2 Juli 2012| Bednenko Wladimir Nikolaewitsch

Raus aus der Blockade von Leningrad bis nach Tulun in Sibirien

Wladimir Nikolaewitsch Bednenko, foto 1949.

Der Vater von Wladimir Nikolaewitsch – Nikolaj Ilarionowitsch Bednenko (1902 – 1968) stammte aus der Ukraine, aus Brjanzewka im Donezker Gebiet. 1931 wurde er zum Studium an die Roten Akademie in Leningrad (heute Sankt Petersburg) delegiert. Seine Mutter, Alexandra Petrowna Nabatnikowa (1907-2002), kam aus einer der ersten Kosakenfamilie vom Kuban, die die Siedlung Kurgannaja im Gebiet von Krasnodar begründet haben. Bis heute stehen in der alten Kosakensiedlung noch fünf aus Ziegeln gebaute Häuser, die der Vater von Alexandra Petrowna gebaut hat. In ihnen befinden sich heute einige Behörden der Kreisverwaltung. Auch eine Kirche hat ihr Vater errichtet.

1941 lebte ich mit meiner Familie in Leningrad. Ich war damals 14 und hatte die sechste Klasse beendet. Zu unserer Zeit wurde man erst mit 8 Jahren eingeschult. Es waren Sommerferien. Schon vor dem Krieg wurde nachts manchmal geübt, wie die Leute sich im Falle eines Bombenangriffs verhalten sollten. Überall waren auch schon Luftschutzkeller eingerichtet, die mit den riesigen Buchstaben LK. gekennzeichnet waren.

Wir hatten Angst vor Gas. Man hatte uns gezeigt, was es für verschiedene Arten von Gas gab — Phosgen, Diphosgen, wie sie riechen und wie sie zu unterscheiden sind. Ebenso war uns beigebracht worden, in welche Richtung man laufen sollte, bis der Wind das Gas weggeweht hat. Im Schulhof fanden die Lehreinheiten statt: Man demonstrierte uns, wie wir die Entgaser – solche Metallkisten auf Rädern – handhaben sollten. In ihren befanden sich Sägespäne. Wenn die giftigen Flüssigkeiten herabfielen, dann sollten wir sie in diese Kisten sammeln und dann gemeinsam mit den Sägespänen ins Wasser werfen. Leningrad steht ganz auf Flüssen und Kanälen. Neben unserer Straße flossen die Mojka und der Gribojedow-Kanal. Dorthinein wurden die verseuchten Sägespäne gekippt, und die Fische starben.

Alle bereiteten sich auf den Krieg vor. Wir fürchteten Spione. Man hatte uns angehalten, dass wir, wenn wir auf Menschen treffen, die schlecht russisch sprechen, diese dem Diensthabenden der Miliz vor Ort melden sollten. Ich war an der berühmten Peterschule, der ersten Schule am Ort, die Peter I. gegründet hatte. Es war eine deutsche Schule, dort unterrichteten deutsche Lehrer. Die Disziplin in der Schule war streng. Das bedeutet aber nicht, dass wir Kinder nicht auch mal durch das Schulhaus gerannt sind. Wir stürmten, schupsten, ergriffen irgendwelche Jungs und sperrten sie in die Mädchentoilette. Dort fielen die Mädchen dann über sie her und prügelten auf sie ein – also ein ganz normales Leben unter Kindern. Wenn jedoch eine Lehrerin kam, die eine rote Armbinde trug, dann war es die Aufsichtshabende der Etage. Dann kam es oft vor, dass sie uns die Ohren langzog – ganz im wörtlichen Sinne – wenn wir nicht spurten. Das war ganz normal und niemand hatte das Recht, etwas dagegen zu sagen. Sie führte dann denjenigen, den sie erwischt hatte, ins Lehrerzimmer, klärte, in welche Klasse er ging, und bestellte den Klassenleiter dazu. Wenn dieser nicht in der Schule war, ließ sie ihn von zu Hause kommen. Unsere Eltern waren meist immer beschäftigt, sie arbeiteten. Außerdem erziehen Eltern auf eine milde und weiche Art. Sie streicheln dir über den Kopf. Eine Mutter stellt keine Forderungen, sie hat meistens immer Mitleid und nimmt ihr Kind in Schutz. In der Schule jedoch war es anders. Für das, was man verbrochen hatte, wurde man bestraft. Wenn einer von den Eltern kommt und sich beschwert, dann meinte die Lehrerin nur, dass die Kinder, wenn man sie aus Leningrad evakuieren wird, noch genug Zeit haben werden zum Spielen, soviel sie wollen. Als ich zur Schule kam, waren viele deutsche Lehrer schon weggesiedelt worden. (Die Zwangsumsiedelungen hatten schon 1934 begonnen). Auch Russen wurden umgesiedelt. Ich möchte noch einmal bemerken, dass unsere Schule die beste war. Wenn ich einen von der Peterschule traf, dann war er mir wie ein Bruder. So wie auch die Mädchen, die an der Adelsschule für Vornehme Töchter erzogen wurden, jeder anderen aus dieser Schule helfen würde, wenn eine von ihnen zu ihr kommen würde und um Hilfe bittet. Sie würde das letzte Hemd für ihre Kameradin hergegeben, ihr zu Essen gegeben und bei sich aufnehmen. So wurden auch wir erzogen.

