12 August 2012| Kolesnikow Alexander

Ich war der Sohn eines Heeres

www.visualrian.ru. Alexander Kolesnikow

Im März 1943 sind mein Freund und ich aus der Schule weggelaufen. Einfach raus aus einer Schulstunde, hin an die Front. Es gelang uns, in einem Güterzug unterzukommen, der mit gepresstem Stroh ausgelegt war. Zuerst schien alles gut zu laufen, doch dann entdeckte man uns an irgendeiner Bahnstation und verfrachtete uns nach Moskau zurück.

Auf dem Rückweg büchste ich wieder aus. Ich wollte an die Front zu meinem Vater, der dort als Stellvertretender Kommandeur einer motorisierten Einheit seinen Dienst tat. Wo bin ich nicht überall gewesen! Wie viele Kilometer war ich zu Fuß unterwegs oder haben mich vorbeifahrende Autos mitgenommen! Einmal traf ich in Neshina durch Zufall einen verletzten Panzersoldaten aus dem Regiment meines Vaters. Es stellte sich heraus, dass meine Mutter meinem Vater von meinem „Heldentum“ Mitteilung gemacht hatte und dass mich nun bei meinem Vater eine ordentliche Tracht  Prügel erwartete.

Eine solche Ankündigung ließ mich natürlich meine Pläne verändern. Ich dachte nicht lange nach und mischte mich unter die Panzersoldaten, die gerade für eine Umstrukturierung ins Hinterland unterwegs waren. Ich erzählte ihnen, dass auch mein Vater Panzerfahrer sei, dass ich meine Mutter während einer Evakuation verloren hätte und nun ganz alleine dastehen würde. Sie glaubten mir und nahmen mich bei sich auf. So wurde ich der Sohn ihres Heeres: im 11. Panzerregiment des 50. Heeres. So war ich mit 12 Jahren schon Soldat.

Zweimal wurde ich zum Auskundschaften hinein ins Feindesgebiet geschickt. Beide Male hatte man mir eine Aufgabe gegeben. Freilich hätte ich das erste Mal fast unseren Funker verraten, dem ich ein Paar neue elektrische Batterien für sein Funkgerät bringen sollte. Das Treffen war auf einem Friedhof angesetzt. Als Zeichen wurde Entengeschnatter verabredete. Es begab sich, dass ich mich nachts auf einem Friedhof einfand. Es war ein grauenhaftes Bild: sämtliche Gräber waren durch Einschüsse aufgewühlt. Wahrscheinlich eher aus Angst, als aus dem Gespür für die reale Situation begann ich wie eine Ente zu schnattern. Ich gackerte mit einer solchen Inbrunst, dass ich nicht bemerkte, wie von hinten unser Funker angekrochen kam und mir mit seiner Hand den Mund zuhielt. Er flüsterte mir zu: „Bist du verrückt geworden, Bürschchen? Wo hat man so etwas denn schon mal gesehen, dass die Enten in der Nacht gackern? Die schlafen nachts!“ Trotz alledem hatte ich meine Aufgabe erfüllt. Nach einigen erfolgreichen Missionen ins Feindesland, begannen mich die Soldaten und Offiziere voller Hochachtung San Sanytsch (die etwas zärtliche Kurzform von Alexander Alexandrowitsch – A.d.Ü.) zu nennen. (Die Anrede mit dem Vatersnamen ist nur bei Erwachsenen üblich und entspricht der Sie-Form im Deutschen – A.d.Ü.)

Im Juni 1944 bereitete sich die erste weißrussische Front zum Angriff vor. Man rief mich in die Abteilung für Kundschafter und stellte mich dort dem Flieger-Oberstleutnant vor.  Das große Ass der Luftabwehr mustere mich und war voller Zweifel. Der Leiter der Aufklärung erkannte das Misstrauen in den Augen des Oberstleutnants und bekräftigte ihm, dass man mir, San Sanytsch, wirklich vertrauen könne und dass ich schon seit langem ein „alter Hase“ sei.

