"In Stalingrad ist mein buergerliches Leben verbrannt"
Flugblatt der sowjetischen Armeefuehrung
In Stalingrad ist mein buergerliches Leben verbrannt. Ich habe Generaele feige gesehen, ich habe Aerzte erlebt, die nur noch ihre Gefangenen praktisch damit betrogen haben, dass sie fuer sie ihre Lebensmittelrationen empfangen und selber aufgegessen haben, ich habe Pfarrer gesehen, die den letzten Segen erteilt haben, aber dabei den Toten abgetastet haben, ob er noch was Essbares oder Rauchbares hat. Das heisst also, die buergerliche Welt, aus der ich stammte, war in Stalingrad verbrannt.
Also, aus dem Kessel auszubrechen, daran ist eigentlich Paulus bei mir Schuld. Nach dem letzten Flugblatt der sowjetischen Armee-Fuehrung, das sehr ehrenvoll war, bin ich zu meinem Regiments-Kommandeur und habe gesagt: «Das muss man doch unbedingt annehmen.» Und daraufhin habe ich mich trotz meiner Verwundung, ich hatte zwei Kopfschuesse und Fieber, bis zum Armee-Hauptquartier zu Paulus durchgeschlagen. Dorthin bin ich auch vorgedrungen, was sehr erstaunlich gewesen ist, und habe Paulus gefragt, ob noch eine Moeglichkeit besteht, dass wir rauskommen, weil meine Soldaten sind nicht mehr willens, sich hier laenger totschiessen zu lassen.
Kein Sinn mehr im Aushalten
Darauf ist Paulus an die Karte gegangen und hat mir gesagt: «Herr Hauptmann, Sie haben es leicht. Sie sehen nur das Weisse im Auge des Feindes, aber wir muessen hier im Stab der Armee dem Fuehrerhauptquartier folgen und mit dem Raushauen ist gar keine Aussicht, die naechsten deutschen Truppen sind 300 Kilometer westlich von uns, und die Entfernung zwischen ihnen und uns wird immer groesser.» Daraufhin habe ich gesagt: «Ich kann dann keinen Sinn mehr in dem Aushalten hier sehen.» Und dann hat er eine Weile, der Paulus, war ja so ein Kunktator (Zauderer, Anmerk. der Redaktion), ein bisschen gezoegert, dann hat er ploetzlich gesagt: «Herr Hauptmann, jetzt ist die schwere Stunde gekommen, wo die Initiative auf die unteren Truppenfuehrer uebergeht.»
Ich habe das zuerst nicht kapiert, und dann ploetzlich machte das ‘klick’ bei mir, und dann merkte ich also, die Herrn Generaele, die hier unten alle zusammensitzen, sind zu feige zu kapitulieren und dem Fuehrerbefehl zu widerstehen. Aber wir kleinen Offiziere sollten doch mal selbst entscheiden, obwohl wenn wir Pech haben, stellt uns der Hitler nachher an die Wand, weil wir seinen Befehl nicht befolgt haben. Daraufhin stand bei mir sofort der Entschluss fest, du laesst deine Soldaten hier nicht sinnlos weiter krepieren. Ich habe mich praktisch bei Paulus abgemeldet, habe gesagt: «Ich habe verstanden, Herr Generaloberst», er ist erst am naechsten Tag Feldmarschall geworden, «ich melde mich damit mit meiner Einheit ab.»
Absprache ueber eine Kapitulation
Ich habe dann in der Nacht selber mit der Roten Armee auf der anderen Seite Verbindung aufgenommen. Die Russen hatten Flugblaetter abgeworfen mit einer Losung. Und ich bin nachts im Schnee ruebergekrochen, mit Herzklopfen kostenlos kann ich wohl sagen, und habe immer dieses Losungswort gerufen, aber immer gewaertig, dass da ein 18-jaehriger Rotarmist steht und seine Kalaschnikow abfeuert auf mich. Aber ich bin dann trotzdem dort richtig angekommen, man hatte einen Dolmetscher und hatte einen Oberst dort rangeholt und dem habe ich gesagt, dass wir also kapitulieren wollen und haben alle Einzelheiten abgesprochen. In einer Stunde sollten alle mit erhobenen Haenden, ohne Waffen kommen.
Und als ich zurueckkam zu meinen Leuten, da stehen zwei Leutnants dort von unserer Nachbardivision, der Hoch- und Deutschmeisterdivision, der 44. aus Wien, und bestellen mir von ihrem General, er haette gehoert, ich wollte kapitulieren oder desertieren hat er sogar gesagt, und er wuerde jeden, der hier zu den Russen uebergeht mit Maschinengewehren, abschiessen lassen. Meine Leute haben mir dann auch gesagt: «Ja, die haben da an unserem Fluegel Maschinengewehre aufgestellt.»
«Ich garantiere, dass kein Schuss faellt»
Nun wollte ich ja meine Soldaten retten und nicht noch von Deutschen totschiessen lassen, also bin ich noch mal rueber zu den Russen und habe ihnen die Lage geschildert. Wir lagen an der Schlucht, die macht da so einen Knick und habe deshalb dann vorgeschlagen: «Wir koennen nicht mit erhobenen Haenden rueberkommen, weil das solche Gefahr besteht, aber in dem Knick von der Schlucht, wo die Hoch- und Deutschmeisterdivision nicht Einblick nehmen kann, sollen sie im Morgengrauen kommen. Ich garantiere, dass kein Schuss faellt.» Sie koennen uns dann dort in unserer Stellung, wo wir im Schnee eingegraben lagen, gefangen nehmen. Und so ist es dann auch erfolgt. Morgens in der ersten Daemmerung sind dann die Rotarmisten gekommen, wir hatten alle Waffen auf einen Haufen gelegt und haben dann kapituliert.
Quelle: http://kriegsende.ard.de