11 September 2014| Luganskaja Swetlana Alexejewna

Ein Blick auf die Serbische Geschichte vom Lager aus

Светлана Луганская

Swetlana Alexejewna Luganskaja

Jasenovac ist ein System von Todeslagern, das von der Ustascha (kroatischen Faschisten) im August 1941 errichtet worden ist. Die Lager befanden sich 60 km von Zagreb entfernt, auf dem Gebiet des Unabhängigen Kroatischen Staates, der mit dem nazistischen Deutschland zusammenarbeitete.

Die Neumärtyrer von Jasenovac  — das sind orthodoxe Häftlinge in Kroatien, die in den Jahren von 1941 bis 1944 den Märtyrertod gestorben sind. Aus verschiedenen Quellen geht hervor, dass in den Jahren des Zweiten Weltkrieges tausende orthodoxe Serben ermordet worden sind, worunter viele wegen ihrer Ergebenheit der Orthodoxie gegenüber sterben mussten. Die Bischofssynode der Serbischen Orthodoxen Kirche hat diese Neu-Märtyrer von Jasenovac heilig gesprochen. Ihre Namen sind auch in den Heilgenkalender der Russischen Orthodoxen Kirche aufgenommen worden, wo ihrer am 31. August (13. September) feierlich gedacht wird.

Der Unabhängige Staat Kroatien – Faschismus auf serbischem Boden

Der Unabhängige Staat Kroatien [1] war eine Schöpfung mit faschistischem Kalkül, welcher mit Hilfe Hitlerdeutschlands, Mussolinis Italiens und mit Segen des Römischen Papstes Pius XII auf dem Territorium Jugoslawiens – Kroatien und Bosnien-Herzegowina sofort nach der Annektierung Jugoslawiens durch die Hitlertruppen geschaffen wurde.

Der USK ging durch ungekannte Gräueltaten der Kroaten an Serben, Juden und Zigeunern in die Geschichte ein. In der Zeit des Zweiten Weltkrieges wurden auf dem Gebiet des USK etwa 2 Millionen Serben ermordet. Im USK galten die Serben als vogelfrei und im großen Ausmaß wurde eine Politik betrieben, die systematisch darauf hinwirkte, die Serben auf bestialische Weise auszurotten. So war es erlaubt, Serben ungestraft zu töten und zu foltern, sie aus ihren Häusern zu verjagen und zu enteignen. Unter der Vielzahl der Konzentrationslager erlangte jenes von Jasenovac, in dem 700000 Menschen ums Leben kamen, die größte Bekanntheit.

Vukaschin aus dem alten Geschlecht der Mandrapas    

Vukaschin entstammt dem Geschlecht der Mandrapas aus Herzegowina, von dem auch ein Zweig in Sarajewo (der Hauptstadt von Bosnien), in der wohl bekannten, alten und schönen Villa der Mandrapas in der Mislosh-Obilitsch-Straße lebte.

Die Mandrapas waren ein altes, wohlhabendes Kaufmannsgeschlecht aus Sarajewo. Sie waren bekannt für ihre Wohltätigkeit und ihren Einsatz für den Schutz des kirchlichen Eigentums und der Kirche zu Ehren der Erzengel Michael und Gabriel, der sogenannten alten serbisch-orthodoxen Kirche, die auf das 15. Jahrhundert zurückgeht und das älteste Bauwerk Sarajewos war. Die beiden Söhne des alten Tschitscha Mandrapa – Tschedo und Dobrilo, zwanzig bzw. fünfundzwanzig Jahre alt – standen schon seit April 1941 mit dem „Wald“ in Verbindung, das heißt, mit den bewaffneten Volksgruppen, die die serbischen Dörfer und jene Orte beschützten, an denen sich die Serben vor dem Terror und dem Völkermord an ihnen durch die Ustascha versteckten hielten, der im Mai 1941 in der Gegend um Sarajewo begonnen hatte. Beide sind sie in Jasenovac umgekommen, wie auch ihr Onkel der Heilige Vukaschin.

Bis in die 70-iger Jahre überlebten nur ein anderer Sohn der Mandrapas Bogdan — er war  verwundet worden und daher schwerbeschädigt — und eine Tochter – Slawka. Sie war Lehrerin. Ihr Sohn, der Enkel von Tschitscha Mandrapa hat in den achtziger Jahren in der Staatlichen (Universitäts-) Bibliothek „Veniza“ gearbeitet, die später von in den Massenmedien der ganzen Welt als „Objekt, welches durch serbische Granaten aus Trebewitsch kommend in eine Ruine verwandelt wurde“, traurige Berühmtheit erlangte. In Wirklichkeit jedoch ist sie verbrannt — angezündet um das riesige Archiv zu zerstören, das sehr viel über die Vergangenheit Sarajewos und über das Zusammenleben der drei religiösen Gruppen (das heißt der vier, die Juden mit einbegriffen) zu berichten wusste und so auch einige hätte entlarven können.

