10 März 2015| Mustafin Ravil Sinnatulowitsch

Eine andere Form der Rangordnung

Mein Vater wurde im Februar des Jahres Dreiundvierzig, als er gerade 17 Jahre alt geworden war, trotz der Tatsache, dass man versucht hatte, selbst in den schwierigsten Momenten des Krieges erst Jungs ab achtzehn Jahren einzuberufen, in die Armee eingezogen. Erst nach dem Krieg kam heraus, dass der örtliche Verantwortliche im Wehrkreiskommando auf diese Weise einem seiner Verwandten die Einberufung erspart hatte. Meinem Vater aber, einem damals noch dürren und kleinen Jungen aus einem abgelegenen Dorf bei Bugulmy in Tatarstan, der zudem auch noch sehr wenig russisch sprach, musste in die Schlachten ziehen und dabei halb Europa durchqueren, im Fernen Osten gegen Japan kämpfen und danach weiter in Osteuropa seinen Dienst tun, um dann erst im Jahre 1950 endlich entlassen zu werden. Zu Hause hatte er eine Mutter zurückgelassen, zwei kleinere Brüder und eine Schwester. Der Onkel meines Vaters, Sagit, ist Anfang Zweiundvierzig an der Front gefallen. Es existieren noch einige Fotos von ihm aus der Zeit vor dem Krieg, wo er eine grobe Feldbluse mit Kragenspiegel trägt und eine Feldmütze.

Mein Vater hat nicht gerne vom Krieg erzählt. Er wollte in seinen Gedanken nicht mehr zurückkehren zu jenen Geschehnissen von damals, besonders wenn es um den Tod von Soldaten ging, mit denen er gemeinsam gedient hat. So sind wir manchmal von einer ganz anderen Seite aus auf diese Themen zu sprechen gekommen. Auch Filme über den Krieg hat er nicht gemocht.

— Das sind doch nur Schauspieler, die da spielen – meinte mein Vater dann immer – Im Krieg ist alles anders. Viel furchtbarer. Im Kino wird der Krieg mit den Augen derer gezeigt, die die Filme machen. Es geht noch an, wenn diese Leute selbst den Krieg erlebt haben. Doch dann sieht man sich irgendeinen Film von dieser Sorte an und wundert sich, warum sich die Soldaten immerfort gegenseitig grüßen und warum sie tanzen überhaupt auch beim Klang der Ziehharmonika tanzen. So sind merkwürdigerweise auch die Deutschen in diesen Filmen immer die Dummen. Wenn es in der Tat aber so gewesen wäre, dann hätten sie nie bis vor Moskau und schon gar nicht bis an die Wolga vordringen können.

Gemeiner Soldat Mustafin Zinnatula Chasanowitsch – zweiter von links. Polen, Februar 1945.

Doch manchmal ist es aus ihm einfach so hervorgebrochen. Einmal wurde im Fernsehen irgendein polnischer Kriegsfilm gezeigt. Ich glaube es war die Serie „Vier Panzerfahrer und ein Hund“. Natürlich haben da mein Vater und ich über unsere damaligen Freunde, die Polen, die mit uns Seite an Seite gegen die Deutschen gekämpft haben, ein Gespräch angefangen.

—  Polen gab es solche und solche – erzählte mein Vater – Die einen haben uns mit Blumen empfangen, für uns den Tisch gedeckt und uns zum Essen eingeladen. Andere jedoch …. Einmal ist einer von unseren Jungs auf eigene Faust losgegangen – vielleicht wollte er sich mit einem polnischen Mädchen treffen oder aber sich in einen Garten schleichen, um dort Äpfel zu pflücken, um sie den anderen Jungs in seiner Truppe zu bringen. Den Soldaten hat man nach zwei Tagen gefunden – mit aufgeschlitztem Bauch, den man mit Äpfeln vollgestopft hatte.

— Ein anderes Mal, das war auch in Polen, sind wir durch einen Wald gefahren. Plötzlich wird auf uns geschossen. Ganze Maschinengewehrsalven! Woher geschossen wird, können wir nicht erkennen. Rund herum stehen Bäume. Sofort ist Petro aus der Ukraine verletzt. Eine Kugel hat ihn im Unterleib getroffen. Das Blut spritzt aus der Wunde wie aus einer Wasserleitung, vom Rütteln des Wagens immer noch stärker. Wir schießen zurück, doch rundherum sieht man nur Baumstämme. Unser Kutscher treibt die Pferde mit aller Kraft mit seiner Peitsche an. Irgendwie gelingt es uns, aus der Schusslinie zu gelangen. Dann haben wir unseren Verwundeten verbunden. Bis wir jedoch Petro zu unserem Lager gefahren haben, bis wir ihn dahingebracht haben, kurz gesagt, in ein Lazarett habe wir es nicht mehr geschafft. Man hat gemeint, er habe zu viel Blut verloren. Er war damals schon weit über vierzig. Zu Hause hatte er sieben Kinder wie die Orgelpfeifen zurückgelassen. Wir waren beide seit dreiundvierzig dabei. Er war wie ein richtiger Vater für mich. …

