Die Wahrheit und die Luege ueber unsere Gefechtsverluste im Grossen Vaterlaendischen Krieg
In der heutigen Geschichtswissenschaft ist eine Reihe von handfesten Mythen vorhanden, die mit dem Grossen Vaterlaendischen Krieg verbunden sind. Einer von ihnen besagt, dass die sowjetische Kriegsleitung das Leben ihrer Soldaten kaum geschont und den Krieg nur dank unzaehliger Verluste gewonnen hat. In der Tat hat der Sieg Sowjetrussland sehr viel gekostet. Man muss aber im Auge behalten, dass auch der unerhoert starke Gegner enorme Verluste erlitten hat. Die hoechste Generalitaet des nationalsozialistischen Deutschlands war so selbstbewusst und resolut, und das deutsche Heer so gut vorbereitet und bewaffnet, dass auch Grossbritannien und Frankreich, zwei hoch entwickelte Laender, die ueber ein maechtiges Industriepotential verfuegten, Deutschland keinen gebuehrenden Widerstand im Krieg zu Lande leisten konnten, auch nicht mit vereinten Kraeften. Die vereinigte franzoesisch-englische Armee wurde 1940 im Laufe weniger eines Monats ganz zerschlagen.
Die Nazis selbst meinten, dass sie ihren Erfolg ihrer progressiven Ideologie verdankten. Der Grund war aber ein anderer. Deutschland ist ein Land, das eine ueber eine erstaunliche Kultur und Wissenschaft verfьgt, es hat die Welt mit hervorragenden Entdeckungen auf ganz verschiedenen Gebieten bereichert. In den 1920-1930er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nahm Deutschland sowohl in den wissenschaftlichen und technischen, als auch in den grundlegenden Bereichen der angewandten Wissenschaften und der Ingenieurskunst die fuehrende Stellung ein. Die Nazis erbten jenes Ausbildungssystem, ueber welches seinerzeit unser beruehmter Landsmann P. A. Stolypin sagte: „Die Schule in Deutschland ist vorbildlich. Der Schullehrer dort ist nicht nur Lehrer der Kinder, sondern auch Berater in wichtigen Fragen des Volkslebens. Die deutsche Schule entwickelt einen ausgepraegten Patriotismus, die beste Seite der Seele und der Vernunft.“ (P. A. Stolypin. “Leben und Sterben fuer den Zaren“. Verlag „Rjurik“, Moskau, 1991, S. 27). Die deutschen Lehranstalten bildeten Fachleute in allen Bereichen aus. Das Land hat das Offizierkorps der Kaiserarmee uebernommen, jener Armee, die den Ersten Weltkrieg beinahe gewonnen hatte. Dadurch konnte Deutschland zur national-sozialistischen Zeit in kuerzester Frist seine gut vorbereiteten und bewaffneten Kraefte entfalten, die sich auf eine sich progressiv entwickelnde Industrie und auf neuste Leistungen der Militaerwissenschaft stuetzten. Die Nazis haben sich alle offensichtlichen Leistungen dieser jahrhundertealten Kultur ihres Landes einfach angeeignet. Aber die Ideologie des deutschen Faschismus war von Grund auf aggressiv, unmenschlich und zerstoerend. Der erschuetternde Kriegserfolg im Westen hat Hitler zu dem Gedanken verleitet, dass ihm ein ebenso grosser Erfolg auch im Krieg gegen Sowjetunion garantiert sei. „Es ist zu erwarten“ – sprach Hitler im Gespraech mit den Armeefuehrern am 5. Dezember 1940, -„dass die russische Armee beim ersten Schlag der deutschen Truppen eine groessere Niederlage erleiden wird wie Frankreich 1940“. In einem anderen Gespraech mit Fuehrungspersonen der Armee, das am 9. Januar 1941 stattfand, ergaenzte er diese Aussage und sagte, dass „die russische Streitkraefte ein toenerner Koloss ohne Haupt sind. Sie haben keine gute Heerfuehrer und sind schlecht ausgeruestet.“ (Kurt von Tippelskirch. Operative Entscheidungen des Kommandos. Die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs. Verlag auslaendischer Literatur. Moskau, 1957. S. 73).