Der Flieger-Oberstleutnant sprach nicht viel. Er sagte nur kurz, das die Hitlertruppen bei Minsk einen mächtigen Verteidigungstrupp versammeln würden. Per Schiene käme ständig neue Technik an die Front, die irgendwo im Wald entladen wird, auf einem getarnten Abstellgleis, so etwa 60 bis 70km von der Front entfernt. Dieses Abstellgleis gilt es zu zerstören. Doch das war nicht ganz einfach. Die Fallschirmspringer von der Aufklärung waren mit ihrer Mission schon gescheitert und nicht zurückgekehrt. Auch die Luftaufklärung kann dieses Abstellgleis nicht ausmachen. Es ist perfekt getarnt. Die Aufgabe für mich bestand  darin, innerhalb von drei Tagen das versteckte Abstellgleis zu finden, seine Lage auf einer Karte zu fixieren und an den Bäumen, unter denen das Gleis versteckt lag, alte Bettlaken aufzuhängen.

Man gab mir zivile Kleidung, die ich anziehen sollte, und einen ganzen Stoß Bettwäsche. Mir wurde aufgetragen, mich als elternloser Jungen auszugeben, der Bettwäsche gegen Lebensmittel eintauscht. Die Frontlinie überschritt ich mit einer Gruppe anderer Kundschafter. Auch sie hatten alle ihre Aufgabe und so ging bald jeder seiner Wege. Ich marschierte durch den Wald, immer der Haupteisenbahnlinie entlang. Alle 300 bis 400 Meter patrouillierten Deutsche. Ziemlich geschafft, schlummerte ich tagsüber einmal ein und wäre fast in die Falle gegangen. Ich wachte von einem mächtigen Fußtritt auf. Zwei von der Polizei durchsuchten mich und schmissen den ganzen Haufen Wäsche durcheinander. Die wenigen Kartoffeln, das Stück Brot und den Speck, den sie gefunden hatten, nahmen sie mir sofort weg. Auch einige Kopfkissenbezüge und Handtücher mit weißrussischen Stickereien nahmen sie mit. Zum Abschied „segneten“ sie mich: „Scher dich fort, bevor man dich hier noch abschießt!“

Da war ich also noch einmal mit dem Schrecken davongekommen.  Zum Glück hatten die Polizisten nicht meine Jackentaschen nach außen gekehrt, denn damit hätte es böse enden können. Im Futter meiner Jacke war nämlich eine Landkarte eingedruckt, auf der sämtliche Bahnstationen eingezeichnet waren.

Am dritten Tag stieß ich auf die toten Körper der Fallschirmspringer, von denen der Flieger-Oberstleutnant gesprochen hatte. Die heldenhaften Kundschafter hatten offensichtlich in einem sehr ungleichen Kampf ihr Leben gelassen.

Bald darauf wurde mir der Weg von einem Stacheldrahtzaun versperrt. Dahinter lag eine Zone, die man nicht betreten durfte. Ich ging einige Kilometer immer am Stacheldraht entlang, bis ich an die Haupteisenbahnlinie gelangte.  Ich hatte Glück: ein ganzer Zug, der ganz mit Panzern beladen war, bog langsam von der Hauptlinie auf ein Nebengleis ab und verschwand unter dichten Bäumen. Das war es also, das geheime Abstellgleis!

Die Faschisten hatte es hervorragend getarnt. Mehr noch, der Zug schob seine Ladung. Die Lock befand sich am Ende des gesamten Zuges. Somit konnte man den Eindruck bekommen, dass die Lock sich auf der Haupteisenbahnlinie befand, denn nur dort stieg der Dampf in den Himmel.

In der Nacht kletterte ich auf einen Baum, der neben der Weiche stand, durch die sich das Abstellgleis von der Hauptlinie entfernte. Dort hängte ich das erste Laken auf. Bis zum nächsten Morgen hatte ich auch noch an drei weiteren Stellen Betttücher befestigt. Den letzten Punkt markierte ich mit meinem eigenen Hemd, dass ich an den Ärmeln festband. Ich ließ es im Wind wie eine Flagge wehen.