— Ja, bei uns hat es auch diese besondere Behandlung der oberen Dienstgrade gegenüber den unteren gegeben – berichtete mein Vater – Doch es war eine ganz andere als heute. Die erfahrenen alten Hasen sorgten für uns jüngere, die wir noch nie in ein Gefecht geraten waren, wie Väter. Manchmal haben sie uns etwas zu Essen zugesteckt, haben ihre bescheidene Essensration mit uns Bengels geteilt oder haben ihren Zucker und ihr Brot gegen unseren Tabak oder unsere Wodkaration, die ja auch uns zustand, eingetauscht. Ich habe erst später mit dem Rauchen angefangen und ab und an auch mal einen zu trinken. Als ich jedoch mit Siebzehn an die Front geraten war, wusste ich noch nicht, wie Tabak riecht und Wodka schmeckt.

— Als ich bei der Truppe ankam, haben mir die „Alten“ sofort gesagt: „Du riskiere erst einmal gar nichts! Dazu wird es noch von ganz allein kommen. Schau erst einmal, wie wir es anstellen, lerne von uns und sammle Erfahrung!“ Und so haben wir Bengels, noch ganz grün hinter den Ohren, zugeschaut und uns diverse Soldatenweisheiten abgeguckt: wie man sich am besten tarnt, wie man sich im Gelände orientiert, wie man eine Kabel auslegt und einen Funkkontakt herstellt und viele andere Dinge, ohne die man kein guter Nachrichtensoldat hätte werden und die feindlichen Kugeln und Granatsplitter nicht hätte austricksen können. Zuerst haben uns die „Alten“ alles gezeigt. Erst später haben sie uns auf gefährliche Aktionen mitgenommen.

Hier hat mein Vater auch Russisch gelernt, womit er am Anfang noch Schwierigkeiten hatte. Es war so, dass die meisten seiner Lehrer Ukrainer waren und so hat auch mein Vater bis zu seinem Lebensende immer einen leichten Akzent behalten. Das Wort „Kirsche“ zum Beispiel hat er immer, wie die Ukrainer es tun, wie „Kürsche“ ausgesprochen. Er hat allerdings, während er mich im November 1971, als ich zur Armee eingezogen worden bin, begleitet hat, halb im Scherz, halb im Ernst zu mir gesagt: „Möge Gott dich, mein Söhnchen, davor bewahren, dass du einen Ukrainer als Kommandier bekommst und schon gar nicht einen ehrgeizigen und dienstbeflissenen. Der macht dich nämlich fertig“.

Heute habe ich meinen Armeedienst schon lange hinter mich gebracht. Ich kann sagen, dass es unter meinen Kommandeuren und Diensthabenden auch Ukrainer gegeben hat. Doch sie alle waren sehr verschieden, wie es auch bei den anderen Nationalitäten sehr verschiedenen Charakteren gegeben hat. Viele sind meine Freunde geworden, mit einigen hat sich kein Kontakt ergeben und andere haben eher einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen.

Sofort nach dem Sieg, den mein Vater in Ungarn miterlebt hat, wurde seine Einheit in den Fernen Osten verlegt. Mit voller Kraft bereitete man sich dort auf einen Krieg gegen Japan vor. Am neuen Ort kam es zwischen den Neuankömmlingen von der Front und denen, die während des gesamten Krieges im Fernen Osten ausgehaart hatte, weil man ständig mit einem Angriff Japans gerechnet hatte, oft zu Spannungen. Viele von denen, die den Krieg an der Front erlebt hatten, schauten auf die, die im Fernen Osten die ganze Zeit nur „herumgesessen“ hatten, von oben herab. Einige von denen hatten sich während dieser Jahre relativ friedlichen Lebens im Fernen Osten schon recht komfortabel eingerichtet. Sie hatten Kontakte geknüpft, viele eine Familie gegründet und einige sogar, wenn auch nur vorrübergehend, kleine Wirtschaften aufgebaut. Nun jedoch waren die Herzen der schönen Mädchen vor Ort auf einmal vom Glanz und Klirren der Medaillen und Orden der mutigen  Frontsoldaten ganz verzaubert. Es kam dazu, dass einige von ihnen den Alteingesessenen im Fernen Osten ihre Freundinnen wegschnappten, was natürlich zu Konflikten führte.