Aber wir sind staerker…
Im Kriegsverlauf aenderte sich uebrigens die Bewertung des sowjetischen Fuehrungsstabs gruendlich. Goebbels z.B. schrieb in seinem Tagebuch 1945 folgendes: „Man hat mir aus dem Generalstab ein Buch mit Lebenslaeufen und Photografien der sowjetischen Generaele und Marschaelle geschickt. Man kann aus diesem Buch Dinge herauslesen, die wir in den vergangenen Jahren ausseracht gelassen haben. Diese Marschaelle und Generaele sind durchschnittlich sehr jung, kaum jemand ist aelter als 50… Sie alle sind ueberzeugte Kommunisten, hoechst tatkraeftige Menschen, und man kann aus ihren Ansichten sehen, dass sie aus gutem voelkischen Holz geschnitzt sind. Es sind zum groesseren Teil Soehne von Arbeitern, Schustern, landarmen Bauern, usw. Kurz gesagt, man kommt zur bedauerlichen Ueberzeugung, dass die Befehlselite der Sowjetunion eine bessere Klasse als die unsere darstellt. Ich habe dem Fuehrer ueber die sowjetischen Marschaelle und Generaele erzaehlt und hinzugefuegt: mir scheint, dass wir mit einem solchen Leistungskaderbestand ueberhaupt nicht konkurrieren koennen. Der Fuehrer stimmte mir vollstaendig zu: Unsere Generalitaet ist zu alt und verbraucht…“ („Offenbarungen und Bekenntnisse“. Verfasser und Uebersetzer G.J.Rudoj. Verlag „Rusitsch“. Smolensk, 2000. S. 507-508). Die Objektivitaet dieser Worte wird auch durch eine Aussage unseres beruehmten Heerfuehrers Marschall Schukov bestaetigt: „Was die strategische Kunst ihrer Oberleitung und Gruppenarmeeleitung betrifft, so hat sie nach der Katastrophe bei Stalingrad, und besonders nach der Schlacht bei Kursk abgenommen. Die Hoechstleitungskader der deutschen Armeen haben die Initiative verloren und mussten infolgedessen mit neuen Faktoren und Methoden der operativen und strategischen Heerleitung umgehen, fuer die sie nicht vorbereitet waren. Als das Kommando der deutschen Truppen auf Schwierigkeiten bei den erzwungenen Rueckmarschen und bei der strategischen Verteidigung stiess, vermochte es nicht, sich umzustellen. Ungeachtet dessen, dass die Rote Armee, die Luftflotte und die Kriegsmarine quantitativ und besonders qualitativ unermesslich gewachsen waren, machten die Truppen und Leitungskader operativer und strategischer Ordnung grosse Fortschritte in ihrer Kunst und wurden unter den ueberaus schwierigen Bedingungen des bewaffneten Kampfes gestaehlt“ (G.K. Schukov, „Erinnerungen und Ueberlegungen“. ADN. Moskau, Band 2. S. 207).
Es ist anzumerken, dass die aeusserst schwierigen Bedingungen des bewaffneten Kampfes einen ganz unterschiedlichen Einfluss auf die sowjetische und deutsche Leitung ausgeuebt haben: Die deutsche Leitung konnte sich nicht umstellen, weswegen auch das Niveau ihrer strategischen Kunst sank; im Gegenteil dazu hat sich die sowjetische Leitung gefestigt und ist qualitativ unermesslich gewachsen. Damit der Mensch, ganz gleich, womit er sich beschaeftigt, sich umstellen und veraendern kann, muss er seine Fehler sehen wollen und koennen. Den Vertretern der deutschen Leitung fehlte aber diese Faehigkeit unverkennbar. Obwohl die Rote Armee ihnen eine Lehre gab und die Wehrmacht zerschlug, verlor die verbliebene deutsche Generalitaet nicht das Gefuehl ihrer scheinbaren preussischen Ueberlegenheit. So schrieb der Oberstgeneral Lothar Rendulitsch: „Und wenn zum Schluss der Krieg doch verloren war, so sind die deutschen Truppen daran nicht schuld“ („Der Weltkrieg“. Verlag auslaendischer Literatur. Moskau, 1957. S. 503). Auch einer der besten Heerfuehrer der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Erich von Manstein, hat seinen Erinnerungen den vielsagenden Titel „die verlorenen Siege“ gegeben. Der verlorene Sieg ist aber nur eine Niederlage. Man muss den Sieg dem Gegner entreissen, und dafuer muss man klueger, gewandter, mutiger sein.
