9 April 2015| Barinowa (Pewnewa) Inna Michailowna

15 Jahre nach der Schlacht von Stalingrad

Inna Michailowna Barinowa (Pewnewa)

Inna Michailowna Barinowa (Pewnewa)

Meine Familie lebte in der Siedlung „Roter Oktober“. Wir hatten unser eigenes stabil gebautes Haus. Mein Vater war Arbeiter in der Fabrik „Barrikaden“ und meine Mutter arbeitete im „Roten Oktober“. In den ersten Monaten des Krieges kamen immer mehr Züge mit verwundeten Soldaten nach Stalingrad. In der Stadt wurden deshalb überall Lazarette eingerichtet. Unsere Lehrerin in der Grundschule – sie hieß Anna Nikolaewna – hatte damals aus den Schülern verschiedener Klassenstufen einen kleinen Chor zusammengestellt, in dem auch ich und meine Schwester mitgesungen haben und der in den verschiedenen Lazaretten aufgetreten ist.

Das erste Lazarett, das wie besucht haben, war in Krasnoarmejsk. Einige von uns Kindern haben gesungen, andere haben Gedichte vorgelesen oder getanzt. Auch Anna Nikolaewna selbst hat gesungen. Den Soldaten haben besonders die Lieder gefallen, so wie auch unsere Lehrerin Anna Nikolaewna. Sie war sehr schön und schlank. Ihr fiel immer „eine goldene Strähne auf die Schläfe“. Meine Schwester sang Lieder aus dem Repertoire von Lydia Andrejewna Ruslanowa. Sie hatte eine kraftvolle Stimme, die sie dann später, als sie die Gehirnerschütterung hatte, verloren hat.

Im Sommer 1942 sind wir zusammen mit der jüngeren Schwester meine Mutter, mit Taja – sie war damals etwa 18-20 Jahre alt, in die Steppe um Stalingrad hinausgefahren, um dort Schützengräben auszuheben, die der Verteidigung dienen sollten. Man hat uns dazu Spaten und grobe Handschuhe ausgehändigt, doch in der Erde zu graben, die von der Dürre ganz hart geworden war, fiel uns nicht leicht. Bald hatten wir an den Händen blutende Blasen. Kurz vor der Schlacht von Stalingrad hat Tante Taja einen Leutnant von der Roten Armee geheiratet, der schon am nächsten Tag nach der Hochzeit mit seiner Einheit an die Front gezogen und bald darauf gefallen ist. Tante Taja ist damals dann zu ihrer Schwiegermutter umgezogen.

Mein Vater und meine Mutter haben gearbeitet. Wir Mädchen (die Älteste von uns war 12 – ich 10 und unsere kleine Schwester 7 ein halb) haben uns während der Bombardierungen und des Artilleriebeschusses im Keller unseres Hauses versteckt. Jedes Mal, wenn eine der unzähligen Bombenangriffe vorüber war, kam Tante Taja zu uns gelaufen, um nachzusehen, ob wir alle noch am Leben sind. Doch dann ist sie eines Tages nicht gekommen. Als meine Mutter dann später nach Hause gekommen ist und erfahren hat, dass Tante Taja nicht gekommen war, haben wir uns gemeinsam entschlossen, nachzuprüfen, ob nicht mit ihr etwas passiert war. Ihr Häuschen befand sich ganz in der Nähe. Doch als wir dort ankamen, sahen wir anstelle des Hauses nur einen riesigen Bombentrichter, und in einigen Metern Entfernung fanden wir den Teil einer Hand.  An den Ringen am Finger erkannten wir, dass dieser Rest meiner Mutters Schwester gehörte. Still vergruben wir in der Erde alles, was von ihr geblieben war.