Der 21. Juni 1941 fiel auf ein Wochenende. Meine Familie – meine Eltern, mein Bruder Boris (er ist zwei Jahre jünger) und ich – wir lebten zusammen in einem Zimmer einer großen Kommunalwohnung, der früheren Wohnung des Generals Schidlowskij, dem Leiter des Gestüts des Zarenhofes. Ich wurde zum Brotholen in eine Bäckerei auf dem Newskijprospekt geschickt. Wir wohnten in der Sheljabowstrasse (die frühere Bolschaja Konjuschennaja) gleich beim Leningrader Kaufhaus. Die Bäckerei war neben der Puschkinapotheke, in der schon Puschkin seine Medikamente besorgt hatte. Die Wohnung von Puschkin lag auch ganz in der Nähe.

Ich laufe mit einem Weißbrot unter dem Arm nach Hause, als aus dem Radiolautsprechern — vor dem Krieg hatte man sie an den Laternenmasten auf den Straßen angebracht — eine Stimme erklingt: „Achtung, Achtung! Sie hören jetzt eine wichtige Meldung.“ Alle liefen zu den Lautsprechern. So auch ich. Es wurde gemeldet, dass die Deutschen die Grenze überschritten haben und unsere Städte bombardieren. … Der Krieg hatte begonnen. Ich hörte die Meldung und nagte, ohne es zu merken, an dem Weißbrot, das ich für zu Hause gekauft hatte. Ich lief in die Bäckerei zurück, doch dort hatte sich schon eine Schlange gebildet. Die Leute kauften bis zu 10 Brote am Stück. (Mehr wurden an eine Person nicht abgegeben). Auch ich kaufte noch zwei dazu. Ich rannte nach Hause. Meine Eltern waren noch im Bett, als ich ihnen von der Schwelle zurief: „Ihr schlaft und draußen herrscht Krieg! Hat Molotow gesagt.“ Sie wollten es mir nicht glauben.

Ich hatte gelernt, wie man eine Brandbombe löschen muss. Oft wurden ganze Ladungen solcher Bomben über der Stadt abgeworfen. Vier Brandbomben und eine Sprengbombe zusammen. Manchmal wurde im Kino gezeigt, wie welche auf den Dächern sitzen und die Bomben löschen. Das ist aber Unsinn. Wenn auf das Dach, wo man sitzt, eine Bombe fällt, wird man von der Druckwelle der Explosion weggeschleudert. Man muss unbedingt eine Etage tiefer rennen, dort auf den Betonstufen ist es ungefährlich. Erst dann kann man sich wieder aufs Dach wagen und die Bombe löschen. Dafür standen überall Fässer und große Zangen. Mit ihnen sollte man die Bomben nehmen und in die Fässer werfen. Dort gluckert sie dann. Wenn man sie aber aus dem Fass herausholt, konnten sie, wenn sie trocken waren, wieder anfangen zu brennen – das hängt mit dem Phosphor zusammen. Später gab man uns solche Kopfbedeckungen, wie sie die Schweißer tragen. Mit ihnen war es nicht so gefährlich.

Der Blockade von Leningrad war ich entkommen. Man evakuierte alle Kinder aus Leningrad. Das war die Hauptaufgabe: die Kinder zu retten. Ich wurde sogar zweimal evakuiert. Der erste Transport war von der Schule organisiert. Schon am 22. Juni, am Montag, wurden an uns Zettel verteilt, was wir für eine Evakuierung vorbereiten sollte: einen Kamm, ein Handtuch usw. Die Schule stellte verantwortliche Lehrer bereit. Alle wurden in Gruppen aufgeteilt.

Alles lief sehr organisiert ab, ohne Panik und Geschrei oder Gerenne. Vor der Schule waren Busse vorgefahren und diese brachten uns direkt zum Bahnhof, wo man uns in Wagons verfrachtete. In einen Personenzug – keine Güterwagen! Unsere Eltern waren informiert, wohin wir gebracht werden sollten. Man gab uns Zucker, Mehl, und jeder von uns bekam einen Zettel mit seinem Namen und seiner Adresse. Zuerst brachte man uns aus der Stadt hinaus, zur Station Burga am Flüsschen Msta. Dort stiegen wir mit unseren Säcken auf dem Rücken – damals gab es noch keine Rucksäcke — aus dem Zug aus. Unsere Eltern hatten mir und meinem Bruder Säcke genäht, die mit einer Schlinge zusammengehalten wurden. An der Front nannte man diese Säcke „Sidor“. Es war darum gebeten worden, dass die Eltern die Säcke in verschiedenen Farben nähten, damit man die Kinder unterscheiden kann. Wir waren insgesamt 2500. Natürlich begreife ich heute, dass es unmöglich war, Kinder nach Burga zu evakuieren. Es liegt an der Hauptbahnstrecke nach Moskau, über die die Transporte für Leningrad abgewickelt wurden: Truppen, Granaten und militärische Ausrüstung. Auch Panzer. Bis dorthin waren auch die Deutschen schon vorgedrungen. Ich erinnere mich aber nicht mehr, wie lange wir in Burga waren. Es war Herbst, aber noch warm. Diese ganze Evakuierung erschien uns eher wie ein langer Ausflug. Wir fingen Fische und spazierten mit den Mädchen. Die erste Liebe. Es war aber kein Pionierlager: Es gab keine Lagerdisziplin. Es herrschte Freiheit.