Die deutschen Generaele haben ihre Niederlage folgenderweise erklaert: Der Fuehrer war unkompetent, er mischte sich in Entscheidungen strategischer Fragen ein und stoerte bei der Leitung der Truppen. Die Autoritaet der deutschen Generaele in Hitlers Augen wurde wirklich durch eine Reihe bedeutungsschwerer Misserfolge untergraben, und im Weiteren uebernahm Hitler die ganze Verantwortung bei Entscheidungen. Am Anfang des Krieges trug aber das Berufsmilitaer die ganze Verantwortung fuer Erfolge und Misserfolge. Und gerade jenes, das so stolz auf seinen Professionalismus war, hat die Kraefte der Sowjetarmee in einer Reihe sehr wichtiger Schlachten, wie z.B. in der Schlacht bei Moskau, unterstuetzt. Keiner hielt es fuer moeglich, dass die russischen Truppen bei Moskau zum entschlossenen Angriff uebergehen koennten. Die Rapporte von Piloten ueber die Konzentrierung grosser Kraefte an den Flanken und in oestlicher Richtung von Moskau wurden von der deutschen Oberleitung als „Quatsch“ und „Weiberaengste“ betrachtet. Die Deutschen konnten ueberhaupt nicht begreifen, dass die Russen nach ihrem Zusammenbruch, der endgueltig schien, irgendwelche neuen nennenswerte Kraefte konzentrieren konnten. (Oberstleutnant Greffrat. „Der Luftkrieg“. Aus: „Der Weltkrieg“. Verlag auslaendischer Literatur. Moskau, 1957. S. 475).
„Das alles hat dazu gefuehrt, dass die kaempferische und taktische Ueberlegenheit, die frueher auf der Seite der deutschen Truppen war, verloren wurde. Jetzt ging sie deutlich zu den Russen ueber, die nicht nur an das strenge Klima gewoehnt waren, sondern auch ueber entsprechende Winterausruestung und –bewaffnung verfuegten. Es schien, dass die russische Leitung nur auf jenen Moment gewartet hatte, dass die Angriffsmoeglichkeiten der Deutschen ausgingen, um den letzen Trumpf ausnutzen, sobald es die taktische Lage und die Klimabedingungen es zuliessen. Als dies eintrat, gingen die Russen sofort zum Gegenangriff auf dem gefaehrlichsten Abschnitt der Front ueber – im Raum der Heeresgruppe „Zentrum“. Sie nuetzen dafuer die aus dem Landesinneren herangezogenen Kraefte. Fuer die Deutschen waren diese Tage eine grosse Pruefung. Es bestand die Gefahr, dass die abgequaelten deutschen Truppen sowohl psychologisch, als auch koerperlich in den strengen Klimabedingungen nicht bestehen und dem Gegenangriff der feindlichen Truppen nicht standhalten wuerden“. (Generalmajor von Butler. Aus: „Der Weltkrieg“. Verlag auslaendischer Literatur. Moskau, 1957. S. 153, 180).