— Es gab auch Prügeleien zwischen den Jungs – hat mein Vater erzählt – manchmal einer gegen einen, manchmal eine ganze Truppe gegen eine andere. Wenn einer von den Unsrigen beleidigt worden ist, sind wir oft alle zusammen los, um die Sache zu klären. Es kam vor, dass wir uns mit unseren Gürteln geprügelt haben, mit den Soldatenkoppeln. Wir Jungs waren ja alle jung, in uns kochte das Blut. Wir waren genau in dem Alter, in dem die Männer kämpfen und dann noch nach den Erfahrungen an der Front und so lange Zeit ohne Frauen. Die Kommandeure haben natürlich versucht, die Dinge unter Kontrolle zu bekommen, doch in der Tiefe der Seele waren sie auf unserer Seite, denn wir hatten zusammen gekämpft und haben gemeinsam dem Tod ins Angesicht geschaut. Wenn sie aber jemanden bestraften mussten, dann war es einer der Widerspenstigen von uns, der dann für 5 bis 10 Tage in den Karzer musste.

Erst kurz vor dem Tode meines Vaters ist er einmal, was die Erinnerungen an die Zeit im Fernen Osten betrifft, gesprächiger geworden. Ich habe verstanden, dass er da unter den Mädchen vor Ort eine Freundin hatte. Dann hat er plötzlich mitten im Satz abgebrochen, als ob ihm der Gedanken gekommen sei, dass er schon zu viel gesagt habe, dass er etwas preis gegeben habe, was er eigentlich nicht hätte sagen sollen, als ob er sich vor mir schämen würde. Vielleicht hat er es als zu anmaßend befunden oder aber er hatte Angst, dass ich etwas nicht recht verstehen könnte oder dass seine Offenheit, dem Andenken an meine Mutter hätte schaden können, mit der er über ein halbes Jahrhundert zusammengelebt hat und die ein Jahr vor ihm aus dem Leben gegangen war.

Vor Beginn der Kampfhandlungen und erst recht wenn sie im vollen Gange waren, hatten die Nachrichtensoldaten immer alle Hände voll zu tun. Manchmal mussten sie in sehr kurzer Zeit ein Telefonkabel auslegen. Um eine solche Aufgabe erfüllen zu können, mussten die am besten ausgebildetsten, widerstandfähigsten und kampferfahrensten Funker per Fallschirm in die wilden Wälder der Ussurischen Taiga hinabspringen.

Einmal hat man der Truppe, in die mein Vater geraten war, Fallschirme und ein Lebensmittelpaket für einige Tage, einige Patronen für ein Luftgewehr und Geräte zum Abschießen von Leuchtraketen ausgehändigt und sie unterweisen – oder besser gesagt, kurz mit Worten erklärt, wie man mit einem Fallschirm springt, wie man dabei die Beine halten und sich dann von den Leinen befreien sollte. Dann hat man sie mit einer Rolle mit Telefonkabel in eine „Douglas“ verfrachtet und sie einzeln mit Fallschirmen aus dem Flugzeug geworfen.

Das Flugzeug hob von der Erde ab, gewann an Höhe und ist auf Kurs gegangen. Nach einiger Zeit begann ein Summer zu vibrieren und über der Tür zur Kabine des Piloten leuchtete eine Lampe auf. Derjenige, der nun an der Reihe war auszusteigen, hat noch einmal mit seinen Händen die Fallschirmausrüstung abgeklopft und sich danach, nach einem kurzen „Los!“, mit dem Rücken zuerst durch die offene Luke fallen lassen.

Das Landen hat gut geklappt. Mein Vater ist bis fast auf die Erde geflogen, bevor der Schirm in den Ästen der Bäume hängenblieb. Er hat daraufhin die Leinen abgeschnitten, das Luftgewehr festgehalten und ist dann weich auf den Boden gesprungen.

