14 Juni 2007| Dieser Eintrag stammt von Kramer Hildegard

Kriegserlebnis einer Saeuglingskrankenschwester

Nun habe ich mich doch dazu entschlossen, ein mehr als 60 Jahre zurueckliegendes Kriegserlebnis zu Papier zu bringen. Ich beabsichtige damit, ein Erlebnis waehrend meines Aufenthaltes als kriegsverpflichtete Saeuglingsschwester in der Harzstadt Quedlinburg zu dokumentieren.

Ich wurde 1913 in Hannover geboren. Meine Ausbildung war von 1932 bis 1934 in Hannover und Wuppertal-Barmen im DRK. Bevor ich nach Quedlinburg kam, arbeitete ich in Wien, im Wiener DRK-Rudolfiner-Krankenhaus (es wurde waehrend des Krieges umbenannt). Als die ersten Bomben auf Hannover fielen, hatte ich Angst um meine alten Eltern, hinzu kam viel Heimweh. So bat ich Frau Oberin um eine Versetzung — nicht allzu weit von Hannover entfernt. So landete ich in Quedlinburg und man setzte mich in einer Planstelle auf der Saeuglingsstation ein. Dies Haus bildete auch braune Schwestern aus, so trug man mir schnell zu, dass meine Vorgaengerin unbedacht ein Zitat ihres Vaters aeusserte: «Wir werden nicht siegen». Diese junge Schwester wurde denunziert und an die Ostpreussenfront strafversetzt. Aus Verzweiflung ging sie in die «Masuren».

Eines Abends, ich war gerade noch im Spaetdienst, brachte mir ein Autofahrer eine russische Zwangsarbeiterin. Sie erwartete ihr neuntes Kind. Ich telefonierte nach Hilfe, doch es war niemand mehr erreichbar. In der Geburtenhilfe hatte ich nur eine theoretische Ausbildung und durfte nur im Notfall Hilfe leisten. Dieses galt fuer mich als Notfall, also handelte ich. Alles verlief komplikationslos. Als ich dem Kleinen gerade mit Streicheleinheiten den ersten Schrei entlockte, betrat unsere Stationsaerztin, eine Chirurgin, den Saal. Sie gratulierte mir zum ersten Gelingen und sagte leise: «Sie ist eine Juedin». Die Aerztin uebernahm den Rest der medizinischen Versorgung und es gelang uns, Mutter und Kind drei Tage zu verstecken. Die Stationsaerztin kuemmerte sich spaeter noch um die Entlassung beider.

Der Stationshebamme war es jedoch nicht entgangen. Sie drohte fortan mit Verrat bei der Oberin. Die mit mir aktiv gewesene Aerztin verfuegte in dem Hause ueber Rang und Namen. Die Hebamme indes war ohne Zeugen und zudem abhaengig von der Aerztin in der Arbeit. Ich bekam fortan jegliche Repressalien zu spueren. Sie versteckte Kinderwaesche und Seife, so dass ich die Saeuglinge nicht baden konnte und verspaetet zur Arbeit kam. Wenn ich aus Zeitmangel mein Mittagessen nicht einnahm (die Schuelerinnen brachten mir dann das Essen auf die Station), schuettete die diverse Person mein Essen in den Abfalleimer. Es folgten noch andere Boesartigkeiten.

Der psychische Druck nahm zu und ich bekam Nervenfieber. Aus Sorge, dass ich im Fieber reden koennte, bekam ich von der Aerztin Schlaf- und Beruhigungsmittel. Vom Fieber endlich genesen, vermittelte mich die Aerztin auf meinen Wunsch wieder nach Wien, wo ich mit der alten Zuneigung empfangen wurde.

Dieser Bericht wurde anlaesslich eines Projektes der «Geschichtswerkstatt Hannover» von Frau Hildegard Kramer, Hannover, zur Verfuegung gestellt und in der Zeitschrift «Widerstand» (Heft Nr. 4, 10/2000) publiziert.

 

Quelle: http://www.dhm.de/lemo/forum/kollektives_gedaechtnis/242/index.html

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