11 Januar 2007| Verfasser Kravcova N.F. (übersetzt von Pritvorova Maria)

Katja Kravcova

Zu der Zeit, als die Schlacht um Stalingrad begann, wurde Katja 20 Jahre alt. Wie jedes andere gleichaltrige Maedchen war sie staendig in jemanden verliebt. Sie fuehlte einfach die Notwendigkeit, einen unter allen anderen auszuwaehlen, ihn mit allen Tugenden auszustatten, die ihm gar nicht immer eigen waren, und ihn schweigend, unmerklich fuer andere, zu bewundern. Eine Zeit lang mochte sie den tapferen Aufklaerer Kolja Prochorow mit einer Narbe ueber die ganze Wange, einen Wagehals, der die Gefangenen aus der Feindetappe einbrachte. Nachdem Kolja an einen anderen Teil der Front versetzt worden war, wurde der Granatwerferzugfuehrer Medvedev, ein breitschultriger Sibirier, ein selbstbeherrschter und mutiger Mensch, zum Ziel ihres Entzueckens. Spaeter wurde Kriegskommissar Gorjajev ihr Idol, ein wohlerzogener, tatkraeftiger und beherrschter Mann, der den Krieg nicht scheute. Katja liebte sie nicht nur, sondern lernte auch von ihnen zu kaempfen und versuchte, ihr eigenes Leben ihnen anzupassen.

Und ploetzlich verliebte sich Katja. Das neue Gefuehl aehnelte kaum ihren frueheren Verliebtheiten. Der Bataillonskommandeur, dem Katja unterstellt war, wurde ins Stabregiment versetzt, und seine Stelle hatte ein Neuer bekommen, und zwar Kapitaen Saveljev.

Saveljev war ueber 30. Von mittlerer Gestalt, schien er Katja mit dem durchdringenden Blick seiner hellen Augen und seinen ruhigen Bewegungen ein auf die Erde herabgestiegener Gott zu sein. Er benahm sich einfach und sicher. Er erforschte die Kriegssituation schnell bis ins Einzelne, lernte die Untergebenen kennen und nahm mit ihnen Kontakt auf, als ob er sie schon seit langem gut kannte.

Der schoene Bataillonskommandeur wurde sogleich von den Maedchen ins Visier genommen. Nachrichtensoldatinnen und Schreibkraefte kamen vom Stab aus vorbei, um ihn sich anzusehen, als ob sie ein Anliegen an Katja haetten. Die aufmerksame Katja merkte, dass auch Saveljev fuer einige von ihnen Interesse zeigte.

Der neue Bataillonkommandeur erwies sich als immer erfolgreicher, im Verlauf der Kaempfe wurde er vom Glueck begleitet. Kampferfolge fielen ihm aber nicht leicht: Er verfolgte hartnaeckig das Ziel, riss die anderen mit, floesste ihnen Siegeszuversicht ein. Seine bewundernswerte Tapferkeit und Kuehnheit eroberten Katja ganz.
Ohne jede Verwunderung nahm Saveljev hin, dass die Schuetzenkompanie in seinem Bataillon von einem Maedchen gefuehrt wurde, als ob das ein ganz normaler Zustand waere. Von Zeit zu Zeit aber beobachtete er Katja unauffaellig, um sich zu vergewissern, dass sie ihre Aufgabe meisterte. Katja bebte, als sie Saveljevs nur ansichtig wurde, erroetete, als sie seinen Blick erhaschte und wurde, wie es ihr schien, dumm, obwohl sie sich im tiefsten Herzen dafuer verachtete. Sie tat ihr Bestes, um ihre Zuneigung zu verbergen und gekuenstelte Gleichgueltigkeit zu zeigen. Saveljev zu betruegen war aber so gut wie unmoeglich, denn in Herzensangelegenheiten war er ein alter Hase. Saveljev verstand Katja ganz gut, machte ihr gelegentlich schoene Augen und war ganz zuvorkommend. Katja begriff aber auch, dass das ihm bloss Spass macht, und es wurde ihr traurig zumute.

