12 Juni 2014| Redaktion

„Rotes Ufer“ – ein heiliger Ort

Im Gomeler Land, im Dorf Rotes Ufer im Kreis Schlobin haben die Faschisten während des Krieges eine Sammelstelle für Kinder, die sie mit Gewalt ihren Eltern entrissen hatten, eingerichtet. Den Kindern wurde ihr Blut für verwundete deutsche Offiziere entnommen. Bis heute sind nur 15 Namen von den so jungen Opfern bekannt. Es ist uns gelungen mit den Mitarbeitern der Gedenkstätte zu sprechen, die die Geschichte dieses Ortes erzählt.

Der Tag, an dem dieses Konzentrationslager eingerichtet wurde, ist unbekannt. 1943 wurde es jedoch offiziell als ein Lager zur Blutentnahme ausgewiesen. Innerhalb des Dorfes gab es zwei Stellen, wo Kindern Blut entnommen wurde – eine für Kinder mit Blutgruppe 0 und Rhesusfaktor positiv, wo man den Kindern ihr gesamtes Blut entnahm. In der zweiten Stelle, die sich auf dem Territorium der Kaserne befand, wurde den Kindern innerhalb von 7 Wochen 8 bis 19 Mal Blut entnommen.

Man entnahm das Blut von Kindern, die im Alter von 8 bis 14 Jahren und slawischer Nationalität waren – nicht nur aus Weißrussland, sondern auch aus Russland und der Ukraine. Es musste unbedingt die Blutgruppe 0 und Rhesusfaktor positiv sein. Nachdem man den Kindern das gesamte Blut entnommen hatte, wurden sie beseitigt. Aus Akten in Archiven geht hervor, dass von den Faschisten aus diesem Lager insgesamt 1990 Kinder als Blutquellen nach Deutschland abtransportiert wurden. Auch dort wurde ihnen Blut für verwundete Offiziere und Soldaten der Wehrmacht entnommen.

Auf Befehl Hitlers wurden auf dem Gebiet von Weißrussland fünf solcher Lager für die Blutentnahme bei Kindern eingerichtet. Zwei von ihnen zur vollständigen Beseitigung der Kinder im Anschluss: im Dorf Skobrowka (im Kreis Puchowitschi im Gebiet von Minsk) und im Dorf Rotes Ufer (im Kreis Schlobin im Gebiet von Gomel). Das erstgenannte Lager hat niemand mit der Blutgruppe 0 überlebt. Bezüglich des zweiten Lagers gibt es neun Zeugen, die überlebt haben. Ekatharina Emiljanowna Klotschkowa ist eine von denen, die als Insasse des Kinderlagers „Rotes Ufer“ wie durch ein Wunder überlebt hat. 1943 war sie fünf Wochen in den Baracken von „Rotes Ufer“ gefangen.

Ekatharina Emiljanowna Klotschkowa

„In diesen fünf Wochen haben sie uns immer wieder Blut entnommen und es in solch große Gefäße gefüllt. Ich weiß gar nicht, welche Größe sie darstellten – 10, 20 Gramm? Wenn sie einem das Blut herausgesogen hatten, fühlte man sich extrem schwach. Viele sind einfach umgefallen. Sie können sich selbst vorstellen, was mit einem Menschen passiert, dem man das Blut herausgesogen hat. Einmal am Tag gab man uns ein Stück Brot. Ich kann mich aber nur schwer erinnern, was man uns zu Essen gab. Ich habe damit jedenfalls fünf Wochen überleben können. Der furchtbarste Moment war, wenn wir ausgesucht wurden. Sie sagten dann, dass sie uns Kinder rösten werden“. Beerdigungen gab es keine. Die Kinder wurden auf offenen Feuern oder im Heizhaus auf dem Territorium des Lages verbrannt. Das Lager wurde am 25. Juni 1944, am Tag, als das Dorf Rotes Ufer befreit wurde, geschlossen.