In den ersten Septembertagen des Jahres 1942, an einem späten Abend, kam mein Vater angelaufen, der damals in der Fabrik „Barrikaden“ arbeitete, um zu erfahren, ob wir alle noch am Leben sind. Wir hatten uns im Keller des Hauses zum Schlafen hingelegt. Gerade in dieser Nacht explodierte eine Bombe in der Nähe unseres Hauses und zertrümmerte eine der Wände, hinter der mein Vater schlief. Natürlich sind wir von dieser Explosion alle aufwacht. Es roch nach Verbranntem, alles war voller Rauch und Staub und in der Finsternis war nichts zu erkennen, nur das Stöhnen meines Vaters war zu hören. Meine ältere Schwester versuchte in der Dunkelheit meinen Vater zu ertasten. Ihre Hand geriet dabei plötzlich durch seinen zertrümmerten Schädel auf sein Gehirn. Ein Bombensplitter hatte seinen Kopf zerschmettert. Ein zweiter Splitter war zwischen den Köpfen meiner Mutter und meiner kleineren Schwester, die nebeneinander geschlafen hatten, hindurchgeflogen, ohne dabei, wie ein Wunder, jemanden verletzt zu haben. Und so starb unser Vater vor unseren Augen, und wir drei, völlig abgemagerten und halbverhungerten Mädchen und unsere Mutter, die damals gerade erst einmal 28 Jahre alt war, mussten die von der Sommerhitze steinhart gewordene Erde aufhacken, um für unseren Vater ein Grab auszuheben. Wir wickelten ihn in eine Decke ein und begruben ihn.

Danach krochen wir in die „Ritze“, eine Vertiefung in der Erde, die wir schon vorher gegraben hatten, um uns dort vor Bombenangriffen zu schützen. Doch bald darauf schlug wieder eine Bombe bei uns ein, ganz in der Nähe unserer „Ritze“. Die Druckwelle zerschlug die Tür und meine Schwester, die dem Ausgang am nächsten lag, wurde herausgeschleudert und landete auf der Erde, etwa 4 Meter von unserer Erdspalte entfernt. Sie hatte eine so starke Gehirnerschütterung, dass sie für eine Zeit weder etwas hören noch sprechen konnte. Dabei sind aber auch ihre Nieren „zertrümmert“ worden. Meine Schwester ist dann später an einer Nierenkrankheit gestorben. Sie war nicht einmal 40 Jahre alt. Nach dieser Explosion haben wir uns entschieden, an das Ufer der Wolga zu gelangen. In den Feuerpausen während des Bombenangriffs liefen wir ein Stück im Halbdunkel und krochen dann weiter, bis wir zu der kleinen Mulde des Flüsschens Bann kamen, um dann endlich bis an das Ufer der Wolga zu gelangen. Zum Glück ist es uns gelungen, einen freien Unterstand am Steilufer hinter der Fabrik „Roter Oktober“, in der Nähe der Werkhalle mit dem Förderturm zu finden. Dort haben wir die restlichen Tage und Nächte der Schlacht um Stalingrad ausgeharrt.

Im Oktober begannen dann die Gefechte auch auf den Territorien der Fabriken. Der Tod konnte einen nun überall erwischen: entweder im Keller eines Hauses oder in einem speziell gegrabenen Unterschlupf. So hat während eines der vielen Bombenangriffe auch die Familie des Bruders meines Vaters, der an der Front kämpfte und dann später gefallen ist, versucht, in einer Erdspalte Schutz zu finden. In dieser Schutzhöhle befanden sich seine Frau mit ihren sieben Kindern und die Familie der Nachbarn. Eine Bombe ist genau in diese Erdspalte eingeschlagen. Die Körper aller, die in diesem Erdloch Schutz gesucht hatten, wurden zerrissen. Wie durch ein Wunder ist nur die älteste der Cousinen meiner Mutter am Leben geblieben. Doch sie hat damals den Verstand verloren.

Wir alle litten furchtbaren Hunger. Es gab nichts zu Essen, nicht einmal die Ration, die den Menschen in der Blockade von Leningrad ausgegeben wurde. Manchmal kam einer von den Soldaten zu uns in den Unterstand gelaufen und gab meiner Mutter ein Stück Brot. Das waren gewöhnlich hundert Gramm. Für jeden von uns vier waren das aber nur paar Krümel. Manchmal hatten wir nicht einmal die Kraft, uns auch nur zu rühren. Im Unterstand war es immer halb dunkel. Es gab nur eine kleine Öffnung von ungefähr 30 mal 30 cm. Für die Nacht hatten wir eine Art provisorisch gefertigten Ofen, den wir dann anzündeten. Wir hatten ihn aus einer Granatenhülse gebastelt, die uns die Soldaten gebracht hatten. Um an Wasser zu gelangen, mussten wir das Ufer der Wolga hinabsteigen und es aus einem Eisloch schöpfen. Das rechte Ufer der Wolga ist ein Steilufer. Deshalb waren, um nach unten zu gelangen, oben und unten Ringe eingeschlagen und zwischen ihnen war ein dickes Seil gespannt. Nur wenn man sich an diesem Seil festhielt, konnte man nach unten zum Fluss gelangen und wieder hinauf zum Unterstand kommen. Anderenfalls hätten die Kräfte nicht ausgereicht. Unten standen Schlitten, auf denen man eine Kanne mit Wasser vom Eisloch bis an das Ufer ziehen konnte.