Im Eifer der Gefechte, als die Einkreisung der faschistischen Gruppierung bei Stalingrad begann, wurde Katja wieder verletzt und trat auf lange Zeit aus der Reihe, denn in ihrer Huefte war ein Granatsplitter steckengeblieben.
Nach dem Aufenthalt im Spital, wo sie operiert worden war, bekam Katja zwei Wochen Urlaub, besuchte ihr Zuhause und kehrte dann in ihr Regiment zurueck. Man hatte vor, sie an eine andere Front zu schicken; sie wollte aber in ihr altes Regiment zurueck, wo man sie kannte und wo sowohl ihre Kompanie als auch Saveljev geblieben waren.
Saveljev wurde zu der Zeit befoerdert, und zwar zum Regimentsbefehlshaber. Katja merkte das, als sie in den Stab kam, um sich zur Stelle zu melden.
„Wieder bei uns? Willkommen!“, begruesste er Katja, sie aufmerksam betrachtend. „Abgenommen und blass, aber es steht Dir!“
„Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Befoerderung, Towaritschtsch Major!“
„Nichts zu gratulieren, nur noch mehr Verantwortung“, winkte er ab.
Katja fuehlte aber, dass Saveljev damit zufrieden war, nicht aus Eitelkeit, sondern da er wusste, dass er dieser Aufgabe gewachsen war.
„Und du bist gerade rechtzeitig gekommen, bald geht man zum Angriff ueber“, fuhr er weiter fort, den einfachen Bauertisch mit seinen Fingern beklopfend, „nimm die zweite Kompanie in meinem ehemaligen Bataillon, da ist jetzt der Oberleutnant Sinizkij. Und halt sie zur Disziplin an, da passiert so Manches. Man wird dir gehorchen, du bist ein Maedel von Charakter“.
„Und wie steht’s mit meiner Kompanie?“
Saveljev zuendete sich langsam eine Zigarette an, entfernte ein Blatt Tabak, dass an seiner Lippe klebte.
„Da sind fast ausschliesslich Neue“, antwortete er ausweichend. Katja verstand, dass es waehrend ihrer Abwesenheit grossen Abgang gegeben hatte.
„Alles klar. Darf ich gehen?“
„Warte mal“, sagte Saveljev, „ruh’ Dich vom Weg aus, und schau’ am Abend bei mir vorbei. Bei uns sind jetzt Moskauer Kuenstler, sie geben heute ein Konzert. Nach dem Konzert kommen wir bei mir zusammen, dann gibt’s einen Imbiss“.
„Kuenstler!“, freute sich Katja. „Ich bin also gerade rechtzeitig hergekommen“.
Er laechelte schweigend, kniff die Augen zu und sah Katja warm an. Dieser Blick liess sie gleich erroeten und sie eilte bestuerzt zum Ausgang, sich ueber sich selbst aergernd, dass sie rot geworden war, wo er sie nur zaertlich angeguckt hatte…!
Nachdem sie die Kompanie besucht und sich mit Freunden, die ihr alles Neue erzaehlten, unterhalten hatte, wusch Katja sich, kaemmte ihre kurzen goldroten Haare und begab sich ins Konzert. Die Aprilsonne senkte sich, es war warm, und die Kuenstler traten auf freier Buehne auf.
Nach dem Konzert gingen die Kuenstler weg, um sich umzuziehen. Saveljev ging an Katja vorbei und lud sie nochmal ein:
„In zehn Minuten bin ich zu Hause. Weisst du, wo mein Haus liegt?“
Katja nickte. In einer Viertelstunde kam sie zum weissen Bauernhaus. Vor der Aussentreppe stand ein Wachposten, ein alter Soldat, der Katja mit trostlos gleichgueltigen Augen nachblickte.
Sie klopfte an die Tuer, hoerte Saveljevs Stimme und kam herein. In der Mitte stand der zum Abendbrot gedeckte Tisch. Saveljev war allein.
„Nun erzaehl mal, wo du warst, und was so los war“, sagte er freundlich. „Seit Kriegsanfang bin ich in der Etappe. Meine Mutter schreibt, es sei alles in Ordnung, sie will mich wohl nicht verstimmen“.