Auf dem letzten Baum blieb ich bis zum Morgen sitzen. Ich hatte Angst. Am meisten jedoch davor, einzuschlafen, sodass ich das Erkundungsflugzeug verpassen könnte. Die „Lawotschkin-5“ erschien pünktlich am Himmel. Die Faschisten schossen nicht auf sie, um damit nicht sich selbst und ihren geheimen Ort preiszugeben. Das Flugzeug drehte in der Ferne einige Runden, dann flog es über mir, „winkte mir mit den Flügeln zu“ und folg dann wieder in Richtung Frontlinie zurück. Dies war das vereinbarte Signal, das besagte: „Die Position des Gleises ist ausgemacht, mach dich fort, wir werde es bombardieren!“

Ich band das Hemd vom Baum und kletterte nach unten. Ich war gerade etwa zwei Kilometer gegangen, da hörte ich das Getöse unserer Bomber, und dort, wo das geheime Abstellgleis des Feindes lag, krachte und explodierte es nun unablässig. Das Echo dieser Kanonade begleitete mich noch den ganzen ersten Tag meines Rückmarsches hin zur Frontlinie.

Am nächsten Tag gelang ich an den Fluss Slutsch. Ich hatte nichts, womit ich über diesen hätte schwimmen können. Mehr noch, am gegenüberliegenden Ufer sah ich Wachposten  der Deutschen. Etwa einen Kilometer weiter nördlich konnte ich eine alte Holzbrücke erkennen, über die das einzige Eisenbahngleis weit und breit führte. Ich fasste den Entschluss, mit einem deutschen Zug über diese Brücke zu fahren, indem ich mich irgendwo an einen Bremsklotz hängen würde. So hatte ich es schon einige Male getan. Auf der Brücke und am Gleis entlang standen Wachposten. Ich versuchte mein Glück auf einem Ausweichgleis, wo die Züge hielten, um Gegenzüge passieren zu lassen. Ich kroch vorwärts, versteckte mich hinter Büschen und stärkte mich auf dem Wege mit Walderdbeeren. Plötzlich, direkt vor mir, ein Stiefel! Ich dachte, das ist ein Deutscher. Ich kroch zurück, doch da hörte ich eine leise Stimme flüstern: „Noch ein Zug geht durch, Genosse Kommandeur.“

Mein Herz stand still. Ich fasste dem Kommandeur an den Stiefel, wodurch ich diesem einen ordentlichen Schreck einjagte. Er erkannte mich: wir hatten zusammen die Frontlinie überschritten. Das eingefallene Gesicht gab mir zu verstehen, dass er und die anderen Kundschafter sich nicht den ersten Tag an der Brücke befanden, aber nichts tun konnten, um diesen Transportweg zu zerstören.

Der Zug, der sich gerade der Brücke näherte, war kein gewöhnlicher. Die Wagons waren alle versiegelt und von der SS bewacht. So und nicht anders wurden neue Waffen und Nachschub für den Kampf an der Front transportiert. Der Zug hielt an, um einen Gegenzug, einen Sanitätszug, passieren zu lassen.

Die Wachmänner des Zuges mit den Munitionslieferungen gingen mit ihren Maschinengewehren alle zusammen auf die uns gegenüberliegende Seite, um zu schauen, ob nicht irgendjemand unter den Verletzten war, den sie kannten.

Und hier überkam es mich! Ich ergriff die Sprengladung aus der Hand eines unserer Soldaten und ohne auf eine Erlaubnis zu warten, warf ich mich in Richtung Damm, kroch unter einen Wagon und zündete einen Streichholz an. In diesem Augenblick ruckten die Räder des Wagons. Ich spürte die Sohle eines beschlagenen Stiefels eines SS-Manns. Unter dem Wagon hervorzukriechen, war schon nicht mehr möglich. Was sollte ich nun tun? Ich öffnete den Kohlekasten und kletterte zusammen mit der Sprengladung dorthinein. Als das Dröhnen der Räder vom Belag der Brücke dumpf zu klingen begann, zündete ich erneut einen Streichholz und mit diesem die Zündschnur der Sprengladung.

Bis zur Explosion blieben nur noch wenige Sekunden. Ich schaue auf die glühende Schnur und denke mir: Jetzt werde ich gleich in Stücke gerissen. Ich sprang aus dem Kasten, durch die Wachposten hindurch und von der Brücke ins Wasser. Ich tauchte weit und kam nur für eine Sekunde an die Oberfläche, um Luft zu holen. Ich schwamm mit der Strömung. Die Schüsse der Wachposten von der Brücke überschlugen sich mit denen der Maschinengewehre der SS-Männer. Aber in diesem Moment explodierte meine Sprengladung. Die Wagons mit dem Munitionsnachschub gingen einer nach dem anderen, wie an einer Kette, in die Luft. Der Feuersturm erfasste alles: die Brücke, den Zug und die Wachmannschaft.