Auf dem Gebiet von Weißrussland gibt es mehrere Dörfer mit dem Namen Rotes Ufer. Zwei von ihnen liegen im Gebiet von Gomel. Die erste Erwähnung unseres Dorfes weist in das Jahr 1317. Unsere Vorfahren sind an das rechte Ufer eines sehr schönen[i] Flusses gestoßen. Von daher der Name – so lautet eine erste Version. Die zweite Version für die Erklärung des Namens unseres Dorfes hat mit dem Krieg gegen Napoleon 1812 zu tun. Hier am rechten Ufer fand eine Schlacht gegen einen Teil der Armee von Napoleon statt, die siebzehn Tage gedauert hat. Nach der Schlacht war das rechte Ufer ganz rot und voller Blut. Die Truppen Napoleons sind dabei zurückgeschlagen worden. Eine dritte Version hat als Grundlage die rote Tonerde, auf der das gesamte Dorf steht. In früheren Zeiten, als es zu starken Überschwemmungen kam, blieben, nachdem das Wasser wieder zurückgegangen war, nur das nackte rote Ufer zurück. Wem nun welche Version am meisten gefällt, der möge sich diese bitte auswählen. Das Dorf Rotes Ufer gehört zu einer Gruppe von Dörfern einer Gemeinde, in denen nach den Angaben des Gemeinderates heute mehr als 4000 Menschen leben.

Die Gedenkstätte „Rotes Ufer“ wurde am 28. Juni 2007 eröffnet, wird vom Staat betrieben und ist von landesweiter Bedeutung. Mit der Einrichtung einer Gedenkstätte wurde bereits Anfang der 90iger Jahre begonnen, doch der Zerfall der Sowjetunion und die starke Geldentwertung hat die Fertigstellung lange herausgezögert. Wir erhoffen einen internationalen Status zu erlangen, denn unsere Gedenkstätte ist die einzige in Europa, und scheinbar auch die einzige in der Welt, die sich dem Thema Tod von Kindern während des Zweiten Weltkrieges angenommen hat.

Hierher kommen viele Gruppen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und aus Europa. Aus Russland kamen Menschen sowohl aus dem Gebiet von Smolensk wie auch aus dem fernen Osten. Hier waren auch Vertreter aus China, Indien, Kanada, der USA, Japans und Cubas. Deshalb kann man sagen, dass unsere Gedenkstätte auf der ganzen Welt bekannt ist. Sie wurde von Leonid Mendelejewitsch Lewin, verdienter Architekt der Republik Weißrussland, Träger des Leninpreises und des Preises des Leninkomsomols, und Ehrenbürgers des Kreises von Schlobin gestaltet. Am 1. März 2014 ist er leider im Alter von 77 Jahren von uns gegangen. Er hat unter anderem auch die Gedenkstätte Chatyn, die Gedenkstätte auf dem Platz des Sieges in Minsk, das Denkmal „Jama“ für die Opfer des Holocausts, das vor 6 Jahren errichtet worden ist, wie auch einige Denkmäler in Russland, Weißrussland und der Ukraine gestaltet. Ein eigenständiges Museum haben wir nicht. Im Museum des ehemaligen Landsitzes von Generalleutnant Gatowskij befindet sich ein Saal, der die Geschichte von „Rotes Ufer“ darstellt.

Hier sehen sie Zeichnungen von Kindern nach dem Krieg. Der Maler Sergej Petrowitsch Katkow ist nach der Befreiung von Minsk durch die Trümmer der Stadt gezogen und hat Kinder um sich geschart, die zeichnen konnten. Der Wert dieser Bilder besteht darin, dass das durch die Kinder Dargestellte genau das zum Ausdruck bringt, was sie sofort nach dem Krieg sehen wollten. Nach dem Tod des Künstlers hat seine Tochter Swetlana Katkowa, Trägerin des Staatspreises, die Zeichnungen der Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren herausgesucht – das Alter der Blutspender also. Sie hat sie vergrößert und aus ihnen 24 Bilder gemacht, die man hier sehen kann.

00

01

Platz der Sonne

02

03

04

Tote Klasse

04-1

Schiffchen der Hoffnung

05

Brief an den Vater

06

07

08

09

10

24 Zeichnungen auf Staffeleien

11

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13

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[i] «Rot“ und „schön“ waren früher im slawischen synonym. – Anmerkung des Übersetzers

Fotos von Tatjana Aljoschina für
www.world-war.ru

Uebersetzt von Henrik Hansen
www.deu.world-war.ru

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