Katja wusste, dass Saveljev keine Familie hatte. Nur die Mutter und einen Bruder, der bei Leningrad kaempfte. Darueber dachte sie aber jetzt kaum nach; es kam ihr seltsam vor, als ob niemand weiteres erwartet wuerde.
„Wo bleiben die Kuenstler, Towaritschtsch Major?“
„Setz dich doch erst mal hin! Wir wollen deine Rueckkehr begehen!“ schlug er vor, ohne ihre Frage zu beantworten.
Er sah Katja pruefend an und schenkte ihr Wodka ein.
„Prost!“
Katja trank aus, ass eine Salzgurke nach. Saveljev schenkte wieder ein.
„Was ist hier nicht alles ohne dich passiert! Es gibt viele Neue, man musste dringend ersetzen. Erinnerst du dich an Sintschenko? Mit einer Mine… Er war ein guter Kommandeur. Ich mochte ihn sehr. Nun, prost!“
Er erhob das Glas und erwartete, dass Katja dasselbe tut. Er sah sie mit seinen gebieterisch anziehenden Augen an, dass es ihr schwindlig wurde. Sie geriet in Unruhe und merkte, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie senkte ihren Blick ins Glas, ohne es zu beruehren.
„Wieso kommt denn niemand? Wo sind sie alle?“
Saveljev stand langsam auf, ging ruhig zur Tuer, drehte den Schluessel um und steckte ihn in die Tasche.
„Im Haus gegenueber feiert man. Lass sie mal! Das hat noch Zeit … “
Katja sprang auf. Das Blut stieg ihr zu Kopfe: Ist es das, was er will? Kann das denn sein?? Kaum war ihr dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, als Saveljev sie mit beiden Armen von hinten her umarmte, sie fuehlte seinen warmen Atem auf ihrem Hals.
„Lass mich!“ schrie sie sich losreissend auf. „Ich sage Dir doch, lass mich!“
„Du dumme Gans, ich mag dich doch … was ist denn mit Dir los, Katjuscha?“
Er drueckte sie noch staerker an sich, aber es gelang Katja, sich irgendwie zu drehen und zu wenden, und sie fasste seinen Hals mit der Hand. Eine Welle von Zorn stieg in ihr auf.
„Ich erwuerge Dich, Halunke! Willst Du mich gewaltsam? Lass mich!“
„Ein Teufelsmaedel bist du!“
Er wehrte Katjas Hand leicht ab, machte die Haende aber gleich wieder auf. Katja machte sich frei und fiel wuetend ueber ihn her, ohne ihre Worte zu waehlen:
„Was unterstehst Du dich? Ich bin keine Dirne! Ich bin Kommandeur. Und Du … “
Erregt schalt Katja Saveljev aus, ohne sich zu schaemen und bereit, ihn an Ort und Stelle totzuschlagen, wenn er nur versuchte, sie beruehren.
„Dumme Hans, “ sagte er ruhig und setzte sich hin, den Kopf auf die Haende gesetzt.
„Den Schluessel! Gib den Schluessel her!“ forderte Katja.
Er lachte, seine schoenen Augen zusammenkneifend:
„Das geht nicht. Ich beruehre Dich, ich meine das ganz im Ernst, Du hat mir schon seit langem gut gefallen. Wollen wir heiraten, bist Du einverstanden? Katjuscha … “
„Den Schluessel brauche ich!“
Dann stand er auf und umarmte Katja wieder, versuchte sie zu kuessen. Katja war nicht mehr im Stande, Widerstand zu leisten, sie riss die Pistole aus der Tasche und schlug Saveljev mit voller Wucht auf den Kopf. Der Schlag landete auf der Stirn, Blut floss ueber sein Gesicht.
„Was machst Du, dummes Lieschen … “
Die verletzte Stirn streifend, sah er die blutige Hand, dann Katja verwundert an, nahm aus der Tasche ein Tuch und den Schluessel heraus. Ein roter Blutstrahl lief ueber sein Gesicht.