Obwohl ich mich mit allen Kräften darum bemühte, weit fort zu schwimmen, erreichte mich ein Boot der faschistischen Wachposten und holte mich aus dem Wasser. In dem Moment, als das Boot am Ufer unweit eines Wachhäuschen festmachte, verlor ich unter den schmerzenden Schlägen das Bewusstsein. Die zu Bestien gewordenen Hitler-Männer kreuzigten mich. Sie nagelten mich an Händen und Beinen an die Wand des Wachhäuschens, neben dem Eingang.

Doch unsere Kundschafter retteten mich. Sie hatten gesehen, dass ich von der Explosion heil davon gekommen, jedoch in die Hände der faschistischen Wachmannschaft gefallen war. Sie griffen völlig unerwartet das Wachhäuschen an und holten mich von den Deutschen zurück. Ich kam erst wieder unter einem Ofen eines Hauses einer niedergebrannten weißrussischen Siedlung zu mir. Dort erfuhr ich, dass die Kundschafter mich von der Wand genommen, in eine Zeltbahne gelegt  und auf Händen zurück über die Frontlinie gebracht hatten. Auf dem Weg stießen sie in einen Hinterhalt der Gegner. Viele ließen in einem kurzen Feuergefecht ihr Leben. Ein verwundeter Sergeant ergriff mich und brachte mich aus dem Feuerkessel hinaus in Sicherheit. Er versteckte mich, überließ mir sein Maschinengewehr und ging Wasser holen, um meine Wunden zu behandeln. Es war ihm nicht vergönnt zurückzukehren …

Wie viel Zeit ich in meinem Versteck gewesen bin, weiß ich nicht. Ich verlor das Bewusstsein, kam wieder zu mir und fiel dann wieder in die nächste Ohnmacht. Plötzlich hörte ich Panzer, dem Klang nach unsere. Ich schrie laut, doch durch den Lärm der Ketten konnte mich natürlich niemand hören. Wegen der Anspannung verlor ich erneut das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, hörte ich, wie um mich herum russisch gesprochen wurde. Oder waren es Polizisten? Ich vergewisserte mich kurz, dass es unsere Leute waren, und rief um Hilfe. Man holte mich unter dem Ofen hervor und brachte mich sofort in die Sanitätsstelle. Später war es dann das Fronthospital, dann ein Sanitätszug und am Ende ein Krankenhaus im fernen Novosibirsk. Dort verbrachte ich fast fünf Monate.

Noch bevor ich ganz wieder gesund geworden war, floh ich aus dem Krankenhaus gemeinsam mit anderen Panzersoldanten, die entlassen wurden. Ich überredete die alte Großmutter, die an meinem Bett neben mir wachte, mir irgendwelche alte Kleidung zu bringen, damit ich „einen Spaziergang in der Stadt“ unternehmen könnte.

Mein Heer erreichte ich, als es schon in Polen war, bei Warschau. Ich wurde den Panzersoldaten zugeteilt. Während der Überquerung der Weichsel mussten wir ein unfreiwilliges Bad im Eise ertragen. Durch das Aufprallen zweier Granaten, wurden wir richtig durchgeschüttelt und der T-34 sank auf Grund. Die Luke ließ sich trotz der Anstrengungen der Jungs durch den Wasserdruck nicht öffnen. Langsam füllte sich der Panzer mit Wasser. Schon bald stand es mir bis zum Hals.

Schließlich gelang es uns doch, die Luke zu öffnen. Die Jungs schoben mich als Ersten nach draußen. Danach tauchten sie alle der Reihe nach wieder in das eiskalte Wasser, um ein Seil an den Haken zu befestigen. Zwei spezielle „Vierunddreißiger“ zogen daraufhin den gesunkenen Panzer aus dem Fluss.

Während dieses Abenteuers traf ich auf der Fähre den Flieger-Oberstleutnant, der mich damals auf die Suche nach dem geheimen Abstellgleis geschickt hatte. Wie der sich freute!