Wir wurden nach Leningrad zurückgebracht. Ich weiß nicht mehr, an welchem Bahnhof wir ankamen. Es begann die zweite, die sogenannte städtische Evakuierung. Unsere Mutter kam zu uns und sprach mit mir und meinem Bruder Boris. Nur wurden wir nun in Güterwagons verladen, man nannte sie im Krieg „Zu 500 ist es lustig“. Vielleicht war das aber auch irgendeine Geheimsignatur. Man brachte uns nachts aus der Stadt, wohl organisiert. Man gab uns ein offizielles Dokument, dass wir evakuiert worden sind. Unsere Mutter gab uns eine Blechkanne und Zucker mit. Wir zogen unsere Wintersachen an. Auf unseren Mänteln schliefen wir, Boris und ich, denn in den Wagons gab es nichts, nicht einmal Stroh. Ich stamme aus einem Kosakengeschlecht und weiß sehr wohl, dass in den Wagons Stroh ausgelegt sein sollte, auf dem man schlafen kann. Danach wird es weggeworfen und verbrannt, damit sich keine Flöhe ausbreiten können. Doch wir hatten nichts. Ein Glück, dass unsere Mutter uns unsere Wintermäntel mitgegeben hatte. Wir gingen davon aus, dass man uns für drei Monate evakuieren würde und dass die unsrigen bis dahin Deutschland zerschlagen haben werden. Das Ziel unserer Reise war Omsk. Wir nahmen die Nordroute. Wir waren noch gar nicht weit gefahren, als wir irgendwo stehen blieben. Wir schauten auf irgendwelche Felder und sogar Häuser. Es war dunkel. Nacht. Auf dem Gleis neben uns stand ein Tankzug, auf dem auch große Bomben geladen waren. Wenn der explodiert wäre, dann wäre von uns nichts mehr übrig geblieben.

Wir standen eine, zwei Stunden. In der Tiefe der Nacht hört man Schüsse. Man konnte eine ganze Kette von Menschen erkennen. Wieder Schüsse. Die Deutschen waren bis hierher durchgekommen. Es kam ein Mann in Eisenbahneruniform und schrie: „Evakuierte! Kommt aus den Waggons, rennt in die Wiesen, bringt die Kinder weg, jetzt geht hier die Hölle los!“ In jedem Wagon war ein Erwachsener, der uns Kinder begleitete. In unserem Wagon war es der Vater von einem Mädchen, von Dora. Er hatte sie in Leningrad zum Bahnhof gebracht. Dort hatte man ihn einfach in einen Wagon verfrachtet mit der Auflage, die Kinder zu begleiten. Er versuchte den Verantwortlichen klar zu machen, dass er nichts bei sich habe. „Haben Sie Ausweispapiere? Fährt ihr Kind hier mit? Steigen Sie in den Wagon und fahren Sie mit!“ So war er also in unseren Waggon geraten. Er war ein sehr guter Mensch, aber voller Angst. Und er wusste nicht, was er tun sollte. Er war völlig ohne Plan. Aus einigen Waggons begannen Kinder hinauszuspringen. Wir jedoch blieben sitzen. Und plötzlich ruckte der ganze Zug an. Ein Teil der Waggons wurde abgekoppelt und blieb auf den Gleisen. Wir in den ersten Waggons fuhren mit denen, die sitzen geblieben waren, weiter. Meine Mutter erzählte mir später, dass sie vom Schicksal unseres Eisenbahntransports erfahren hatte. Man hatte ihr gesagt, dass alle umgekommen seien und dass jene Kinder, die in die Wiesen geflüchtet waren, von den Deutschen erschossen worden sind. Wir jedoch fuhren weiter. Manchmal standen wir stundenlang, dann ging es wieder weiter. Wir hatten nichts zu essen, kein Wasser und einige von uns starben. Das Schlimmste war, dass wir kein Wasser hatten. Ich machte mich daran zu dichten: Hier ist eines von den Gedichten:

Vergessen und verlassen
Steht unser Zug allein
Es gibt nicht einen Tropfen Wasser
Und Dora ist ständig am Schreien.

