige gutherzige Menschen helfen, doch man wird wohl kaum alles Notwendige zusammen bekommen können. Ich weiß gar nicht, wie ich nun verfahren soll. Mir tun auch meine Vermieter leid – wir haben uns so aneinander gewöhnt. Ja, aber auch ich tue ihnen leid. Soll ich also jetzt wie ein Wolf allein in einem ganzen Flügel eines Hauses wohnen? Was die Arbeit betrifft, ist es in der Schule aber besser … (Ende des Briefes ist verloren)

1943, 17. August (von A.I. Gruzdjew an S.I. Gruzdjewa in Totma) Nr. 36

Auf Grundlage der zwei Artikel, die ich dir ausgeschnitten und dem Brief beigelegt habe, hat mit die Redaktion der Zeitung heute eine Nachricht gesandt, in der sie mir vorschlägt, den Posten eines Abteilungsleiters zu übernehmen. Ich war ganz sprachlos vor Verwunderung. Früher war dies einmal ein Traum von mir, nun jedoch empfinde ich, dass dies eine Arbeit ist, die mich zu weit weg bringt von der Front. Sich ins Hinterland zurückzuziehen wäre einfach schändlich. Ja, ungeachtet aller Problematik meiner jetzigen Arbeit, gibt sie meinem Verstand doch viel mehr als es irgendeine andere Arbeit könnte.

Außerdem bin ich hier wenigstens mitten im Gefecht. Dort jedoch würde ich gänzlich aus dem Krieg ausscheiden. Man bekommt dort noch nicht einmal die Artillerie zu hören.

Alexander Gruzdew, 1943.

1943, 21. August (von A.I. Gruzdjew and S.I. Gruzdjewa in Totma, ohne Nummer)

Ich habe deinen Brief erhalten, Sonja, in dem du mir über deine neue Arbeit als Direktorin schreibst. Ich habe nicht gewusst, dass du so selbstverliebt bist und dass man dich, wenn man mit deinen Schwächen spielt, so leicht herumkriegen kann. Ich hatte dir doch geschrieben, dich ohne meine Erlaubnis nicht auf eine solche Art von Arbeit einzulassen!

Du tust mir leid, doch Natascha tut mir noch viel mehr leid. Sie wird nun überhauptkein zu Hause mehr haben. Das alles gefällt mir nicht.

Ich sollte dir einen ruhigeren Brief schreiben, doch ich kann es nicht. Kann es sein, dass man dich in diesem Amt noch nicht bestätigt hat? Gibt es noch eine Chance abzusagen? Du hast nicht zwei Doktorarbeiten geschrieben, um dich dann darum kümmern zu müssen, wo man Nägel auftreiben kann. Das kann jede x-beliebige Mitarbeiterin in der Schule besser als du. Jedoch vor den Kindern zu stehen und sie zu unterrichten, kann niemand besser als du, denn du hast viele mehr Wissen als die anderen Lehrer in Totma. Die Überzeugung eures Sekretärs der Kreisparteileitung und seine Autorität haben auf mich keine bindende Wirkung, denn ich halte ihn weder für einen klugen noch für einen feinfühligen Menschen. Während du im letzten Jahr krank warst, habe ich den Leuten dort in der Kreisleitung und in der Kreisparteileitung einen Brief geschrieben. Sie haben es jedoch nicht für nötig befunden, mir zu antworten. Wenn du nun von deinem Posten zurücktrittst, dann können sie gegen dich nichts unternehmen. Ich könnte einen Brief an die notwendige Stelle schreiben, damit dir ihr eventuell unnötiges und ungerechtes Verhalten dir gegenüber erspart bleibt. Denke daran, dass ich nicht umsonst drei staatliche Auszeichnungen bekommen habe und es nicht zulassen werde, dass sich andere nun über meine Familie lustig machen.

Wenn du den Posten des Direktors nun aber bereits angenommen hast, weiß ich nicht, wie leicht es dir fallen wird, von ihm zurückzutreten. So wie ich dich kenne, wird es dir schwer fallen. Doch für eine solche Arbeit bist du nicht geschaffen. Dort sind Ruhe und Beharrlichkeit von Nöten. Du besitzt jedoch weder das eine noch das andere.

(eine nachträgliche Notiz am Ende des Briefes vom Januar 1972, einige Monate nach dem Tod der Mutter: „Ein furchtbar ungerechter Brief. Alles ist in ihm sehr überzogen und sehr hart. Wahrscheinlich, weil ich den Lauf von — wie mir schien – gefährlichen und unnötigen Dingen für S.I. aufhalten wollte.“)

1943, 21. August (von S.I. Gruzdjewa an die Front, ohne Nummer)

Nun bin ich schon keine Kolchosbäuerin mehr. Ich habe dir schon von meinem Karrieresprung berichtet. Ich habe nun nicht nur keine Rückenschmerzen mehr, sondern auch die Blasen an den Händen bilden sich langsam zurück. Dafür haben sich wahrscheinlich noch viel größere Blasen in diesen Tagen im Gehirn gebildet. Ja, schwer bist du, „du Mütze des Zaren!“ … Da aber kluge Leute diesem Ausspruch meist: „wenn unter ihr der Kopf leer ist“ hinzusetzen, vermeide ich normalerweise diesen Spruch.