Nicht Quantitaet, sondern Fachkenntnis
Die deutschen Generaele nannten als einen Grund der Niederlage auch die Klimabedingungen. Man kann anmerken, dass solche Klagen schon frueher in der Zeit von Marschall Suvorov gefuehrt worden sind. Unser beruehmter Heerfuehrer hielt das fuer ganz unzulaessig. Als General Melas den Rueckstand der oesterreichischen Infanterie im Italienfeldzug mit schlechtem Wetter entschuldigt hat, schickte Alexander Vasiljevitsch ihm einen Brief mit folgendem Inhalt: „Man klagt, dass die Infanterie nasse Fuesse bekommen hat. Und dass daran das Wetter schuldig ist. Man hat diesen Marsch im Dienst des groessten Monarchen gemacht. Nach gutem Wetter verlangen nur Weiber, Modenarre und Faulpelze. Ein grosser Schwaetzer, der ueber seinen Dienst klagt, wird als Egoist seines Amtes erhoben. Italien muss vom Joch der Gottlosen und Franzosen befreit werden; jeder rechtschaffene Offizier soll sich fuer diesen Zweck aufopfern. In keiner Armee kann man Leute dulden, die alles besser wissen. Augenmass, Schnelligkeit, Antrieb – das ist genug.“ Suvorov lehrte seine Helden, unter schwierigen Umstaenden nicht zu versagen, sondern sie zu ueberwinden und sich vor ihnen zu beugen. Das kann man auch auf G. K. Schukov beziehen. In einem Brief, den uns seine Tochter Margarita Georgievna lebenswuerdigsweise ueberlassen hat, beschrieb er, wie sich die Schwierigkeiten des Lebens auf die Praegung seines Charakters auswirkten. Diesen Brief geben wir hier ganz wieder: „Die kaempfende Armee, 1.09.44. Margarita! Deinen Brief habe ich bekommen. Aus dem Brief sehe ich, dass du ein gutes und kluges Maedchen bist. Das schwierige Leben soll Dich nicht bedruecken. Ganz im Gegenteil, es ist die beste Lebensschule. Wer ein schweres und hartes Leben ertraegt, wird immer das Feld beherrschen und kein Sklave sein. In der Kindheit, in der Jugendzeit und im mittleren Alter habe ich viele Leiden und Entbehrungen ertragen und habe frohe Tage sehr selten gesehen, aber ein solches Leben hat mir viel gebracht, es hat mich als einen Soldaten unserer Heimat gestaehlt. Ohne es koennte ich kein aufrechter Soldat und erfahrener Heerfuehrer sein. Danke fuer das Photo, ich sehe es mir sehr lang an. Was Deinen Weg nach der Schule betrifft, werden wir das nach der 9. Klasse besprechen, jetzt aber, liebes Kind, lerne gut. Ich schliesse Dich fest in die Arme. Dein Papa. G. K. Schukov.“ Es lohnt sich, die Aufmerksamkeit auf den militaerischen, kraeftigen Stil von Marschall Schukov zu richten, sowie auf die Faehigkeit, tiefe Gedanken lakonisch und aphoristisch auszusprechen. Z.B. die gewichtig klingende Behauptung — „ein schweres Leben ist die beste Lebensschule“ — kann in den Schatz der Volksweisheiten eingehen.
Nebenbei gesagt, nicht nur Hitler und Goebbels, die Laien im militaerischen Bereich waren, sondern auch deutsche Berufsmilitaers haben die sowjetische Militaerleitung hoch geschaetzt. Der grosse deutsche Feldmarschall Rundstadt sprach von Marschall Schukov als „einem hervorragenden Feldherrn“ („Von Muenchen bis zum Tokiomeerbusen“. Verlag fuer Politikliteratur, Moskau, 1992. S. 237). General Melentin sprach von „einem tiefen strategischen Scharfblick“, der charakteristisch fuer Marschall Schukov sei. (F.Malentin. „Panzerschlachten“. Verlag „Poligon AST“. Sankt-Petersburg-Moskau, 2000. S. 240).
Im Laufe von 25 Sowjetjahren konnten diese menschlichen und militaerischen Eigenschaften durch die Last der Ideologie, die Kolchossklaverei, und die Entkraeftung von Gewissen und Gedanken nicht unterdrueckt werden.