Wir kamen am Bahnhof von Kotelnitshja vorbei, dann Buj. Die Brunnen waren alle ausgetrocknet, überall nur Schlamm. Eine ganze Kinderschar schreit und bittet den Lokführer: „Gib uns wenigstens einen kleinen Schluck Wasser!“ „Kann ich nicht.“ – meint er immer – „wir werden aber jetzt etwa vier Stunden hier halten. Mehr als 100 Meter geht keiner vom Zug weg. Wenn ich das Signal gebe, werden wir sofort weiterfahren. Solange wir hier stehen, könnt ihr umherlaufen. Seht, dort gibt es einen Bach!“ Und wir rannten los, wuschen uns – dreckig und verschwitzt vor Angst.

Durch die Waggons kamen irgendwelche schmutzigen, grauen Männer mit Bärten. Sie fragten, ob es irgendwo Leichen gebe. Aber alle schwiegen. Ich ging zu Doras Vater, doch der war schon tot. Er starb nicht wegen Hungers oder Kälte, sondern aus Angst. Es endete damit, dass sie ihn mitnahmen. Dora kam zu mir und sagte mir: „Jetzt bist du mein Papa.“ Und sie wich mir nicht mehr vom Leibe.

Ganz im Allgemeinen war großes Chaos auf dem gesamten Weg: Jemand sagt etwas – und man wusste nicht, ob man dem folgen sollte oder nicht, ob es so richtig war oder falsch! Der eine schreit: „Keiner entfernt sich vom Waggon! Der Waggon ist unser Zuhause!“ und der nächste ruft: „Lauft fort, denn gleich wird man unseren Zug beschießen!“

So gelangten wir schließlich nach Omsk, wo wir „entladen“ wurden und man uns badete. Dort wurden wir aufgeteilt: ich in die Arbeitsgruppe, meinen Bruder ins Kinderheim. Doch unsere Mutter hatte uns aufgetragen, dass wir zwei immer zusammenbleiben sollten, denn sonst würde sie uns nie wiederfinden. Und so setzten wir uns, Boris uns ich, heimlich wieder in einen Zug und fuhren weiter. Nachdem wir alle unsere Sachen für Essen eingetauscht hatten, waren wir schließlich ohne Geld und ohne Kleidung in Sibirien, in der Stadt Tulun im Gebiet von Irkutsk gelandet. Der sibirische Winter brach an. Ich war damals 14 und Boris 12.

Aus der Blockade von Leningrad wurden wir also im Herbst 1941 zusammen mit meinem Bruder Boris nach Tulun evakuiert. Dieses Städtchen befand sich zwischen Irkutsk und Kransojarsk. Ich hatte nichts mehr außer meine Papiere, in denen stand, dass ich aus Leningrad evakuiert worden bin und meine Eltern an der Front kämpfen. Darin war auch eine Bitte an die örtliche Verwaltung formuliert, dass man mir helfen sollte. Diese Dokumente waren wirklich hilfreich, denn sie verschafften mir einen Job als Wächter einer Funkstation, die ebenfalls zum Schutz vor japanischen Luftangriffen hierher evakuiert worden war. Das war die Rettung für meinen Bruder und mich, denn so hatten wir nun auch eine Bleibe. Es gab dort auch irgendwelche alten Sachen zum Anziehen und auch Geschirr, denn wir selbst hatten ja nichts mehr. Einen Teil des Geschirrs gab ich aber einer Nachbarin, die überall in den Häusern nach Geschirr fragte, für das Krankenhaus. Es wurde damals in Tulun eins eingerichtet. Auch die Orthodoxe Kirche wandte sich an die Gläubigen, mit Wäsche, Kopfkissen, Decken, Löffeln und Tellern zu helfen.

Während des Krieges wuchs die Zahl der Frauen, die in die Kirche kamen. Ich weiß, dass man nicht nur bei uns in Tulun für das Krankenhaus sammelte, sondern auch in anderen Städten im Hinterland. Man suchte auch nach Papier. Man schrieb an Zeitungen. Wir jedoch drehten aus dem Papier selbst unsere Zigaretten: etwas Tabak in ein Stück Zeitung, rollen, fertig. Feuerzeuge gab es damals noch nicht, aber schon bald kriegten wir es raus, sie aus Patronen zu basteln. Auch ich fing damals mit dem Rauchen an und lernte Zigaretten selbst zu drehen.

