15 März 2012| Diez Theodor

Meine Erinnerung an den 16.4.1945

Theodor Diez

Es war gut eine Woche vor meinem 12. Geburtstag, — ein schöner Frühlingstag. Die US-Army näherte sich von Westen und war nur noch einige zig Kilometer von Gunzenhausen entfernt. Der Fliegeralarm am späten Vormittag ließ uns routinemäßig den Luftschutzkeller in unserem Haus aufsuchen: es war ein spärlich gesicherter Raum mit eingezogenen Holzstützen und sandgefüllten Splitterkästen vor den Kellerfenstern. Wie unzählige Male zuvor hörten wir das Dröhnen der über uns hinwegziehenden silbrig glänzenden Bomberflotten im Anflug auf Nürnberg oder eine andere Großstadt. Für die waren wir anscheinend kein adäquates Ziel. Was für ein Leichtsinn!

Plötzlich hörten wir ein schrilles Pfeifen mit nachfolgenden Detonationen. Ein großes Erschrecken: Das galt uns. Instinktiv flüchtete ich mich unter die Werkbank meines Vaters — wenn das Haus zusammenstürzen sollte…. Ich hatte das Gefühl, als ob sich der Kellerboden faltete und war erstaunt, als ich aufsah, dass der Raum immer noch da war. Einige Erwachsene beteten. Immer noch das Dröhnen und Vibrieren in der Luft. Und dann wieder das Pfeifen und ohrenbetäubende Krachen. Ich glaube, das wiederholte sich noch ein drittes Mal, — und dann war es ganz still. Wir stiegen aus dem Keller. Seltsamerweise stand unser Haus noch und auch die Nachbarhäuser. Aber in 100 bis 200 Meter Entfernung war nichts mehr da, nur noch teils brennende Bauruinen, Schuttberge und tiefe Bombentrichter.

Wir Kinder hatten Anweisung mit unseren Fahrrädern auf die umliegenden Dörfer zu fliehen, was aber nur über Umwege gelang, weil die Nürnberger Straße und der Eidamsplatz nicht mehr passierbar waren. Ich war tief verstört.

Was dieser Bombenangriff angerichtet hatte, die Zahl der Toten, die Zerstörungen, erfuhren wir erst einige Tage später.

Als sich am 20.4.1945 die Front unserem Aufenthaltsort, einem Dorf nahe meines Heimatortes näherte (unsere Eltern hatten uns der Luftangriffe wegen dorthin evakuiert), sahen wir am Abend ein Nachbardorf in hellen Flammen stehen. Angeblich hatten einige dort stationierte Soldaten auf die heranrückende US-Army geschossen. Diese hatte sofort den Vormarsch gestoppt und durch ihre Luftwaffe das Dorf bombardieren lassen. Erst als der Widerstand gebrochen war, setzte sie ihren Vormarsch fort. Wir durch die «Hitlerjugend» geprägten 12-Jährigen fanden diese, die eigenen Soldaten schonende Kriegführung feige und verächtlich.

Die US-Army stieß sonst in unserer Umgebung auf keinen Widerstand. Sie besetzte einen Teil der Bauernhäuser und verwies deren Bewohner in die Scheunen. Die amerikanischen GIs waren eine disziplinierte Truppe, deren Soldaten sich gegenüber der Zivilbevölkerung korrekt und distanziert verhielten; es gab keine Erschießungen, Misshandlungen oder Vergewaltigungen. Sie ernährten sich ausschließlich von ihren heimischen Lebensmitteln, reichlich und gut. Sogar das Trinkwasser wurde importiert. Uns Kinder beschenkten sie mit Schokolade und Kaugummi. Meine 16 jährige Schwester fungierte gelegentlich als Dolmetscherin.

Unser Haus quoll über von Leuten, die bei uns ein Dach über dem Kopf suchten, weil sie von den Besatzern aus ihren Häusern vertrieben worden waren. In dem großen Durcheinander vergaß man meinen Geburtstag (25. 4.), wofür ich mir sehr leid tat.

Wir Kinder sahen den Soldaten beim Apell zu, wie sie gekleidet waren, wie sie marschierten. Das konnten wir «Hitlerjungen» besser (strammer, zackiger). Die amerikanischen Soldaten kamen mir mit ihren bequemen Schnürstiefeln mit dicken Gummisohlen wie verwöhnte Gummisoldaten vor. Und diese sollten unsere tapferen, abgehärteten Soldaten besiegen? Natürlich war da die ungeheure materielle Überlegenheit. Wie unfair!

Ich erinnere mich an eine bald einsetzende große Erleichterung. Für uns war der Krieg, die ständige Lebensbedrohung, jetzt vorbei.

Was Menschenwürde und Demokratie ist, lernten wir erst in den folgenden Jahrzehnten.

Die Erzählung wurde vom Autor zur Veröffentlichung freigegeben, Theodor Diez.

 

www.deu.world-war.ru

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