Geben wir die Meinung eines weiteren geachteten Militaers – die des russischen Generals Anton Ivanovitsch Denikin wieder: „Von welcher Seite aus man es auch sieht, keine Ausfluechte koennen die Bedeutung der Tatsache herunterspielen, dass die Rote Armee von einer gewissen Zeit an ausgezeichnet kaempfte, und der russische Soldat hingebungsvoll. Mit der quantitativen Ueberlegenheit kann man die Erfolge der Roten Armee nicht erklaeren. Unserer Meinung nach hat diese Erscheinung eine einfache und natuerliche Erklaerung. Von alters her waren russische Menschen verstaendig, begabt und liebten ihre Heimat mit allen Fasern ihres Herzens. Und als allen klar wurde, dass Einfall und Eroberung im Verzug waren, und nicht Befreiung, dass nur ein Joch gegen ein anderes getauscht wurde, da verschob man die Rechnung mit dem Kommunismus auf passende Zeit, und das Volk erhob sich zum Kampf fuer das russische Land, wie schon seine Ahnen in der Zeit der schwedischen, polnischen und napoleonischen Einfaelle… Im Zeichen der Internationale verliefen der ruhmlose Finnlandfeldzug und die Zerschlagung der Roten Armee durch die Deutschen auf ihrem Weg nach Moskau; unter der Losung der Verteidigung der Heimat verlief die Zerschlagung der deutschen Armeen!“ (D.Lechovitsch. „Die Weissen gegen den Roten“. Verlag „Voskresenje“. Moskau, 1992. S. 335).
Die Meinung von General Denikin ist fuer uns besonders wichtig, weil er eine vielseitige Ausbildung an der Russischen Akademie des Generalstabs erhalten hat, und ueber reiche Kriegserfahrung verfuegte, die er im Russisch-japanischen Krieg, im Ersten Weltkrieg, und im Buergerkrieg sammelte. Seine Ansicht ist um so wichtiger, als er bis zum Ende seines Lebens konsequenter Gegner des Bolschewismus blieb, obwohl er Patriot war. Man kann ihm auf keinen Fall eine wohlwollende Einstellung zur Sowjetunion und zur Roten Armee zuschreiben. Deshalb sind auch die Worte des Generals — „dass die Rote Armee von einer gewissen Zeit an ausgezeichnet kaempfte, und der russische Soldat hingebungsvoll“ — das Ergebnis einer objektiven und kompetenten Analyse der Kriegsereignisse. Und so widerlegt auch der Gedanke — „nur mit der quantitativen Ueberlegenheit kann man die Erfolge der Roten Armee nicht erklaeren“ — die Ausfluechte, mit denen die nationalsozialistische Ideologe und ihre Feldherren die Ursachen der Niederlage der deutschen Armee zu erklaeren versuchten. Uebrigens ist eine derart verfaelschende Darstellung nach wie vor in den auslaendischen und seit kurzer Zeit auch in den russischen Medien sehr verbreitet. Das Schlimmste aber ist, dass sie schon von breiten Kreisen unserer Gesellschaft angenommen wird.
Der Premierminister von Grossbritannien W. Churchill, der nach dem Krieg bei der Errichtung des „Eisernen Vorhangs“ zwischen der westlichen Welt und der Sowjetunion geholfen hat, stimmte dieser Luege zu und trug zur Verfaelschung der historischen Wahrheit bei. Zur Zeit des Kampfes mit den Faschisten hatte er andere Meinung. In seiner Gratulation an I. V. Stalin zum 23. Februar 1945 schrieb Churchill: „Die Rote Armee feiert ihren 28. Jahrestag mit einem Triumph, der ihre Alliierten entzueckt und der das Schicksal des deutschen Militarismus besiegelt hat. Die folgenden Generationen werden ihre Schuld vor der Roten Armee ebenso bedingungslos anerkennen, wie wir das heute tun, als Augenzeugen dieser grossen Siege». (Briefwechsel des Vorsitzenden des Ministerrats der UdSSR mit dem Praesidenten der USA und mit den Premierministern von Grossbritannien in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. 1941-1945, Moskau, 1957. Band 1).