Ich ging dort wieder zur Schule. Die siebte Klasse wurde mir automatisch angerechnet und so beendete ich 1942 bereits die 8. Klasse. Am letzten Schultag wurden wir alle zusammengerufen und in eine Schule für junge Soldaten geschickt, nach Scheragul (Damals waren wir mit 15 Jahren schon herangewachsen und körperlich gut entwickelt.) Dort sollten wir es lernen, wie man Panzer zerstört, das heißt, wie man mit Granaten einen Panzer stürmt. Zuerst zeigte man uns, Granaten zu unterscheiden – die Handgranate von Djakonow, die F-1 — man nannte sie auch Zitrönchen — und die F-2. Wenn wir antraten, dann immer ohne Waffen. Die ergriffen wir nur bei Alarm. Wir hatten alte Gewehre. Man zahlte uns kein Stipendium, obwohl es als eine militärische Ausbildung galt. Doch die Fachschule gehörte der Armee. Das Essen war dürftig, wir hatten die ganze Zeit Hunger. Nachts kletterten wir über Zäune und stahlen von den Feldern der Kolchose Kohlköpfe. Nach dem Kurs schlug man uns vor, in die Artilleriefachschule zu gehen. Man lockte uns damit, dass wir so zwei Jahre sparen würden. Anstatt die neunte und zehnte Klasse zu besuchen, geht’s sofort zur Fachschule und jeder bekommt den Dienstgrad eines Leutnants. Von dort geht’s dann sofort an die Front, in die vorderste Linie und dann nach drei Monaten gibt’s einen Stern mehr auf den Schulterstücken.

Doch ich und mein Freund Helka — sein Vater war Chemiker und er nannte ihn immer Helium — flohen ohne Erlaubnis nach Tulun. Dort meinte Helkas Vater — er war der Direktor von fünf Schulen in der Stadt — dass wir die Stadt verlassen müssten, denn man würde uns suchen uns so quasi auf frischer Tat ertappen, ohne gültige Dokumente. Er schickte uns nach Sajany, in der Nähe der Siedlung Zaborje, damit wir dort bei der Heuernte mithelfen für die Pferde der Schulen. Wir wurden freundlich empfangen. Evakuierte gingen nicht in die Taiga. Auch wenn man nur mal kurz ein paar Beeren sammeln will, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man den Weg nicht mehr zurückfindet. Entweder wird man von einem Tier gefressen oder man verirrt sich gnadenlos. Dann die ganzen Schwärme von Mücken verschiedener Art: die gewöhnliche Mücke und die rotäugige, winzige Stechmücke, die es auf die Augen und die Augenlider abgesehen hat, sodass man dann bald nichts mehr sieht. Die Kühe werden irre von diesen Bestien. Das Euter der sibirischen Kühe ist mit Fell überzogen gegen die Stechmücken und zum Schutz gegen Frost.

Die Evakuierten richteten sich auf verschiedene Weise in Sibirien ein. Auf dem Markt sah ich solche, die ihre Sachen eintauschten. Sie gaben einen Ring her für ein paar Lebensmittel. Ich sah einen Mann weinen: er hatte nichts. Dabei brauchte er Schuhe, eine Mütze und Handschuhe, denn es war Winter – Minus 50 Grad. Ich sah die Frauen von Grenzsoldaten. Ihre Männer waren gefallen. Ihre Frauen und Kinder hatte man rechtzeitig in den Osten verfrachtet. Es waren ganz junge Frauen mit kleinen Kindern. Was kann von ihnen bekommen? Es waren Mädchen, die gerade die Schule beendet, einen Soldaten geheiratet und sofort ein Kind geboren hatten. Was können sie tun? Granaten scharf machen? Nein. Graben? – Die Erde war bis 2 Meter tief gefroren und noch weiter unten begann der Dauerfrostboden. Wenn sie eine Brechstange dreimal anheben, müssen sie sich erst mal hinsetzen. Niemand kann sie gebrauchen und so saßen sie in der Nähe vom Bahnhof und gingen zwischen den Militärtransporten umher, wo die Soldaten standen und gaben sich ihnen hin, für ein Stück Brot oder eine Fleischkonserve. Ich habe mit diesen Frauen gesprochen: „Wie könnt ihr es wagen? Ihr seid doch Komsomolzinnen!“ Ich war so ein Idealist. Und sie entgegneten mir: „Ich bin für alles bereit, dass nur mein Kind überlebt. Ich habe es auf dem Arm und es stirbt mir weg. Es will ein Stück Brot, aber ich habe nichts. Eine Fleischkonserve kann ich auf einen halben Monat strecken. Ich gebe ihm einen Löffel jeden Tag in heißes Wasser, so hat es seine Suppe“. Ja, so etwas gab es …

Wir mähten Heu und erst im späten Herbst beendeten wir die Arbeit. Es war schon Schnee gefallen und im Schnee kehrten wir in die Stadt zurück. Dort ging ich zum Sekretär des Kreiskomitees und bat ihn um eine Arbeit. Als Wächter bekam ich 120 Rubel. Die reichten mir nicht einmal, um das nötige Essen, wofür ich Lebensmittelkarten erhielt, zu kaufen. Der Sekretär vom Kreis schickte mich ins Fleischkombinat. So wechselte ich auf die Abendschule und begann tagsüber zu arbeiten.

Aufstehen musste ich um 5 Uhr morgens. Ich ging zuerst in das Kombinat und danach in die Schule. Erst Viertel vor 12, also Mitternacht, war ich wieder zu Hause. Nachts mussten ich und meine Bruder unsere Unterwäsche ausziehen und auskochen, damit uns nicht die Flöhe befallen und wir Typhus bekommen, den Fleckentyphus oder den am Unterleib und dann daran sterben. Jeder von uns hatte aber nur einmal Wäsche und nichts zum Wechseln. Deshalb mussten wir nachts alles zusammen auskochen, das Dunkle und das Weiße in einen Topf. Und dann noch trocken und morgens alles wieder anziehen.

