„Chatyn“ – ein Friedhof für ganze Dörfer
Auf keiner geographischen Karte findet man heute mehr dieses weißrussische Dorf. Es wurde im Frühling des Jahres 1943 von den Faschisten dem Erdboden gleichgemacht. Chatyn (eventuell vom weißrussischen Wort chata – Haus) – früher mal ein Dorf im Kreis Lahojsk in der Region von Minsk – wurde zu einem Symbol der Tragödie des weißrussischen Volkes, einer schmerzvollen Episode der Geschichte während des Großen Vaterländischen Krieges. Es steht für das Gedenken an die 2 230 000 ermordeten Einwohner von Weißrussland – das ist jeder Vierte.
1969 wurde an dem Ort, wo sich früher das Dorf befand, eine sehr weitläufige Gedenkstätte eingerichtet, in der die Idee der Tapferkeit und des Widerstandes des Volkes zum Ausdruck gebracht ist, das eine so riesige Zahl an Opfern für den Sieg dargebracht hat. Chatyn wurde zu einem Symbol der massenhaften Ermordung der Zivilbevölkerung durch die Nazis und durch diejenigen, die mit ihnen auf dem besetzten Gebiet der UdSSR zusammengearbeitet haben. Die Gräueltat von Chatyn ist eines von tausenden Beispielen, die beweisen, dass die Nazis während der ganzen Zeit, in der sie Weißrussland besetzt hielten, einen Völkermord an seinen Menschen geplant und vollstreckt haben. Hunderte solcher Gräueltaten haben sich während der drei Jahre der deutschen Besetzung (1941-1944) auf der weißrussischen Erde zugetragen.
Am 22. März 1943 sind die faschistischen Bestien in das Dorf Chatyn eingedrungen und haben es umstellt. Die Bewohner des Dorfes wussten nichts davon, dass am Morgen etwa 6 Kilometer von Chatyn entfernt eine Autokolonne der Faschisten von Partisanen unter Beschuss genommen worden war, bei der ein deutscher Offizier getötet wurde. Die völlig unschuldigen Dorfbewohner hatten aber schon vorher auf der Todeslist der Faschisten gestanden. Die gesamte Bevölkerung von Chatyn, vom Kleinsten bis zum Ältesten – Alte, Frauen und Kinder, wurden aus ihren Häusern in die Scheune der Kolchose gejagt. Mit der Gewehrmündung an der Schläfe trieben die Nazis Kranke und Alte aus ihren Betten und hatten weder ein Einsehen mit Frauen noch mit ihren Kindern, ja nicht einmal mit Säuglingen. In die Scheune jagten sie auch die Familien von Joseph und Anna Baranowskij mit ihren 9 Kindern, von Alexander und Alexandra Nowitzkij mit ihren 7 Kindern; ebenso viele Kinder hatte auch die Familie von Kasimir und Elena Jotko, deren Jüngster gerade mal ein Jahr alt war.
In die Scheune trieben sie auch Vera Jaskewitsch mit ihrem sieben Wochen alten Sohn Tolik. Lenotschka Jaskewitsch hatte sich zunächst noch im Hof verstecken können, doch dann versuchte sie lieber im Wald unterzutauchen. Die Kugeln der Faschisten konnten das laufende Mädchen nicht mehr erreichen. Deshalb rannte ihr einer der Faschisten nach, ergriff sie und erschoss sie vor den Augen ihren Vaters, der wegen des unendlichen Leides den Verstand verloren hatte. Zusammen mit den Bewohnern von Chatyn trieb man auch den Bewohner des Dorfes Jurkowitschi Anton Kunkewitsch und die Bewohnerin des Dorfes Kameno Christina Slonskaja, die zu diesem Zeitpunkt gerade in Chatyn weilten, in die Scheune. Kein einziger Erwachsener konnte unbemerkt im Dorf zurückbleiben. Dies gelang nur drei Kindern – Wolodja Jaskewitsch und seiner Schwester Sonja Jaskewitsch, sowie Sascha Shelobkowitsch. Sie schafften es, sich vor den Hitlertruppen zu verstecken.
Als die gesamte Bevölkerung des Dorfes in der Scheune war, verschlossen die Faschisten die Türen, legten rund um das Gebäude Stroh aus, das sie mit Benzin übergossen und daraufhin anzündeten. Die Scheune aus Holz geriet augenblicklich in Flammen. Im Rauch erstickten die weinenden Kinder. Die Erwachsenen versuchten die Kinder zu retten. Dem Druck von einem oder zwei Dutzend menschlicher Leiber hielten die Türen nicht stand und brachen zusammen. Mit brennender Kleidung und voller Entsetzen stürmten die Menschen nach draußen, um zu fliehen. Doch jene, die sich aus den Flammen retten konnten, erschossen die Faschisten kaltblütig mit ihren Maschinenpistolen und Gewehren. Es starben 149 Menschen. Unter ihnen waren 75 Kinder unter 16 Jahren.
Das Dorf wurde dann geplündert und die 26 Höfe völlig niedergebrannt. Zwei Mädchen aus den Familien Klimowitsch und Fedorowitsch — Maria Fedorowitsch und Julja Klimowitsch – konnten sich wie durch ein Wunder aus der brennenden Scheune retten und auf dem Boden kriechend den schützenden Wald erreichen. Voller Brandwunden und kaum noch am Leben wurden sie dort von Bewohnern des Dorfes Chworosten der Gemeinde Kamenskij gefunden. Aber auch dieses Dorf wurde wenig später von den Faschisten niedergebrannt und beide Mädchen fanden dabei den Tod. Nur zwei der Kinder, die sich in der Scheune befunden haben, sind am Leben geblieben — der siebenjährige Viktor Shelobkowitsch und der zwölfjährige Anton Baranowskij.
Als mit entflammter Kleidung und voller Schrecken die Menschen aus der brennenden Scheune flüchteten, war unter ihnen auch Anna Shelobkowitsch. Sie hielt ihren siebenjährigen Vitja fest an der Hand. Die von einem Schuss tödlich getroffene Mutter fiel zu Boden und bedeckte somit ihren Sohn mit ihrem Körper. Der am Arm getroffene Junge lag unter dem Leichnam seiner Mutter und hielt dort solange aus, bis die Faschisten dem Dorf den Rücken gekehrt hatten. Anton Baranowskij wurde am Bein durch eine Kugel getroffen. Die Hitlertruppen glaubten ihn für tot. Die halbverbrannten und verletzten Kinder wurden von den Bewohnern der Dörfer aus der Nachbarschaft gefunden und gerettet. Nach dem Krieg wurden beide Kinder im Kinderheim von Pleschenizy großgezogen.
Der einzige erwachsene Zeuge der Gräueltat von Chatyn ist der 56-jährige Dorfschmied Joseph Kaminskij gewesen, der halb verbrannt und verwundet erst spät in der Nacht wieder zu Bewusstsein gelangt war, als die Faschisten das Dorf schon verlassen hatten. Er musste noch einen weiteren schweren Schlag ertragen: unter den Leichen seiner Nachbarn fand er auch seinen verwundeten Sohn. Der Junge war tödlich im Bauch verletzt worden und hatte starke Verbrennungen. Er starb auf dem Arm seines Vaters.
Die staatliche Gedenkstätte Chatyn befindet sich auf einem Gelände von 32 Hektar Größe.
Uebersetzt von Henrik Hansen
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