„Nimm!“
Er warf den Schluessel auf den Tisch.
Schwer atmend, vor Wut und Schande rot, langte Katja nach dem Schluessel, oeffnete die Tuer und ging hinaus, ohne zurueckzuschauen. Es war ihr ganz egal, er konnte ruhig dort sterben. Ganz gleich, was sie dafuer abbekommen wuerde.
Im Flur blieb sie stehen, holte Atem, machte die Revolvertasche zu, und brachte sie und das Schiffchen in Ordnung.
Die Wache auf der Aussentreppe sah sie finster an. Natuerlich hatte er alles gehoert. Katja wollte schnell vorbeigehen, da schuettelte er den Kopf und sagte vaeterlich:
„Du hast ihn aufs Strengste abgekanzelt, Toechterchen. Du bist die erste, die… er ist gewiss ein ausgezeichneter Kommandeur, aber mit den Weibern …“
Am naechsten Tage ging Saveljev schweigend und mit verbundenem Kopf. Katja uebernahm die Kompanie und wartete ab, was weiter kommen wuerde. Am Abend fand er Katja und sagte, ins Feld sehend:
„Nimm’s mir nicht uebel! Ich moechte mich bei Dir entschuldigen“. Nach kurzer Ueberlegung fuegte er hinzu: „Ansonsten aber, umsonst“.
So ging er weg und Katja war bestuerzt: Was genau war umsonst? Das Gefuehl der Beleidigkeit liess nach, doch es blieb nichts als Beengung in der Brust, als ob ihr die Luft nicht ausreichte, um aufzuatmen. Verwundert verstand sie, dass sie Saveljev immer noch liebhatte.
Nach einer Woche ging die Front zum Angriff ueber. Saveljevs Regiment befand sich an dem Abschnitt, an dem die Feindverteidigungsstellung durchbrochen wurde, und erlitt dabei spuerbare Verluste. Im ersten Kampf wurde Saveljev toedlich verletzt. Er lebte nur noch eine halbe Stunde.
Als Katja nach der Schlacht zur Krankentrage kam, war Saveljev noch am Leben. Mit Muehe oeffnete er die schwer gewordenen Augen. Da merkte sie, wie seine hellblauen Augen weich geworden waren. Auf der Stirn, genau ueber der Nasenwurzel, lief eine unebene Narbe wie ein stummer Vorwurf. Die Binde trug er nicht mehr. Diese Narbe stach Katja ins Herz.
„Das ist schon das Ende, Katjuscha! Gib mir Die Hand!“
Seine Stimme klang gedaempft, er konnte nur mit grosser Muehe sprechen.
In der Naehe schluchzte die Krankenschwester Vera auf. Als Katja sie streng ansah, verstummte sie gleich, auf ein Tuch beissend.
„Was sagen Sie denn! Gleich holt man Sie zum Spital … “ sagte Katja mit veraenderter Stimme.
Sie nahm seine kalte Hand in ihre Haende und mit blutendem Herzen wollte sie, dass er nicht stirbt, sondern weiterlebt und sie liebt. Das Leben verliess ihn aber schnell …

Erschuettert blieb Katja stehen, sie fuehlte die Kaelte der zitternden Finger. Sie sah das blasse, starre, aber immer noch schoene Gesicht, sie sah die Narbe, die auf der Stirn blutlos und weiss schimmerte.
Schluchzen unterdrueckend neigte sich Vera und kuesste den toten Saveljev. Sie zog langsam am Mantel, um seinen Kopf zu bedecken … Katja erinnerte sich an ihn mit Herzlichkeit, glaubte aber gleichzeitig eine Schuld zu tragen; vielleicht, weil sie am Leben blieb und er starb. Es schien ihr, dass sie sich in keinen mehr verlieben wird, dass mit Saveljev auch ihre unverwirklichte und einzige Liebe gestorben war.

 

Aus:  „Vernis’ iz poljota, izbrannye glavy“ („Kehr’ vom Flug zurueck!“ , ausgewaehlte Kapitel).

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