Einmal, als ich gerade am Eisloch stand, hörte ich irgendwo weiter in Richting Unterlauf des Flusses eine Frau schreien. Sie war am Ertrinken und rief um Hilfe. Ihr Schrei war zunächst sehr kraftvoll, doch dann wurde er immer leiser und verstummte.

Einmal bin auch ich ausgerutscht und in das Eisloch gefallen. Mein Glück war, dass der Schlitten am Rand des Eisloches hängen geblieben waren. Dieser Schlitten war mein Retter, denn er hat mir geholfen, dass ich mich wieder aus dem Eisloch befreien konnte. Meine Kleidung war augenblicklich mit einer Eisschicht bedeckt. So bin ich dann zu unserem Unterstand zurückgegangen. Später dann, schon nach dem Krieg, musste ich drei Mal in meinem Leben für etwa ein Jahr ins Krankenhaus. Jedes Mal konnte ich plötzlich meine Arme und Beine nicht mehr spüren, ich konnte nicht mehr gehen und ich musste auf einer Trage getragen werden. Die letzte „Kriegsattacke“ auf meine Gesundheit traf mich, als ich 24 Jahre alt war. Damals haben die Ärzte auf die Frage meiner Mutter: „Wird sie wieder laufen können?“- geantwortet: „Wenn nur das Herz das alles mitmacht“. Dies alles, wie sich später herausstellte, war eine Folge meines winterlichen „Bades“ in dem Eisloch in der Wolga.

Stalingrad bot ein fürchterliches Bild der Zerstörung. Auf einer Strecke von 40 Kilometern gab es überall nur Ruinen. Die Skelette von zerstörten und verbrannten Gebäuden mit schwarzen Augenhöhlen und entstellten Öffnungen waren im toten Schweigen erstarrt. Allerorten gab es Berge von Schutt zusammengefallener Häuser. Die Erde war von unzähligen Explosionen aufgerissen und überall lagen tausende Leichen. Es waren einerseits die gefallenen Verteidiger der Stadt und andererseits die faschistischen Soldaten. Die Straßen waren überschüttet mit zerbrochenen Ziegelsteinen, verbogenen Armaturen und zertrümmerter Militärtechnik. Alles war zerschossen und überall gab es Trichter von Bomben aus der Luft oder von Granaten und Minen.

Der Sekretär der örtlichen Parteizentrale von Stalingrad A. S. Tschujanow hat dann später geschrieben: Die Stadt lag in Trümmern, die Ruinen der Arbeiterviertel waren ausgebrannt. Aus den Kellern stiegen stechender Rauch empor und der Gestank verwesender Leichen. Nicht eine der 126 Fabriken ist erhalten geblieben, 48 von ihnen sind einfach dem Erdboden gleich gemacht worden. Der „Rote Oktober“, die „Barrikaden“ und die „Stalingrader Traktorenwerke“ waren zu toten Riesen erstarrt.

Die Fabrik „Roter Oktober“, hinter der unsere Familie in einem Unterstand einen Zufluchtsort gefunden hatte, war eine der am meisten anvisierten Zielscheiben gewesen. Vor unseren Augen lag nun eine unvorstellbare Wildnis aus Metall, ein Chaos zerbrochener und eingestürzter Stahlkonstruktionen, Decken und Dächer, riesiger Haufen von Ziegelsteinen, zerstörter Mauern und Rohre.