Er hatte aber noch einen weiten Weg vor sich, etwa 2 Tage lang musste er laufen und vielleicht auch drei. Und das ohne einen Pfad. Er musste über Berge und durch Niederungen, durch Flüsse und Bäche. In der Ussurischen Taiga leben viele wilde Raubtiere. Außer den seltenen und für unsere Wälder sogar ein wenig exotischen Tigern und Leoparden, gibt es dort auch nicht weniger gefährliche Wölfe, Luchse, Vielfraße und Wildschweine, ganz zu schweigen von den Bären. Sie können in Herden einen Menschen anfallen, einige von oben, wo sie sich in den Zweigen der Bäume versteckt halten. Es ist ein Glück, wenn man es schafft, das Luftgewehr rechtzeitig in Stellung zu bringen und zu zielen. Wie soll man sich aber, wenn man vorbeischießt, vor einer in Rage geratenen Rotte Wildschweinen mit ihrer gesamten Brut retten? Da kann man nur auf einen Baum klettern.

Doch vor einem Bären kann man sich nicht einmal auf einem Baum retten. Der kriegt einen auch dort. Nur einem erfahrenen Jäger und noch besser einer ganzen Gruppe von erfahrenen Männern kann es gelingen, Meister Petz mit dem ersten Schuss zu erlegen. So ein Spaziergang über mehrere Tage durch die Taiga, ganz allein und sich dabei ständig nach dem Kompass richten und die Richtung mit dem Stand der Sonne vergleichen, war also keine leichte Aufgabe. Wenn etwas passiert wäre, wäre niemand dagewesen, der einem hätte helfen können. Das nächstgelegene Dorf lag dutzende Kilometer weit entfernt. Wer hat schon das Glück auf eine verwaiste Jagdhütte zu stoßen.

Am Abend des ersten Tages gelangte der Sergeant Mustafin an das Ufer eines kleinen Flusses. Dort stärkte er sich etwas mit dem, was sein Lebensmittelpaket ihm bot. Er hatte schon keine Kraft mehr ein Feuer zu machen und kletterte deshalb für die Nacht sofort auf einen dicken Baum. Dort verbrachte er einige Stunden und versuchte es sich in der Astgabel zwischen dem Stamm und einem Ast gemütlich zu machen. Er schnallte sich mit seinem Gürtel fest an den einen Ast dieses Baumes.

— Die meiste Angst hatte ich – so erzählte mein Vater – nicht vor einem Tiger oder einem Leoparden, sondern vor einem Bären. Obwohl mir klar war, dass mein Nachtlager in keiner Weise sicher war weder vor dem Herrn der Taiga noch vor anderen Raubtieren, die auf Bäume kletterten konnten, fühlte ich mich doch dort auf dem Baum sicherer und konnte wenigstens ein wenig schlummern.

Als  es am nächsten Morgen hell geworden war, hat sich mein Vater losgeschnallt und ist zum Fluss hinuntergegangen. Dort hat er einen Fisch gefangen und ein Feuer gemacht. Während der frische Fisch auf dem Feuer garte, hat mein Vater schnell im Fluss gebadet und ist zurück ans Ufer. Am Ufer hat er eine geraucht und sich auf dem Gras ausgestreckt, voller Freude in den eher kargen Speiseplan eines Soldaten in der Kriegszeit eine kleine Abwechslung einbringen zu können.

Plötzlich hört er das Rascheln von Blättern und das Knacken von Ästen und alle seine süßen Träume waren blitzschnell verschwunden. Die freudige Erwartung eines schmackhaften Frühstücks war mit einem Mal völlig vergessen. Am gegenüberliegenden Ufer des namenlosen Flusses kam, nachdem dieser sich durch dichtes Gestrüpp gekämpft hatte, ein wilder Bär zum Vorschein. Er richtete sich kurz auf seine Hinterpfoten auf, schnüffelte mit seiner Schnauze, mit der er wohl den Geruch, der vom Feuer aufstieg, wahrnahm und machte sich entschlossen auf den Weg in Richtung Feuerstelle.

Mein zukünftiger Vater dagegen hat sich schnurstracks aus dem Staub gemacht. Er hat es nur geschafft, sich die Stiefel über die nackten Füße zu ziehen, das Luftgewehr auf den Rücken zu schwingen und in einem Nu auf einem Baum zu verschwinden.