Der Mann von Rida hat ihr einen Passierschein geschickt. Sie bereitet sich nun auf eine Reise in den Fernen Osten vor. Auf diese Weise scheidet noch eine Person aus der Verfügbarkeit für den Kreisschulrat aus.

Ich freue mich sehr für dich, dass du dich wieder deinem eigentlichen Tätigkeitsfeld wie in Friedenszeiten näherst. Nur die ausgeschnittenen Artikel aus der Zeitung sind bei mir nicht angekommen.

Unser Leben mit Natascha hat sich quasi nicht verändert. Wir ernten unsere Kartoffeln, essen die 800 Gr. Butter, die wir im letzten Monat gekauft haben.

Nataschenka ist gesund und sieht sehr gut aus.

Ich bin ganze Tage in der Stadt unterwegs, um Materialien für Reparaturen und nach Handwerkern zu suchen. Einiges kann ich auftreiben, anderes wieder nicht. Aber so ist es eben, wenn man eine administrative Arbeit in Kriegszeiten hat.   

Was für Gedanken und Gefühle erfassen mich, wenn ich sehe, wie Rida ihre Koffer packt! Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, dass auch für mich dieser Tag einmal kommen wird und auch ich mich auf die Reise machen werde – nach Hause, zu meinem Mann, zurück ins wahre Leben! Nein, besser daran noch nicht denken!

Ich hoffe, dass ich den Winter mit meinem nun erhöhten Gehalt und dank deiner finanziellen Unterstützung gut überstehen kann. Andere Hilfe bekomme ich nicht. Ich habe nun schon wieder Schulden gemacht und warte auf deine Geldanweisung, um für die Milch ab dem 1. August bezahlen zu können.

1943, 23. August (von A.I. Gruzdjew an S.I. Gruzdjewa in Totma) Nr. 40

Vor einigen Tagen habe ich dir, Sofjuschka, einen bösen und hartherzigen Brief geschrieben. So bist du  — wie es so schön heißt – zwischen die Fronten geraten: dein Vorgesetzter tadelt dich und dein Mann schimpft mit dir. Und niemand hat ein Wort des Verständnisses für dich. So hat es dich also erwischt, mein Mädchen. Wegen deiner Unerfahrenheit bist du in eine sehr dumme Situation geraten. Man hat dir eine sehr schwierige und aufreibende Arbeit übertragen. Eines möchte ich dir aber sagen, wenn es dir nicht gelingen sollte, diese Arbeit doch noch abzulehnen: „Das wichtigste im Leben ist Ruhe und völlige Gelassenheit“. Man muss versuchen, alle Dinge mit dem Verstand zu erfassen und sich nichts zu stark zu Herzen zu nehmen. Ich kann dir nicht vorschreiben, wie du zu leben hast. Mich interessiert zunächst aber einmal, wie du es schaffen willst, die gesamte Masse an Energie zu regenerieren, die du durch diese Arbeit aufwenden wirst müssen.

Natürlich beunruhigt mich das Schicksal von Natascha, weil mir klar ist, dass du nun ständig in der Schule hängen wirst. Doch dein Chef sollte sich bemühen, auch deine Situation zu begreifen und dass es eben nicht geht, ein Kind seinem Schicksal zu überlassen.

Ganz allgemein würde ich sagen, dass das Funktionieren der Schule ganz und gar nicht davon abhängt, wie viel Zeit du in der Schule verbringst. Viel mehr ist es bei uns so üblich, dass ein Vorgesetzter, der sich nicht auf seine Untergegebenen verlässt, immer genau dort herumhängt, wo er gerade in diesem bestimmten Moment nicht gebraucht wird. Man muss seine Arbeit als Chef so strukturieren, dass nicht der Vorgesetzte seinen Untergegebenen hinterherläuft, sondern dass der Untergebene, der seine Anweisung nicht erfüllt hat, Angst hat, seinem Chef unter die Augen zu treten. Eine fälschliche Demokratie an der Grenze zur Zügellosigkeit bringt nur Schaden.

1943, 24. August (von A.I. Gruzdjew and S.I. Gruzdjewa in Totma, ohne Nummer)

Sonja, du mein ach so unglücklicher Schuldirektor! Heute habe ich meinem unmittelbaren Vorgesetzten die Idee unterbreitet, eventuell eine Reise zu dir unternehmen zu wollen. Kannst du dir vorstellen, dass er es überhaupt nicht für ausgeschlossen hält? Er hat nur gesagt, dass sich erst hier die Situation mit den Arbeitern klären muss (ich brauche einen Assistenten, da ich bisher hier ohne einen solchen arbeite), dann könnte die Frage eventuell positiv entschieden werden.



[1] Siebenklassige Schule Vor der Ernennung zum Direktor der Siebenklassigen Schule hat meine Mutter in deiner anderen Schule gearbeitet, in der von der 1. bis zur 10. Klasse alle Klassenstufen vertreten waren

 

Uebersetzt von Henrik Hansen
www.deu.world-war.ru

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