Der Stadtrat des Arbeiterparlaments hat eine Volkszählung durchführen lassen. Am 2. Februar 1943 haben in Stalingrad 32181 Menschen gelebt. Mehr als 30 Tausend von ihnen haben sich in den Kirow-Werken aufgehalten. In den anderen Stadtgebieten, auf deren Straßen die Kämpfe getobt hatten, waren ganze 1515 Menschen am Leben geblieben: im Stadtbezirk Ermanskij (heute das Stadtzentrum – 33 Menschen, im Gebiet um das Traktorenwerk, um die Fabriken „Barrikaden“ und „Roter Oktober“ insgesamt nur 764 Menschen, vier von ihnen waren wir, meine Familie. Unter der am Leben gebliebenen Zivilbevölkerung waren auch Kinder.  Ausgemergelt von Hunger und Durst waren sie ein trauriger Anblick.  Jede Rippe, jeder Wirbel und jedes Gelenk stach unter ihrer Haut hervor. Die Augen waren tief in die Augenhöhle eingefallen und voller unkindlicher Trauer und Angst. Diese Kinder konnten nicht laut sprechen und hatten es verlernt zu lachen. Besser sahen ihre Mütter aber auch nicht aus, die voller Schmerz auf ihre Kinder blickten.

Wie wir am Leben bleiben konnten, dass weiß nur Gott, der Herr allein. In der Schlacht um Stalingrad gab es kein Hinterland, deshalb befand sich die in der Stadt verbliebene Zivilbevölkerung in den Tagen der Gefechte direkt an der Front.

Nach dem 2. Februar 1943, als der Sieg für Stalingrad errungen worden war, wurde mit den Aufräumarbeiten begonnen. Das Leben in der zerstörten Stadt war aber weiterhin äußerst schwer. Die Menschen lebten in Unterständen und Erdhöhlen, Kellern und in den Treppenaufgängen der Häuser. Der Bevölkerung mangelte es an allem, was man zu einem normalen Leben braucht: es gab nichts zu Essen, es fehlte an Kleidung und Schuhen, an Brennstoff und Medikamenten. Wir hatten keinen Strom, kein Wasser und keine Kanalisation. Die Menschen beerdigten die Toten. Es waren große Anstrengungen von Nöten, um Stalingrad von der zertrümmerten Militärtechnik der Deutschen und den Häuserruinen zu befreien.

Am 13. Februar 1943 hat meine Mutter in der Fabrik „Roter Oktober“ wieder angefangen zu arbeiten. Die gesamte erwachsene Bevölkerung und gemeinsam mit ihr auch viele Kinder haben bei der Zerlegung der Ruinen mitgeholfen. Meine Schwester und ich haben auch gemeinsam mit anderen Kindern mitgearbeitet.

Wir bekamen Brotmarken. So hatten wir nun jeden Tag unser Brot. In einem Dorf, das etwa 7 Kilometer von den Traktorenwerken entfernt lag, wohnte die ältere Schwester meiner Mutter. Sie selbst hatte fünf Kinder. Kurz vor dem Beginn der Schlacht um Stalingrad war unsere Großmutter zu ihr gefahren, um sie zu besuchen. Dort ist sie dann auch geblieben. Der Mann dieser Schwester war an der Front. Die Deutschen hatten das gesamte Dorf ausgeraubt. Die Bewohner des Dorfes hatten deshalb nichts zu Essen, denn es gab dort keine Lebensmittelmarken. Wir haben damals deshalb entschieden, unsere Lebensmittelration mit unseren Verwandten zu teilen. Doch irgendwie mussten diese Lebensmittel in das Dorf gebracht werden. Meine Mutter arbeitete und meine ältere Schwester ist nach ihren Verletzungen und ihrer Gehirnerschütterung fast nicht mehr aus ihrem Bett aufgestanden. Deshalb war es meine Aufgabe, die Lebensmittel in das Dorf zu bringen. Ich musste vom Ufer der Wolga aus über einen Pfad an der Werkshalle mit dem Förderturm entlang bis zur Chaussee gehen und dort dann die Straße entlang bis zum Traktorenwerk. Ganze 8 Kilometer ging ich durch Ruinen und Ascheberge und dann noch einige Kilometer weiter bis in das Dorf.

