Der Zweite Weltkrieg — „Gedenken durch das Familienalbum“
Elena Jazenko ist 21 Jahre alt. Sie studiert an der Philologischen Fakultät der Moskauer Staatlichen Universität, schreibt Gedichte und Prosa, reist gerne und das auch sehr gerne in die Ferne. Sie mag Tiere und England, Musik und Filme, Fotographie und Sport, das Meer und die Popkultur des 20. Jahrhunderts. Sie träumt davon, einmal Journalistin zu werden und die ganze Welt zu bereisen, angefangen bei Ländern Europas bis hin zur Antarktis. Danach hat sie vor, eine eigene Fotogalerie zu eröffnen, in der talentierte Fotografen beginnen können, ihren Weg zu finden. Die hier aus ihrem Familienalbum stammenden Fotographien hat uns Elena zur Verfügung gestellt, damit wir sie auf www.world-war.ru veröffentlichen.
Was bedeutet Gedenken? Jeder Mensch beantwortet diese Frage auf seine Weise. Mir kommen dabei ganz verschiedene Wege in den Sinn. Einer wäre für mich eine Fotografie. Fotos bewahren das Andenken an Menschen, an Ereignisse und Gefühle. Sie bringen uns Menschen in einen bestimmten Augenblick der Zeit zurück und helfen uns dabei, Geschehnisse vergangener Tage wiederzubeleben, selbst wenn man selbst gar nicht dabei gewesen ist.
Am 9. Mai dieses Jahres hat unser Land den 70. Jahrestag des Endes des Großen Vaterländischen Krieges gefeiert. Es gibt wohl kaum eine Familie, an der der Krieg, bei dem fast 30 Millionen Menschen den Tod gefunden haben, ohne Folgen vorübergegangen ist. Unsere Vorfahren haben für unser Leben, unser Glück und unseren Frieden heute gekämpft und ihr Leben gegeben, deshalb sollten wir ihre Heldentaten nie vergessen.
Meine Familie hat viele Fotos aus den Jahren des Krieges aufgehoben. Von grau-braunem, nach alter Zeit und dem Schimmel des Dachbodens riechenden Fotopapier schauen uns meine Urgroßväter und ihre Kameraden, die sie alle im Krieg gekämpft haben, etwas finster an. Jeder hatte sein ganz eigenes Schicksal. Der Krieg hat ihre Wege zusammen- und wieder auseinandergeführt. Der eine hat überlebt, der andere ist gefallen, vielleicht nur einige Meter vor Berlin oder nur wenige Tage, bevor der Sieg endlich errungen war. Einer hat eine Medaille bekommen, der andere ist einfach verschwunden, ohne das man weiß, wo.
Hier nun einiges aus unserer Familiengeschichte: Mein Großvater Andrej Stepanowistch Bruschenko war Oberstleutnant, hat den ganzen Krieg mitgekämpft und ist dabei bis an die Elbe vorgedrungen. Er war sogar bei der Schlacht um Berlin dabei. Damit ist aber eine traurige Geschichte verbunden. Ein deutscher Junge hat einen Freund meines Urgroßvaters getötet. Mein Urgroßvater hat es nicht ertragen und daraufhin den Jungen mit seinem Gewehr erschossen, wofür ihm seine Auszeichnungen und auch sein Rang als Oberstleutnant aberkannt worden sind: denn es war per Befehl verboten, die Zivilbevölkerung zu töten.
Mein Urgroßvater war ein wahrer Held, und er hat auch eine Heldin geheiratet. Meine Großmutter Clavdia hat auch gekämpft, befand sich im besetzten Gebiet und ist sogar mit einem Fallschirm gesprungen (Danach sind aus diesem eine Menge Kleider genäht worden, in verschiedenen Farben und unterschiedlicher Façon), weswegen ihre Mutter sie dann zwei Wochen lang in der Scheune versteckt hat, damit die Deutschen sie nicht finden. Der Vater meine Urgroßmutter, er hieß Iwan, ist in Stalingrad bei der Verteidigung eines Stadtgebiets gefallen, das die Deutschen völlig dem Erdboden gleichgemacht haben. Mein Ururgroßvater ist spurlos verschwunden. Von seiner Einheit ist nur einer am Leben geblieben. Leider gibt es von meiner Urgroßmutter keine Fotografien mehr. Die Faschisten haben alles ohne Ausnahme mitgenommen. Es gibt aber Bilder von ihren Cousins, die auch im Krieg waren.
Fotografien sind wie Brocken gefrorener Zeit. Jenseits des Zelluloids jedoch rennt die Zeit immer weiter und schwemmt in ihrem Lauf Daten, Namen und Gesichter vom Angesicht der Erde. Doch es gibt Dinge und Ereignisse, die man auf keinen Fall vergessen darf! Der Sieg im Jahr 1945 ist eines von diesen.
Uebersetzt von Henrik Hansen
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