Die Stadtvilla der Mandrapas selbst in der Milosch-Obilitsch-Straße ist ein eindrucksvolles Beispiel städtischer Bebauung des 18.-19. Jahrhunderts (sie erinnert an das Manak-Haus in Belgrad und noch mehr an das Haus gegenüber der Kathedrale in Belgrad, in dem sich heute das Café „Fragezeichen“ befindet) und solle ein Denkmal für ethnischer Kultur werden und steht deshalb unter dem Schutz des Staates. In diesem Haus lebte und arbeitete — er betrieb Handel — der spätere Märtyrer. Er genoss als eifriger Beschützer der Besitztümer der Serbisch- Orthodoxen Kirchen in Basch-Tscharschii (ein großer, bekannter Stadtteil von Sarajewo) große Achtung unter den Menschen und deshalb hat gerade diese Kirchengemeinde, wie auch das gesamte serbische Sarajewo, guten Grund, den Heiligen Vukaschin – den Knecht Gottes und Diener der Erzengel, als ihren himmlischen Schutzpatron zu feiern. Gemeinsam mit ihm taten auch andere Mitglieder der Familie wie Tschedo und Dobro als Kirchensänger und Lektoren ihren Dienst in der alten Kirche. …

Die Verschwörung des Schweigens

Der Heilige war bis ungefähr Ende Juni (vielleicht auch bis Juli) 1941 in Sarajewo, als viele andere bekannte Einwohner der Stadt anfingen, die Stadt zu verlassen. Die einen machten sich auf nach Serbien, wo sie dem Völkermord entkommen konnten, andere flohen in die „Wälder“! Der Heilige Vukaschin versteckte sich in den Wäldern in Herzegowina (natürlich nicht bei den Partisanen, denn die gab da einfach noch nicht).

Von da an verloren seine Verwandten jeglichen Kontakt mit ihm und wussten nichts mehr von ihm. Die ersten Berichte von seinem Märtyrertod und von der Größe seines Einstehens für Christus, gelangten erst nach dem Krieg durch den Arzt Nedelko Nedo Sez nach Sarajewo. Doktor Sez brachte die Nachrichten zu jenen Mitgliedern der Familie Mandrapa, die noch am Leben waren (zu Bogdan und Slavka), als er ihnen 1946 zum Fest des Schutzheiligen ihrer Familie einen Besuch abstattete.

Dank dieser Begegnung verbreitete sich die Nachricht vom Heiligen im Jahre 1946 nicht nur in Sarajewo, sondern auch in Mostar und Chaplin. Die gesamte Familie, ja die ganze Sippe der Mandrapas wurden als Märtyrer angesehen. Deshalb auch hat sich die Polizei unter Titow – wohl wissend, was für bestialische Verbrechen der UKS an den Serben und Juden verübt hatte, nicht getraut, das Haus der Familie Mandrapa anzutasten. Niemand hat den Heiligen Vukaschin laut erwähnt, wie auch über Jasenovac selbst, dieser offenen Wunde für tausende Familien von Sarajewo (und weiteren tausend auf dem gesamten Territorium von Bosnien und Herzegowina), nicht offiziell gesprochen wurde.

Unmittelbar nach dem Krieg kamen in Sarajewo die überlebenden Häftlinge von Jasenovac zusammen. Es waren entweder die „Handwerker“ von Jasenovac, die sich in einem gesonderten Teil des Lagers befanden und für die nahegelegene Garnison der Ustascha Reparaturarbeiten verrichten mussten, oder aber die Häftlinge, die „Glück“ hatten, dass die Deutschen sie der Ustascha weggenommen hatten und deshalb nur für kurze Zeit, vor ihrem Abtransport nach Deutschland, in Jasenovac untergebracht worden waren.

Die Häftlinge, die überlebt hatten, machten es sich zum Ziel, ihre Erinnerungen an Jasenovac zusammenzutragen, um – soweit dies möglich ist – von den Folterungen zu berichten.

Ein Blick auf die Serbische Geschichte aus der Perspektive des Lagers.