Im Fleischkombinat arbeitete ich nur ein halbes Jahr. Nicht mehr. Das heißt, ich überlebte den Winter. Im Frühling kam ich ins Gefängnis. Das Auto, was täglich die Fleischbrühe für die Mensen der Stadt abholte, wurde eines Tages am Werksausgang aufgehalten, denn in einem Fass hatte man eine Wurst in einem Sack entdeckt. Man fragte sie aus und sie antworteten: „Das hat uns der da, von der Räucherabteilung gegeben“. Damit meinten sie mich. Ich muss noch sagen, dass man mich, bevor ich eingestellt wurde, einige Male geprüft hatte, ob ich ein Dieb sei. Erst danach schickten sie mich zum Wursträuchern, weil nämlich alle überall was mitgehen ließen.

Ich wurde um 6 Uhr morgens abgeführt. Es war ein Sonntag. Ich hatte noch geschlafen und wollte noch nicht aufstehen. In diesem Moment klopft es plötzlich. Sie haben alles durchsucht, aber konnten absolut nichts finden. Zu diesem Augenblick hatte ich sogar die Suppe, die uns zustand, ganz aufgegessen. Erst am Montag hatten wir wieder das Recht auf eine neue Dose. Alles war sauber, sie suchten und fanden nichts. Ich sagte zu ihnen: „Lasst mich das Untersuchungsprotokoll unterschreiben!“ Das sollte doch festgehalten werden – dachte ich mir — ein offizielles Dokument, dass bei mir nichts gefunden wurde. Sie aber antworteten mir: „Da kannst du lange darauf warten“. Es musste jemand herhalten. Was sollten sie noch länger suchen? Und so geriet ich in Untersuchungshaft und war, wie das da immer so ist, unendlichen Verhören ausgesetzt. Ich hatte aber Glück. Der Staatsanwalt kam und fragte: „Hat jemand irgendwelche Bemerkungen und Einwände?“ Ich: „Ja, ich habe welche. Ich bitte darum, dass man mir hier meine Schulbücher herbringt. Ich verpasse den Unterricht, sitze hier einfach rum, während ihr die Sache nicht klären könnt. Ich werde dann den Stoff nicht mehr aufholen können. Ich brauche meine Schulbücher. Bitte bringt sie mir, denn so kann ich hier wenigstens lernen!“ Der Staatsanwalt war so was von verwundert, dass er mich fragte, wer ich sei. Mein Aussehen kann man sich so vorstellen: So einer in „bunter Wattejacke mit Blümchen“. Da ich die ganze Zeit am Arbeiten war, Jauche pumpte und mich natürlich dabei auch schmutzig machte, kann man sich denken, wie diese Wattejacke aussah, wie sie roch und was für eine Farbe sie hatte. So auch meine Mütze. Ich selbst war nur Haut und Knochen, obwohl ich mir im Fleischkombinat ein bisschen was angefuttert hatte. Ich war so ein hoch aufgeschossener Bursche.

— Wer bist du denn überhaupt? – fragt er mich.

— Ich bin ein Evakuierter aus Leningrad.

— Und du gehst zur Schule?

— Ja, ich gehe zur Schule, aber man gibt mir meine Lehrbücher nicht. Ich habe schon dreimal schriftlich darum gebeten. Die Zeit läuft, und ich muss später die Prüfungen ablegen, denn ich weiß, dass ich hier wieder rauskomme, weil ich nichts verbrochen habe.

— Ach so, du bist also auch noch unschuldig! Du willst also nicht zugeben, dass du es warst?

Also kurz gesagt, dieser Staatsanwalt sah mich an und verstand natürlich, dass es in meinem Fall Scherereien geben wird. Wer weiß, was das für ein Bursche ist, dachte er sicherlich. Dann interessierte ihn, wie ich überhaupt in das Fleischkombinat gelangt war und als ich ihm sagte, dass mich der Erste Sekretär der Kreisleitung der Partei dorthin geschickt hatte, dachte er vielleicht, dass für ihn alles eher schlecht enden könnte. Auch weil sie nichts gefunden hatten, keinerlei Beweise, nichts. Kurz gesagt, seine Idee war folgende: „Weißt du was?“ – schlug er mir vor – „Wir machen aus dir einen Zeugen.“

Jemand sollte aber dafür eigestehen, warum ich überhaupt inhaftiert wurde! Stellen Sie sich vor, sie verlassen jetzt (nach dem Interview – A.d.Ü.) meine Wohnung und da kommen zwei auf Sie zu und sagen zu Ihnen: „Kommen Sie mit, hier steht ein Auto!“

