Als Hebamme im Konzentrationslager
Ein Augenzeugenbericht der polnischen Hebamme, Frau Stanislawa Leschinska, ehemalige Insassin des faschistischen Konzentrationslagers in Ausschwitz
„Von meinen fünfunddreißig Jahren, die ich als Hebamme gearbeitet habe, verbrachte ich zwei Jahre als Gefangene im Frauenkonzentrationslager Ausschwitz-Birkenau, wo ich meiner beruflichen Pflicht weiterhin nachging. Unter der riesigen Menge Frauen, die dorthin deportiert wurde, waren viele Schwangere. Als Hebamme war ich dort der Reihe nach in drei Baracken tätig, die aus Brettern zusammengezimmert waren, in denen es viele Ritzen gab, welche von Ratten in das Holz genagt worden waren.
Im Innern der Baracken waren auf beiden Seiten drei Etagen hohe Holzpritschen, auf denen sich auf schmutzigen Strohmatratzen jeweils drei oder vier Frauen den wenigen Platz miteinander teilen mussten. Das Stroh war schon längst zu Staub zermahlen und so lagen die kranken Frauen auf den fast blanken, grob gehobelten Brettern, auf denen sie sich leicht Splitter in die Haut einrissen.
In der Mitte zog sich die gesamte Baracke hindurch ein Ofen hin, der aus Ziegelsteinen gemauert war und jeweils eine Brennkammer an den beiden Enden hatte. Der Ofen war der einzige Platz, wo man ein Kind zur Welt bringen konnte. Einen anderen Raum, der speziell dafür eingerichtet gewesen wäre, gab es nicht. Der Ofen wurde sehr selten geheizt. Deshalb herrschte ständig eisige Kälte, die überall hineindrang, besonders im Winter, wenn von der Decke lange Eiszapfen herunterhingen.
Um das Wasser, was eine Frau zu ihrer Niederkunft, aber auch das neugeborene Kind, dringend brauchen, musste ich mich selbst kümmern. Um jedoch einen Eimer Wasser heranzuschleppen, brauchte es nicht weniger als zwanzig Minuten.
Unter diesen Umständen war das Schicksal der Frauen, die im Lager ihr Kind bekamen, äußerst düster und die Arbeit der Hebamme extrem schwer. Es gab weder Desinfektionsmittel noch Verbandsmaterial. Zuerst musste ich mit allem alleine zurechtkommen. Im Falle von Komplikationen, in denen das Eingreifen eines Arztes oder eines Spezialisten von Nöten gewesen wäre, zum Beispiel wenn die Plazenta mit der Hand abgetrennt werden musste, war ich gezwungen, selbst Hand anzulegen. Die deutschen Lagerärzte Rohde, König und Mengele meinten, den Ruf eines deutschen Arztes zu „beflecken“, wenn sie den Vertretern einer anderen Nationalität ärztliche Hilfe erweisen. Deshalb war es ausgeschlossen, sie zu rufen und um Hilfe zu bitten. Später half mir einige Male eine polnische Ärztin, Irena Konetschnoj, die in der Nachbarabteilung gearbeitet hatte. Als ich selbst an Fleckentyphus erkrankt war, nahm mir die meiste Arbeit die Ärztin Irena Bjaluwna ab, die sich sehr liebevoll um mich und um meine Patientinnen kümmerte.
Über die Arbeit der Ärzte unter den Gefangenen in Ausschwitz werde ich hier nicht viel sagen, denn das, was ich zu sehen bekam, übersteigt meine Möglichkeiten, die Größe des Arztberufes und eine nahezu heldenhaften Erfüllung der Ärztepflicht in Worten zu beschreiben. Die Heldentaten der Ärzte und ihre Hilfsbereitschaft prägten sich in den Herzen all jener ein, die davon schon niemandem mehr berichten können, da sie in der Gefangenschaft ihren Märtyrertod gestorben sind. Der Arzt in Ausschwitz kämpfte um das Leben derer, die zum Tode verurteilt waren, und gab dabei selbst sein Leben hin. Er hatte nur ein paar Packungen Aspirin zur Verfügung, dafür aber ein wahrhaft großes Herz. Im Lager arbeite ein Arzt nicht des Ruhmes oder der Ehre wegen oder um seine eigenen beruflichen Ambitionen zu verwirklichen. Für ihn gab es nur die Pflicht, als Arzt in jeder beliebigen Situation Leben zu retten.
Eine Frau, die vor ihrer Niederkunft stand, war gezwungen eine ganze Zeit hindurch, auf ihre Brotration zu verzichten, denn diese konnte sie in ein Laken eintauschen. Dieses Laken wiederum konnte sie daraufhin in Stücke zerreißen, die dem Kleinen dann als Windeln dienen mussten. Das Waschen der Windeln war mir einem großen Aufwand verbunden, besonders weil es streng verboten war, die Baracke zu verlassen und ebenso untersagt war, im Innern irgendetwas zu erledigen. Die frisch gewaschenen Windeln ließen die jungen Mütter auf ihrem eigenen Leib trocknen.