Die deutschen Generaele, die die Kraft der sowjetischen Soldaten und Offiziere am eigenen Leibe erfahren hatten, gaben zu, dass „die soldatischen Eigenschaften des russischen Kaempfers, besonders seine Disziplin und Handlungsfaehigkeit ohne Ruecksicht auf Gegnerfeuer und eigene Verluste, sowie seine Festigkeit im Aushalten der Kriegsanstrengungen zweifellos sehr hoch waren“. (Generalmajor von Butler, aus: „Der Weltkrieg“. Verlag auslaendischer Literatur, Moskau, 1957. S. 153).
Sprechende Zahlen
Am Anfang des Kriegs wurden Schluesselposten von Personen bekleidet, die unvorbereitet waren. Die beruehmten spaeteren Heerfuehrer, wie K.K. Rokossovskij, K.A. Merezkov, A.V.Gorbatov und andere, wurden noch vor dem Krieg verhaftet und hatten folglich keine Moeglichkeit, mit den neuesten Errungenschaften der Kriegskunst bekannt zu werden. Nur durch eine glueckliche Fuegung der Umstaende entgingen sie dem Tod. Jene, die auf freiem Fuss waren, standen unter staendiger moralischer Repression, und im Fall eines Misserfolgs erwarteten sie schreckliche Vergeltungsmassnahmen.
Marschall I. S. Konev zeigte z.B. sich im Laufe des Kriegs als einer der begabtesten sowjetischen Feldherren, doch hat er seine Faehigkeiten nicht sofort an den Tag gelegt. Im Oktober 1941 wurde die Westfront, die er befehligte, eingekesselt. Stalin wollte Konev vor das Kriegsgericht bringen, aber G. K. Schukov war gegen eine solche Entscheidung. Er hat Stalin folgendes gesagt: „Ein solches Vorgehen kann nichts berichtigen und niemanden wiederbeleben. Es kann nur einen schlechten Eindruck auf die Armee ausueben“. Er hat ihn daran erinnert, dass die Erschiessung des Westfrontbefehlshabers Pavlov am Anfang des Kriegs nichts gebracht hat. „Man wusste von vornherein gut, was Pavlov fuer ein Mensch ist, dass er ein hervorragender Divisionfuehrer ist. Alle wussten das. Nichtsdestoweniger kommandierte er die Front und hat eine Aufgabe nicht gemeistert, die er gar nicht meistern konnte. Aber Konev ist nicht Pavlov, er ist ein kluger Mensch. Er kann noch nuetzlich sein“. (Marschall Zukov. „Wie er in unseren Erinnerungen ist“. Verlag fuer politische Literatur. Moskau, 1988. S. 111). Nur die Verteidigung durch Schukov hat Konev vor der unvermeidlichen Erschiessung errettet. Aber viele Militaers wurden erschossen und sind in Lagern und Gefaengnissen zugrundegegangen.
Das alles hat die enormen Menschenverluste mitverursacht, besonders in der ersten Kriegsperiode Sommer bis Herbst 1941. Wenn eine Armee eine Niederlage erleidet, uebersteigen ihre Verluste um ein Vielfaches die der Gegnerseite. Aber seit dem Gegenangriff bei Stalingrad hat sich die Situation gruendlich geaendert.
In der Tabelle sind die unwiederbringlichen Verluste des Personalbestands der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg pro Jahr angefuehrt. Die Gefallenen, die Vermissten, die Gefangenen und in Gefangenschaft Umgekommenen sind mit beruecksichtigt. Die Zahlen der Verluste pro Jahr sind dem Buch „Grif sekretnosti snjat“ („Nicht mehr geheimzuhalten“) entnommen. Voenizdat, Moskau, 1993.