In diesen Tagen hat man die Leichen der Deutschen bis an die Chaussee gekarrt und sie den ganzen Bürgersteig entlang aufgestapelt. Die Toten waren zusammengekrümmt vom Frost, manchmal hatten sie riesige, glotzende Augen. An diesen Leichenbergen musste ich also vorbei. Zuerst hin in das Dorf und dann wieder zurück. Am Abend musste ich zu Hause sein, damit meine Mutter sich keine Sorgen macht, ob ihre Tochter noch am Leben ist. In dieser Zeit hielten sich in den Flussmulden in der Steppe noch immer viele Faschisten versteckt. Sie töteten mit besonderer Grausamkeit alle die, die ihnen in die Quere kamen. Sie haben Leute einfach erschossen oder erstochen. Wie viele Kinder aus den umliegenden Dörfern, die Reisig gesammelt haben, um die Öfen in ihren einfachen Holzhäuschen zu heizen, sind damals durch diese Faschisten auch noch nach der Schlacht von Stalingrad getötet und wie viele von Minen zerfetzt worden! …

Ich habe furchtbares Grauen empfunden, wenn ich an diesen Leichenhaufen vorbeigehen musste. Jedes Mal hatte ich auf meine kindliche Weise Angst, dass einer dieser Toten nach mir greifen wird. Hinter dem Traktorenwerk, dicht an der Straße, stand eine hohe Eiche, unter der ich mich immer etwas ausruhte. Ich hatte nach wie vor großen Hunger. In meinem kleinen Bündel, dass ich über der Schulter trug, lag Brot! Wir Kinder der Kriegsjahre sind sehr früh erwachsen geworden und haben ein Gefühl für Verantwortung entwickelt. Ich wusste sehr genau, dass ich dieses Brot nicht anrühren durfte, denn es war für die Hungernden im Dorf bestimmt. Deshalb habe ich jedes Mal, wenn ich mich neben der Eiche niederließ, mit bis zum Blut aufgeriebenen Fingern versucht, die seit dem Herbst in der Erde festgefrorenen Eicheln aus dieser hervor zu pulen, um wenigstens eine von ihnen langsam zerkauen zu können.

Einmal habe ich, als ich schon auf dem Rückweg in die Stadt war, eine Kugel über meinem Kopf pfeifen hören. Ich habe mich umgedreht und drei Faschisten gesehen. Einer von ihnen hatte ein Maschinengewehr. Sie hatten auf mich geschossen. Uns trennte nur eine dieser Flussmulden. Plötzlich verspürte ich ein heftiges Brennen im Bein, oberhalb des Knöchels (dort hatte mich eine Kugel gestreift). Weil dies alles so völlig unerwartet geschah, stolperte ich und fiel hin. Die Deutschen schossen weiter in meine Richtung. Ich drückte mich voller Schreck tief in die Erde. Doch wieder hat mich mein Schutzengel vor dem Tod bewahrt. Ich habe mich sogar gewundert, wie diese Kugeln überall um mich herum einschlugen, doch nicht eine einzige mich getroffen hat. Es verging einige Zeit, und der Feuerregen hörte auf. Ich erhob leicht den Kopf und sah, dass sich die Deutschen versteckt hatten. Wieder bekam ich große Angst: Vielleicht sind sie in die Mulde hinabgestiegen und nun auf dem Weg zu mir? Da hab ich mich aufgemacht und entschieden davonzulaufen. Ich bin mit allen meinen Kräften gerannt, denn es ging für mich um Leben und Tod.

Die Schlacht von Stalingrad hat mich noch einmal eingeholt, als ich schon studiert habe. Einmal habe ich im Traum eine Bombe gesehen, die mit lautem Pfeifen auf mich zuraste. Es kam aber so, dass ich eine Sekunde vor der Explosion aufwachte. Normal schlafen konnte ich seit dem nicht mehr. Jede Nacht fiel entweder eine Bombe auf mich herab oder jemand schoss auf mich mit einem Maschinengewehr. Ich wurde aus diesem Grunde daraufhin von einem Professor untersucht. Es wurden Aufnahmen meines Gehirns gemacht und man hat ganze Konzile von Ärzten wegen mir zusammengerufen. Man hat mich in Krankenhäusern behandelt, mir verschiedene Spritzen verschrieben, doch die Bomben flogen weiter und weiter und die Maschinengewehre schossen auf mich Nacht für Nacht. 15 Jahre lang ging dies so. Dann tauchte der Krieg in meinen Träumen nicht mehr auf. Ich kenne viele, die die Schlacht von Stalingrad überlebt haben und die in Folge dieser Traumata, die sie erlitten haben, zu Invaliden geworden sind.

Meine Geschichte ist eine kurze Beschreibung der grauenhaften Dinge, die meine Familie erleiden musste. In jeder Familie, die die Schlacht von Stalingrad erlebt hat, hat man seine eigene Tragödie.

 

Uebersetzt von Henrik Hansen
www.deu.world-war.ru

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