Bis Mai 1943 wurden alle Kinder, die im Lager von Ausschwitz zur Welt kamen, auf bestialische Weise umgebracht. Sie wurden in einem Fass ertränkt. Dies erledigten die Krankenschwestern Klara und Fanny. Die erste war selbst Hebamme von Beruf und war ins Lager geraten, weil sie Kinder gemordet hatte. Deshalb hatte man ihr das Recht, ihren Beruf auszuführen, entzogen. Im Lager nun aber hatte man ihr aufgetragen, genau das zu verrichten, wozu sie mehr taugte. Sie war zur Barackenältesten ernannt worden. Zur Unterstützung war das deutsche Straßenmädchen Fanny zugeteilt worden. Nach der Geburt musste das Neugeborene in das Zimmer der beiden Frauen gebracht werden, in dem das Schreien des Kleinen dann plötzlich verstummte und stattdessen einzelne Wasserspritzer bis zu der gerade entbundenen Mutter drangen … Und dann? Dann durfte die junge Mutter noch einmal den Leib ihres Kindes sehen, wie es aus der Baracke den Ratten zum Fraß vorgeworfen wurde.
Im Mai 1943 änderte sich die Lage für einige neugeborene Kinder. Blauäugige und blonde wurden den jungen Müttern weggenommen und nach Deutschland gebracht, um dort aus ihnen Deutsche werden zu lassen. Bitteres Weinen der Mütter begleitete die kleinen Säuglinge, wenn diese fortgetragen wurden. Solange ein Kind noch bei seiner Mutter bleiben durfte, gab den Frauen ihre Rolle als Mutter wenigstens noch ein Fünkchen Hoffnung. Die Trennungen waren Katastrophen.
Die Kinder jüdischer Mütter ertränkte man weiterhin mit schonungsloser Grausamkeit. Ein jüdisches Kind zwischen den nichtjüdischen Kindern zu verstecken, davon konnte keine Rede sein. Klara und Fanny behielten abwechselnd die jüdischen Frauen, während diese ihre Kinder entbanden, im Auge. Dem Neugeborenen wurde sofort die Nummer der Mutter auftätowiert, danach im Fass ertränkt und aus der Baracke nach draußen geworfen.
Das Schicksal der anderen Kinder war noch schlimmer. Sie starben langsam an Hunger. Ihre Haut wurde immer dünner, ja, im wahrsten Sinne des Wortes zu Pergament. Durch es hindurch konnte man Sehnen und Venen, ja sogar die Knochen sehen.
Unter den vielen dort erlebten Grausamkeiten erinnere ich mich insbesondere an das Schicksal einer Frau aus Wilna, die nach Ausschwitz deportiert worden war, weil sie Partisanen geholfen hatte. Sofort nachdem sie ein Kind geboren hatte, rief jemand von den Wachmännern ihre Nummer auf (die Insassen des Lagers wurden nur mit Nummern aufgerufen). Ich bin hinausgegangen, um zu erklären, in was für einer Situation sie sich befindet. Aber es half nichts. Es lies nur noch mehr Zorn aufkommen. Ich hatte begriffen, dass sie in die Gaskammer gerufen wurde. Die Frau wickelte ihr Kind in ein schmutziges Stück Papier und drückte es fest an ihre Brust. Ihr Lippen regten sich lautlos, scheinbar wollte sie ihrem Kleinen ein Liedchen singen, so wie es manchmal die Mütter tun, die ihren Kleinen ein Wiegenlied vorsingen, um ihnen etwas Trost zu spenden, bei der Eiseskälte und dem Hunger, den die Kleinen litten. Was konnten sie denn anderes tun, um ihren Kleinen doch wenigstens ein bisschen ihr bitteres Los zu erleichtern? Doch diese Frau hatte keine Kraft mehr, sie konnte keinen Ton herausbringen. Nur dicke, leise Tränen flossen ihre ungewöhnlich bleichen Wangen hinab und fielen dem kleinen zum Tode Verurteilten auf dessen Köpfchen. Was hier das Schlimmere war, lässt sich schwer sagen. Das Mitansehen müssen, wie der Kleine vor den Augen der Mutter zu Grunde geht oder der Tod der Mutter, die in den Tod gehen muss, mit dem Wissen, ein Kind zurückzulassen, dass der Willkür des Schicksals ausgesetzt ist.
Ich hatte bisher noch nicht die Möglichkeit, dem Gesundheitsdienst einen Rapport über meine Tätigkeit als Hebamme in Ausschwitz zu übermitteln. Ich tue dies nun im Namen aller, die der Welt schon nicht mehr erzählen können, was für Leid ihnen angetan wurde. Und wenn in meiner Heimat, ungeachtet der schrecklichen Erfahrung des Krieges, Tendenzen aufkommen sollten, die sich gegen Gezeugtes Leben wenden, dann hoffe ich auf die Stimme aller Hebammen und aller wirklichen Mütter und Väter, ja, aller anständigen Bürger, für das Leben und das Recht der Kinder einzutreten“.
Uebersetzt von Henrik Hansen
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