Wir, die ehemaligen Häftlinge von Jasonavac haben schon in den vierziger Jahren, also in den Jahren des Krieges, begriffen, dass wir für unsere Feinde allesamt „Menschen fürs Lager“ sind, ja, dass diese meinen, dass unsere gesamte Nation ins Lager gehört. Unsere militärischen „Verbündeten“ haben uns 1944, sowie auch 1989 und 1999 gezeigt, dass wir für sie ein Volk sind, dessen Geschichte vom Lager geprägt ist, nicht aber durch Befreiungskämpfe und militärische Siege. Deshalb ist es für die serbische Geschichte wichtig, dass man neben den Erfahrungen im Partisanenkampf und in Befreiungskriegen auch die Erfahrung der Lagerhaft untersucht und beleuchtet, damit diese zu einem Teil unseres Glaubens und unserer Seele wird und ein Zeichen für die Überlebensfähigkeit unseres Volkes!

Der heilige Starez Vukaschin aus Klepez [2] meint, dass das Bewusstsein des Lagers in der serbischen Geschichte unser lebendiger Glaube, unser Zeuge und Einstand vor dem Herrn Christus sei. Mit diesem Bewusstsein werden wir immer daran denken, dass diese irdische Welt ein Tyrann ist und für Tyrannen ist und nichts für edle Seelen!“ (Petr P. Hegosch). Wir werden immer daran denken, dass nur Demut und ein unerschütterlicher Glaube, wie der von Vukaschin von Jasenovac, uns aus dem Abgrund erheben können, nicht aber irgendwelche politischen Entscheidungen.

Bischof Petr, Metropolit von Dabrobosnien

Der Märtyrer und Bischof Petr, Metropolit von Dabrobosnien

Der Metropolit von Dabrobosnien (mit weltlichem Namen Petr Zimonitsch) wurde am 24. Juni 1866 im Städtchen Grachowo geboren. Sein Vater war der bekannte Priester und Heerführer Bogdan Zimonitsch – der Held des berühmten Aufstandes von Herzegowina im Jahre 1875.

Metropolit Petr brachte der Herzegowina, als er Bischof von Zachum und Herzegowina war, den Geist des Friedens. Er tröstete und versöhnte das Volk miteinander. Der Metropolit, der von patriotischer Gesinnung war, kämpfte mutig für die kirchliche Unabhängigkeit Serbiens von Österreich-Ungarn, was ihm große Verehrung und Unterstützung im Volke einbrachte. Während seiner Zeit als Bischof in Bosnien fühlten die Menschen stärkeren Halt im Glauben und das religiöse Leben lebte auf, welches dann später, im Jahre 1905, Früchte trug: Das serbische Volk erhielt seine kirchliche Autonomie. Metropolit Petr wurde Erzbischof der Serbischen Kirche in einer Zeit, als die Römisch-Katholische Kirche, die von Österreich-Ungarn unterstützt wurde, ihre Aktivitäten, Serben für die katholische Kirche zu gewinnen, in diesen Gebieten verstärkte. Der Metropolit stellte sich entschieden gegen die Annektierung und Besetzung von Gebieten, die von alters her serbisch sind, durch Österreich-Ungarn. Er gab dem Volk geistlichen Beistand und den Gläubigen Hoffnung auf eine bessere Zukunft und auf die Befreiung im Geiste. Sein Dienst und sein Mut waren Beispiel und Stütze für das serbische Volk während der Besetzung Bosniens 1908 und während des Ersten Weltkrieges. Der Heilige wurde mit den höchsten kirchlichen Auszeichnungen geehrt —  mit dem Orden des Heiligen Sawa I., mit dem Weißen Adler IV. Stufe und dem Karageorgij-Stern.

In der Zeit des Zweiten Weltkrieges hatte er das Amt des Metropoliten von Dobrobosnien inne und residierte in der Hauptstadt Bosniens in Sarajewo. Während der Bombenangriffe auf die Stadt fand Metropolit Petr vorrübergehend Zuflucht im Kloster zu Ehren der Heiligen Dreifaltigkeit in der Nähe des Städtchens Plewl. Dort zelebrierte er eine der sonntäglichen Liturgien gemeinsam mit dem Archimandriten Seraphim, mit dem er dann später zusammen den Kelch des Märtyrertodes leeren sollte.

Am dritten Tag in der Osterwoche des Jahres 1941 kehrte der Metropolit nach Sarajewo zurück. Dies war bereits die Zeit, als in Sarajewo und in anderen Städten Bosniens die Verfolgungen und Morde an den Serben begonnen hatten. Viele versuchten den Metropoliten dazu zu überreden, den Bischofssitz aufzugeben und sich nach Serbien oder Montenegro abzusetzen. Alle diese Überredungsversuche jedoch würgte er ab mit den Worten: „Ich bin der Hirt und meine Pflicht ist es, gemeinsam mit meiner Herde das Gute und Schlechte zu teilen: ein gemeinsames Kreuz tragen wir, zusammen haben wir ein Schicksal und ich werde es zusammen mit meinem Volk teilen“.