Sie jedoch antworten: „Wohin? Was? Wieso?“ So war es mir passiert. Ich wurde trotzdem vor das Gericht geladen, und dort gab es so eine echt komische Situation, wie aus einem Witz. Der Richter verliest die Namen: „Ich“ – die Antwort und man setzt sich. Damals gab es noch keine Gitter wie heute. Es stand da einfach eine Bank und an jeder Seite standen zwei von der Miliz, zwei Muskelprotze. Wenn du dich muckst, haut dir einer von denen so eine rein, dass du dich sofort wieder still hinsetzt. Angeklagt waren drei: ein Chef, bzw. der ehemalige und zwei Jungs von den Ladearbeitern. Und es wird verlesen: „Familienname sowieso – Setzen! Familienname sowieso – Setzen! Familienname sowieso – Setzen!“ Dann auch mein Familienname: Bednenko!“ Ich aber stehe im Saal auf – denn ich sitze ja im Saal.

— Aber warum sitzen Sie im Saal? Was sind das hier für demokratische Manieren! Aber sofort auf die Anklagebank!

— Ich bin Zeuge — antworte ich – Herr Richter.

— Was für ein Herr bin ich für dich?

— Na, aber Sie sind doch kein Genosse für mich – entgegne ich. (Zu Zeiten der Sowjetunion wurde die Anrede „Herr“ als Teil der „alten“ bourgeoisen Gesellschaft verstanden und durch „Genosse“ ersetzt, was aber auch die Bedeutung Kamerad hat und damit die Gleichheit aller betonen will. A.d.Ü.)

— Wie soll man das nun verstehen „kein Genosse“ – oh, was für ein Gebildeter! Setzen!

Ich setzte mich wieder. Er las weiter und weiter … und am Ende stand geschrieben: Freispruch. Er wieder:

— Nun, was sitzt du noch hier?!

Ich:

— Sie haben es doch so befohlen.

Mit einem Wort, ich wurde freigelassen und das war alles. In das Fleischkombinat bin ich aber nicht mehr zurückgegangen. Alle fragten mich: „Warum warst du denn im Gefängnis?“ Man hatte mich mit einer Pistole im Rücken durch die ganze Stadt geführt. Es war eine kleine Stadt, nur fünfzehntausend Einwohner. Jeder wusste alles von jedem. Es gab zwei Fabriken in der Stadt: den Holzbau und das Fleischkombinat. Man redete, entweder hat er etwas geklaut oder man hat ihm etwas gestohlen – na irgendwas ist da mit ihm passiert. Kurz gesagt, nicht jeder wollte es glauben. Und jeder fragte mich dann und wollte es wissen. Das war sehr unangenehm. Trotzdem hat mich die ganze Geschichte sehr mitgenommen, mir war ja so etwas noch nie vorher in meinem Leben passiert. Gott sei Dank, dass ich körperlich gesund war und dass ich zu einem glücklichen Zeitpunkt in das Gefängnis kam, bevor so allerlei Gesindel und Pack dorthin kam, als dort ich schon wer war. Das Leben in einem Gefängnis hat seine eigenen Regeln: man schaut genau, wer das Sagen hat und wer sich unterordnet. Ich wurde geachtet, ich hatte schon alles mit eigenen Augen gesehen und am eigenen Leib erfahren. Einige haben mir da im Knast so ein kleines finnisches Messer geschenkt mit den Worten: „Du bist ein guter Mensch. Hier nimm, damit dir keiner was antut!“

Danach habe ich nicht mehr gearbeitet, weil mein Vater zu dieser Zeit aus Leningrad gekommen war. Er hatte die Stelle des Rektors (damals noch des Direktors) vom Pädagogischen Institut von Tscherkesk übernommen, das aus dem Kaukasus, nach Tulun evakuiert worden war. Man hatte ihn zum Rektor ernannt, weil er was drauf hatte. Er hatte zwei Hochschulabschlüsse. Nach einiger Zeit brachte man auch meine Mutter zu uns, mit dick aufgequollenen Beinen. Sie hatte Wasser in den Füßen. Das ist so eine Stoffwechselstörung, die sich bei den Leuten verschieden ausdrückt. Einige verlieren schrecklich an Gewicht, anderer wiederrum gehen förmlich auf. Meine Mutter musste wieder gesund gemacht werden. Ein Arzt schaute nach ihr (so ein netter alter Opa, er kam zu uns nach Hause) und sagte zu mir: „Ich fürchte, Wolodja, dass Sie sich um ihre Mutter kümmern müssen, denn ihr Vater hat überhaupt keine Zeit dazu. Schauen Sie! Nehmen Sie die Sache in die Hand und retten Sie ihre Mutter! Sie haben jetzt keine Zeit, um zu arbeiten. Was brauchen Sie! Frische Butter, ganz frische! Sie sollte jeden Tag, so viel sie kann, löffelweise Butter essen. Und nur wenn ihr Magen mit Sodbrennen reagiert, soll sie aufhören. Nur so kann sie gerettet werden. Die Butter drängt das Wasser aus den Zellen“. Eine Zelle braucht Fett. Bei ihr jedoch waren die Zellen voller Wasser.