—          Ich bin schon ein halbes Jahr nach dir auf der Suche! Ich habe mir geschworen, dich unbedingt lebendig wiederzufinden!

Die Panzersoldaten erlaubten mir, die Truppe der Luftabwehr für einen Tag zu besuchen. Dort lernte ich Piloten kennen, die das geheime Abstellgleis bombardiert hatten. Ich wurde mit Schokolade überhäuft und sie nahmen mich mit auf einen Rundflug mit der U-2. Danach trat das gesamte Herr  an und mir wurde feierlich der Orden des Ruhmes 3. Grades verliehen.

Auf den Seelower Höhen gelang es mir am 16. April 1945 einen faschistischen „Tiger“ abzuschießen. Auf einer Kreuzung stießen zwei Panzer Stirn an Stirn aufeinander. Ich war damals für das Zielen verantwortlich, schoss als Erster und traf den „Tiger“ unter der Haube. Das schwere Artilleriegeschoß flog wie ein leichter Ball.

Am selben Tag aber wurde später auch unser Panzer zerstört. Zum Glück blieb die ganze Besatzung am Leben. Wir wechselten auf einen anderen Panzer und kehren in den Kampf zurück. Von den Jungs, mit denen wir dann auf dem zweiten Panzer weitermachten, sind aber nur drei am Leben geblieben.

Am 29. April fuhr ich bereits auf dem fünften Panzer. Von unserer Truppe war ich der Einzige, der mit dem Leben davon gekommen war. Eine Faustpatrone explodierte im Motorraum unseres Kampfgefährts. Ich war auf dem Platz, wo man das Kanonenrohr auf sein Ziel ausrichtet. Der Fahrer griff mich an den Beinen und warf mich durch die vordere Luke aus dem Panzer. Danach begann auch er herauszuklettern. Doch nur wenige Sekunden hatten ihm gefehlt: Die Geschosse begannen zu explodieren und der Fahrer kam so ums Leben.

Erst am 8. Mai kam ich in einem Hospital wieder zu mir. Es befand sich in Karlshorst, gegenüber des Gebäudes, wo der Akt zur Kapitulation Deutschlands unterschrieben wurde. Niemand von uns wird diesen Tag jemals vergessen können. Wir Verletzten achteten weder auf Ärzte und Krankenschwestern noch auf unsere Wunden. Wir sprangen umher, tanzten und fielen uns in die Arme. Einige legten mich in ein Laken und zogen mich ans Fenster, als nach der Unterzeichnung der Kapitulation Marschall Shukow aus dem Gebäude trat. Danach führte man Keitel mit seinem geknickten Gefolge aus dem Tor heraus.

Nach Moskau kehrte ich erst im Sommer 1945 zurück. Ich konnte mich lange nicht entschließen, nach Hause zu gehen, das heißt, in die Begovaja Straße. Ich hatte meiner Mutter schon zwei Jahre keine Briefe mehr geschrieben, weil ich Angst hatte, dass sie mich von der Front holen würde. Ich hatte solche Angst, ihr gegenüberzutreten, denn ich begriff erst jetzt, wie viel Leid ich ihr zugefügt hatte. Ich betrat lautlos die Wohnung, so wie man es mir bei der Aufklärung beigebracht hatte. Doch ihre Intuition als Mutter erwies sich als feiner. Sie wandte sich augenblicklich um, erhob den Kopf und sah mich an, blickte auf meine Uniform und meine Medaillen …

—          Rauchst du? – fragte sie mich schließlich.

—          Ja! – log ich, um meine Verwirrung zu verbergen und meine Tränen zu unterdrücken.

Viele Jahre später kehrte ich dann noch einmal an den Ort zurück, an dem die Brücke in die Luft geflogen war. Ich suchte das Wächterhäuschen. Ich ging ein wenig in der Gegend umher und schaute mir die neu gebaute Brücke an. Nichts mehr erinnerte daran, was für eine furchtbare Tragödie sich hier zugetragen hatte, in den Jahren des Krieges.

Das machte mich irgendwie sehr sehr traurig. …

Uebersetzt von Henrik Hansen

www.deu.world-war.ru

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