Am 27. April 1941 drang eine Patrouille von sechs deutschen Offizieren und Soldaten in die offizielle Residenz des Metropoliten ein. Einer der Nazis fragte: „Bist du der Metropolit, der sich für einen Krieg gegen Deutschland ausgesprochen hat? Du hast den Tod verdient!“ Daraufhin antwortete der Metropolit: „Sie irren sich gewaltig, mein Herr!“ Wir tragen keine Schuld an diesem Krieg. Wir haben niemanden angegriffen. Doch täuschen Sie sich nicht! Wir werden uns nicht unter ihrem Kugelhagel ergeben. Wir werden es Ihnen nicht erlauben, uns zu verschlucken wie einen Tropfen Wasser. Wir sind ein Volk und haben ein Recht zu leben!“

Anfang Mai des gleichen Jahres bekam der Metropolit einen Anruf vom katholischen Priester Boshidar Brale, der von der Ustascha als verantwortlicher Vertreter für Bosnien und Herzegowina eingesetzt worden war. Dieser verbot, allen Priestern der Diözese von diesem Tag an kyrillische Buchstaben zu verwenden und befahl, dass alle Buchstaben in Aufschriften und Stempeln durch lateinische Buchstaben zu ersetzen seien. Er drohte, dass, wenn der Befehl nicht fristgemäß umgesetzt ist, der Metropolit dafür zur Verantwortung gezogen werden wird. Die Antwort des Metropoliten war nur: „Man kann die kyrillische Schrift nicht innerhalb von 24 Stunden vernichten. Vergessen Sie bitte nicht, dass der Krieg noch nicht zu Ende ist!“ Wegen seiner Haltung wurde der Metropolit am 12. Mai 1941 in Haft genommen.

Bevor der Metropolit Petr jedoch inhaftiert wurde, ist es ihm noch gelungen, den gesamten ihm unterstellten Klerus zu sich zu rufen, um ihnen Anweisungen zu geben, wie sie des weiteren ihren Dienst verrichten sollten. Einige baten ihn um seinen Segen, für einige Zeit in Serbien Zuflucht suchen zu dürfen. Diesen jedoch antwortete der Metropolit: „Bleibt bei eurer Gemeinde und teilt mit ihnen alles, was auch geschehen mag“. Alle hörten auf seinen Rat. Viele von diesen Priestern starben den Märtyrertod. Einige überlebten den Krieg und konnten so Zeugnis ablegen von Metropolit Petr und all dem, was in diesen grausamen Tagen geschehen ist.

Am Abend des 12. Mai kamen Agenten der Ustascha in die Residenz des Metropoliten und erklärten, dass der Metropolit Petr ihnen unverzüglich in die „Direktion“ zwecks Ermittlungen zu folgen habe. In der „Direktion“ verbrachte er dann drei Tage. Am Abend des 17. Mai wurde er nach Zagreb (in die Hauptstadt Kroatiens) gebracht und dort in das Polizeigefängnis gesperrt. Gemeinsam mit ihm waren dort auch der Erzpriester Milan Boshitsch, die Doktoren der Theologie Duschan Eftanovitsch und Boja Besarevitsch inhaftiert. Man fotografierte ihn und nahm seine Fingerabdrücke. In der Kartei der Ustascha bekam der Metropolit die Nummer 29781. Von dort wurde er nach einigen Tagen in das Konzentrationslager Kerestinaz in der Nähe von Samobir verlegt. Im Konzentrationslager wurden ihm der Bart geschert, seine Mönchskutte zerrissen und er selbst wurde auf bestialische Weise gefoltert, bis er dann in ein anderes Konzentrationslager — entweder nach Gospitsch oder nach Jasenovac verlegt wurde.

Es existieren verschiedene Versionen vom Tod des Metropoliten. Es ist jedoch unangefochten, dass er Gott gegenüber bis zum Ende ergeben geblieben ist. Es ist nicht klar, ob sein Leichnam nun in die Karpfengrube auf dem Belebit oder aber in einen brennenden Ofen im Krematorium des Konzentrationslagers Jasenovac geworfen worden ist. Es ist jedoch klar, dass er seine Seele in die Hände des Herrn gegeben hat, wie so viele andere Gläubige, die so wie er für ihren orthodoxen Glauben sterben mussten.

Aus dem Buch „Der Ruhm und der Schmerz Serbiens“ in der Übersetzung von Swetlana Luganskaja.

 


[1] UDS – Unabhängiger Staat Kroatien

[2] Die Siedlung Kelpaz und die in ihr befindliche Kirche zu Ehren der Verklärung Christi wurden 1992 von den Kroaten zerstört.

 

Uebersetzt von Henrik Hansen
www.deu.world-war.ru

 

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