Die Reaktion meine Mutter daraufhin war folgende: „Ich habe so ein paar Hackenschuhe, gute, mit sehr hohem Absatz und Lackleder, solche aus Leningrad, wie man sie in Sibirien noch nie gesehen hat.“ Es waren welche aus dem Ausland. Sie auf dem Markt zu verkaufen, wurde uns von unserer Nachbarin aber abgeraten. „Man bringt euch um. Da wimmelt es nur von Banditen. Sie schlagen dich von hinten nieder und klauen dir die Schuhe“.

Ich nahm einen Schuh und ging los, dorthin, wo Butter verkauft wurde. Da stand eine junge, schöne Frau mit einem Eimer. Ich schaue auf ihre Füße.

— Was haben sie für eine Schuhgröße – frage ich.

— 38-39.

Ich zeige den Schuh.

— Wie viel willst du?

— Einen Eimer Butter.

— Na du brauchst aber doch jeden Tag frische Butter?

— Ja.

Daraufhin sie:

— Also, dann bringe ich dir täglich welche. Ich verkaufe hier jeden Tag. Du nimmst ein Stück heute. Sie isst es auf und dann kommst du und holst das nächste.

Ich zu ihr:

— Aber wie kann ich dir trauen?

— Das kannst du schon!

Ich weiter:

— Das Einzige was wir machen können, ich gebe dir jetzt einen Schuh und den zweiten später.

— Einverstanden. Aber lass mich ihn zuerst anprobieren! Ja, sicher, er ist ein bisschen zu eng, aber ich werde die Schuhe ja nicht täglich tragen. Mal für einen Tag, vor den Mädels angeben.

Sie nahm den einen Schuh. Was sollte sie auch anderes machen. Ich wusste, dass sie eine Traktoristin aus dem Dorf Innokentevskij war. Was blieb auch uns anderes übrig? Wozu solche Schuhe, wenn Mama stirbt. Es war also gut so. Wir haben das Paar Schuhe also zweigeteilt: Ich gab ihr einen und nahm ein Stück Butter, so hart wie ein Stein vom Frost. So kam ich nach Hause und meine Mutter fing an, die Butter zu essen und zu genesen.

Als meine Mutter wieder auf die Beine gekommen und gesund geworden war, sagte sie: „Ich möchte nicht sterben“: Sie ging in die Brotfabrik und wurde dort Leiterin des Labors. Jeden Tag brachte sie Stücke von Brot – zum Beispiel vom Weißbrot – nach Hause. Das waren Proben. Sie war sich sicher, dass sie einen Rückfall erleiden wird. Man hatte ihr gesagt, dass die Krankheit nur vorrübergehend zurückgegangen sei. Sie glaubte nicht daran, dass sie lange leben wird und meinte immer wieder: „Ich möchte zu Hause, in der Heimat sterben“. Diese war jedoch das Gebiet von Krasnodar. Deshalb machte sie den Vorschlag, dass wir alle schnellstmöglich in den Kaukasus übersiedeln sollten, nachdem unsere dort das Feld zurückerobert haben werden.

Während des Krieges sahen sich meine Eltern kaum. Mein Vater hatte seine Sachen zu tun und meine Mutter die ihren. Da sie eine medizinische Ausbildung hatte, wurde sie an die Front geholt und leitete dort Sanitätskurse. Denn wie sollte sie als kleine Frau riesige Kerle schleppen? Meine Mutter hatte auch einen Hochschulabschluss, hatte also auch was drauf. Heute bedeutet so ein Abschluss ja gar nichts mehr. Die Qualität der Ausbildung ist nicht mehr das, was sie einmal war. Oder aber man kauft sich in der U-Bahn ein Diplom. Damals jedoch gab es so etwas nicht.

Meine Mutter erzählte viel von der Blockade in Leningrad. Es waren schreckliche Dinge, die sie uns berichtete. Ich hatte selbst gesehen, wie die Lagerhäuser von Badaew brannten. Das war ein großes Verbrechen, alle Lebensmittel an einem Ort zu lagern. Schon in den ersten Tagen war da nichts mehr. Da waren aber Lebensmittelvorräte für ganze zehn Jahre gelagert! Die Lebensmittel hätten ausgereicht für die gesamte Zeit der Blockade, für die ganze Stadt! Nur hätte man sie an verschiedenen Orten lagern sollen. Die Stadtverwaltung war in dieser Frage eine richtige Verbrecherbande. Natürlich hatten sie es nicht so gewollt, sie waren nur einfach zu dumm. Wenn man nur ein bisschen mehr nachdenkt, auch was den eigenen Haushalt betrifft! Wenn bei dir zum Beispiel das Wasser von der Decke läuft, von den Nachbarn von oben und es verdirbt all dein Essen, alle deine Vorräte, wirst du sie danach noch alle an einem Ort lagern?

Mitgeschrieben und nachbereitet von Tatjana Aleshina

Uebersetzt von Henrik Hansen

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