Jahre |
Periodedauer (Tage) |
Verluste (Tausend) |
Taegliche Verluste |
1941 |
193 |
3138 |
16300 |
1942 |
365 |
3258 |
8900 |
1943 |
365 |
2312 |
6400 |
1944 |
366 |
1764 |
4800 |
1945 |
129 |
801 |
6200 |
Insgesamt im Zweiten Weltkrieg |
1418 |
11273 |
8000 |
In der letzten Tabellenspalte sind die taeglichen Verluste angefuehrt. 1941 ist diese Zahl die groesste, weil sich die Truppen unter hoechst schwierigen Bedingungen zurueckziehen mussten; grosse Teile wurden eingekesselt. 1942 war diese Kennziffer schon auffallend weniger: obwohl sich unsere Armee noch zurueckzog, waren die Truppen seltener in Kesseln. 1943 fanden hartnaeckige Kaempfe statt, besonders auf der Kurskaja Duga. Ab diesem Jahr bis zum Ende des Krieges zogen sich die Nazistruppen schon nach Deutschland zurueck. 1944 hat das Oberkommando der Sowjetunion eine Reihe von glaenzenden strategischen Operationen zur Einkesselung und Zerschlagung geschlossener Einheiten der deutschen Armeen geplant und dann durchgefuehrt, deshalb sanken die Verluste der Sowjetarmee in diesem Jahr. 1945 stieg diese Kennziffer aber wieder, denn die Hartnaeckigkeit der deutschen Armee nahm zu, weil sie schon auf eigenem Territorium kaempfte. Die deutschen Soldaten verteidigten tapfer und aufopfernd ihre Heimat.
An den Fronten des Zweiten Weltkriegs verloren die deutschen Streitkraefte 6.920 tausend Menschen, die Streitkraefte der Alliierten 1.730 tausend. In den ersten zwei Jahren des Kriegs betrugen die Verluste der Nationalsozialisten ca. 1.700.000, d.h. die Verluste in der darauf folgenden Zeit lagen bei ca. 7 Mio. Menschen. In dieser Periode waren die Verluste der Roten Armee, wie man der Tabelle entnehmen kann, ungefaehr 4,9 Mio. Menschen. 1943-1945 kamen solcherweise auf 10 Gefallene Rotarmisten 14 gefallene Soldaten der deutschen Armee. Diese einfache Statistik charakterisiert anschaulich und objektiv die Qualitaet der Heeresleitung und den Grad des behutsamen Umgehens mit den Soldaten.
Im Anfang unseres Artikels haben wir die Worte von P. A. Stolypin ueber die deutsche Schule angefuehrt. Der Leser sollte sich noch mit einer weiteren Meinung eines unserer Landleute ueber die russische Schule konfrontieren, der des grossen Philologen Professor V. K. Schuravlev. Er war durch den ganzen Krieg gegangen, und hatte unter dem Kommando von G. K. Schukov in Hapkin-Gol gegen Japan zu kaempfen begonnen. Seiner etwas ungewoehnlichen Ansicht gemaess hat der russische Lehrer den Krieg gewonnen, weil unsere Soldaten, Befehlshaber, Heerfuehrer, Wissenschaftler, Ingenieure und Arbeiter, die von der Natur aus talentvoll, klug und initiativ sind, nur dank des Lehrers vergleichsweise mehr zur Ueberwindung von Schwierigkeiten vorbereitet wurden, als sie Deutschen.
Leider ist in unserer Zeit vielen nicht bekannt, welch hohe Wertschaetzung die grossen auslaendischen Militaerspezialisten sowohl der Roten Armee, als auch den sowjetischen Heerfuehrern und besonders dem beruehmten Feldherrn Marschall Schukov entgegenbrachten. Viele unserer Landesleute verhalten sich zu Georgij Konstantinovitsch und anderen unseren beruehmten Feldherren negativ. Der Grund fuer ein solches Verhalten sind falsche Informationen, die der historischen Wahrheit nicht entsprechen. Erinnern wir uns an die Worte Puschkins: „Auf den Ruhm seiner Vorfahren stolz sein kann man nicht nur, sondern soll es auch. Es ist schaendlicher Hochmut, ihn zu missachten, und das erste Anzeichen von Unerzogenheit und Unsittlichkeit“.