Der Bär war ebenso schnell am anderen Ufer und näherte sich der Feuerstelle. Dort roch er den da hinterlassenen Leckerbissen, ging ohne Eile rund um das Feuer herum und hielt dann für einige Sekunden inne, als ob er darüber nachdenken würde, was er nun als nächstes tun solle. Wenn er einen Menschen erlegen würde, dann hätte er, was die Nahrung betrifft, für mehrere Tage ausgesorgt. Doch dafür müsste er hoch auf einen Baum klettern und es wäre auch nicht hundertprozentig sicher, dass das Unternehmen erfolgreich für ihn ausgehen würde. Auf der anderen Seite hatte dieser Mensch ihm doch nichts Schlechtes getan, er hatte ihn nicht gereizt, nicht auf ihn geschossen, sich nicht mit ihm um sein Essen geschlagen und machte auch keine Anstalten, es ihm wieder wegzunehmen. Er war vielmehr sehr großzügig und hatte ihm den Leckerbissen kampflos überlassen. Der Fisch — auch wenn es nicht viel war — lag direkt vor seiner Schnauze. Er brauchte nur mit der Tatze danach zu greifen. Natürlich musste man zunächst erst einmal das Feuer löschen.

Die letzte Variante schien Meister Petz scheinbar nicht allzu aufwendig. Er brummte etwas in seiner Bärensprache, stieg danach in den Fluss, tauchte unter und kam dann schnell wieder aus den Fluten heraus, um sich dem Feuer erneut zu nähern. Er erhob sich auf seine Hinterpfoten und begann sich erst jetzt mit aller Kraft zu schütteln. Auf das Feuer ergoss sich eine ganze Ladung Wasser. Das Reisig knisterte und die Flammen verloren sichtbar an Kraft. Doch noch immer stiegen kleine Feuerzungen aus dem verkohlten Reisig auf.

Der Bär stieg noch einmal in den Fluss hinein und tauchte noch einmal unter. Dieses Mal schüttelte er das Wasser erst aus seinem Fell, nachdem er sich bereits auf allen Vieren über das sterbende Feuer platziert hatte. Die Flamme erlosch endgültig. Doch dem Herrn der Taiga schien auch dies zu wenig. Er stieg ein drittes Mal in die Fluten des Flusses und schüttete ein weiteres Mal Wasser auf das schon erloschene  Feuer. Erst danach machte sich Meister Petz voller Appetit und laut schmatzend, wie es Tiere so tun, über den Fisch her und fraß den gesamten auf dem Feuer zubereiteten Leckerbissen auf.

Nachdem es das Mahl beendet hatte, erhob das Tier seine Schnauze noch einmal und suchte mit den Augen im Dickicht der Blätter nach dem Menschen. Als ob er ihm sagen wollte: „Lass gut sein Soldat, so soll es sein, mögest du also am Leben bleiben, da du gewusst hast, wie man mich mit einem guten Leckerbissen glücklich machen kann“. Dann drehte er sich um und zog weiter ohne Eile durch sein Reich die Taiga.

Mein Vater hat mir erzählt, dass er noch lange auf dem Baum gesessen hat und sich nicht entschließen konnte, herunterzuklettern. Dann jedoch sammelte er schnell alles, was er hatte, zusammen und machte sich so schnell er konnte fort von diesem Ort. Am Abend des gleichen Tages aß er dann wieder aus seinem Lebensmittelpaket ein trockenes Abendbrot und dachte voller Kummer an den Fisch, den er am Morgen gefangen hatte und der doch auf dem Feuer so appetitlich gerochen hatte.

— Vielleicht – so meinte mein Vater – war der Bär schon nicht mehr ganz jung und deshalb faul. Deshalb auch wollte er nicht mehr auf einen Baum steigen. Vielleicht spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass sich unsere Bebegnung am Ausgang des Sommers zugetragen hatte, in der Zeit des Jahres also, in der es für die Tiere am meisten zu Fressen gibt, in der die Wälder voll sind mit Futter und die Bären, die ja Allesfresser sind, ganz gut satt werden und sich Fettreserven anlegen, bevor sie sich dann in ihre Bärenhöhle legen für den Winterschlaf. Wer weiß, wie unser Treffen ausgegangen wäre, wenn Frühling gewesen wäre. Aber vielleicht war es auch nur der gute Mischka-Bär aus dem Märchen „Der Weise Potapytsch“.

Viele von denen, die diese Geschichte aus dem Munde meines Vaters gehört haben — mich dabei eingeschlossen — haben meinen Vater aus jugendlichen Unerfahrenheit gefragt:

— Warum hast du, Zinnat, denn nicht geschossen? Du hattest doch ein Luftgewehr!

— Ich hätte dich mal gerne in diesem Augenblick sehen wollen – antwortete mein Vater dann immer.

 

Diese Erinnerungen hat uns zur Veröffentlichung der Oberst der Reserve P.S. Mustafin übergeben.

Uebersetzt von Henrik Hansen
www.deu.world-war.ru

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