28 Februar 2016| Redaktion

«Ein kleines Detail in einem großen Prozess»

Der Dokumentarfilm «Ein kleines Detail in einem großen Prozess» ist ein Produkt von Enthusiasten: dem Koordinator und Berater des Projekts Roman Matrosow, der Regisseurin und Szenaristin Jaroslawa Kirjuchina, dem Verantwortlichen am Schneidetisch Peter Gorschkow sowie der Frau hinter der Kamera Elena Ishizkaja und der Produzentin Ekatharina Romanowskaja. Mitwirkende im Film ist Maria Korolewa, die Enkelin der Übersetzerin Tatjana Alexejewna Ruzskaja. Wie die Idee entstanden ist, einen solchen Film zu machen, wie sie entwickelt und wie am Film unmittelbar gearbeitet wurde, darüber berichten Roman Matasow und Jaroslawa Kirjuchina.

Roman Matasow

Roman Matasow: Eigentlich hat alles schon damit begonnen, dass mein Großvater eine Unmenge an Büchern besaß. Er war Philologe, er unterrichtete Russische Sprache und Literatur. Dazu noch beschäftigte er sich mit Geschichte. Unter seinen Büchern befand sich auch der 5. Band der Ende der fünfziger Jahre erschienenen siebenbändigen Ausgabe „Der Nürnberger Prozess gegen die hauptsächlichen deutschen Kriegsverbrecher“ unter der Redaktion von R. A. Rudenko, (dem Hauptankläger von Seiten der UdSSR). Als ich noch ein Kind war, habe ich einige Seiten darin gelesen. Später dann habe ich begonnen, Sprachen zu lernen, habe an der Moskauer Staatlichen Lomonosow-Universität Fremdsprachen und Landeskunde studiert und dort auch meinen Doktor gemacht. Nebenher habe ich mich für Simultanübersetzung interesseiert (habe Unterricht gegeben und es auch praktiziert), und aus meinem Interesse ist dann mit der Zeit ein Beruf geworden.

2006 hat man dem 65. Jahrestag der Beendigung des Nürnberger Prozesses gedacht. Ein wichtiges Datum. Ich hatte mich damals an den Dekan des Dolmetscherinstituts der Moskauer Staatlichen Universität, wo ich damals gearbeitet habe und auch bis heute noch tätig bin, Nikolaj Konstantinowitsch Garbowski mit dem Vorschlag gewandt, aus diesem Anlass eine informative Feierstunde für Dozenten und Studenten zu organisieren. Ich begann Material zusammenzutragen und stieß auf den Artikel „315 Tage in Nürnberg“ von Maria Korolewa. Woher ich Maria kannte, das ist überhaupt eine ganz eigene Geschichte. Es ist schon sehr komisch, wenn man quasi mit jemanden auf einer Schulbank sitzt, ohne zu wissen, dass dieser jemand genau derjenige ist, den man braucht, weil er über die notwendigen Informationen verfügt, stattdessen allerdings versucht, ihn über das Internet ausfindig zu machen bzw. über andere mit ihm in Kontakt zu treten. Dabei bedurfte es doch nur einfach eines Gespräches im Klassenraum der gemeinsamen Alma mater. Es war nämlich so, dass Maria und ich beide Doktoranten waren und dieselben Seminare und Übungen besuchten. Ich schlug ihr vor, bei unserem Projekt mitzumachen, woraufhin sie all das mitbrachte, was von ihrer Großmutter Tatjana Ruzskaja, die während des Nürnberger Prozesses als Simultandolmetscher vom Englischen ins Russische übersetzt hatte, noch in ihrem Familienarchiv verblieben war. So haben Mascha und ich gemeinsam einen Vortrag ausgearbeitet und diesen dann auf der Feierstunde auch gehalten. Danach verlas der stellvertretende Dekan der Fakultät ein Grußwort von Inna Moiseewna Kulakowskaja, die in Nürnberg aus dem Deutschen übersetzt. In diesem Schreiben rief Inna Moiseewna die Studenten von heute dazu auf, mutig das Simultandolmetschen zu trainieren, zumal in den letzten Jahrzehnten auf diesem Gebiet viel getan wurde. Sie wünschte allen Studenten Erfolg bei ihrer Tätigkeit. Ebenso waren Vertreter eines Übersetzungsbüros geladen, mit dem die Fakultät fruchtbar zusammenarbeitet. Es wurde eine vielseitige und interessante — und ich würde sogar sagen – symbolische und schöne Veranstaltung.

Zwei Jahre später publizierte ich im „Boten“ der Universität einen Aufsatz über das Simultandolmetschen beim Nürnberger Prozess. 2010 bat mich der Dekan des Dolmetscherinstituts einen weiteren Aufsatz zu einem damals anstehenden Gedenktag zu verfassen. Im Mai erschien dann eine Ausgabe unserer Zeitschrift, die wir vollständig den Dolmetschern beim Militär und unter anderem auch den Nürnbergern Simultandolmetschern gewidmet hatten. Damals kam mir dann auch die Idee, warum nicht darüber einen Dokumentarfilm zu machen. Im Herbst 2010 wandte ich mich dank der Unterstützung von Nikolaj Konstantinowitsch Garbowski daraufhin an das Institut für Fernsehen an der Moskauer Universität. Dort fanden sich Leute, die Interesse zeigten. Es waren die Studentinnen im Masterstudiengang Jaroslawa Kirjuchina, Lena Ishizkaja und Ekatharina Romanowskaja, die an der Realisierung des Filmprojektes mitgewirkt haben. Ich hatte gehofft, dass dieses gemeinsame Projekt für alle, die daran beteiligt sind, interessant ist und jedem von Nutzen sein wird, insbesondre den Mädchen bei ihrem Studium, denn letztendlich kann der Film einer Prüfungskommission als Jahres- oder Diplomarbeit vorgestellt werden. So haben wir schließlich von der ersten Kontaktaufnahme an etwas mehr als ein halbes Jahr daran gearbeitet, bis der Film praktisch fertiggestellt war.

 

Jaroslawa Kirjuchina

Jaroslawa Kirjuchina:  Ich war damals Doktorandin und habe gleichzeitig auch schon gearbeitet. Die Mädels, die die Arbeit am Film begonnen hatten, waren der Aufgabe nicht ganz gewachsen. Sie hatten keine Ideen, wie man das vorhandene Material verwenden könnte. Deshalb haben sie sich an mich gewandt, damit ich ein Szenarium und einen Text für das off schreibe. Aus diesem Grund habe ich angefangen, mich in alle mir zur Verfügung stehenden Bücher über den Nürnberger Prozess hineinzulesen, und versucht, mir bildlich genau vorzustellen, wie damals alles abgelaufen ist. Es gab nur wenig Literatur darüber. Das war ein Problem. Gleichzeitig war es neben der literarischen Bearbeitung ebenso nötig, äußerst genau mit den im Szenarium erwähnten Tatsachen umzugehen. Darüberhinaus möchte ich auf eine wichtige Besonderheit von Dokumentarfilmen dieser Art verweisen: Sie sollten nicht durch Werbepausen unterbrochen werden, damit der Zuschauer nicht abgelenkt wird und das Thema des Filmes als Ganzes aufnehmen kann.

Die Chronologie, wie sie der Film darstellt, ist nach Quellen aus dem Internet nachempfunden. Wir hatten die Idee, wenn es mit einer finanzielle Unterstützung klappt, nach Deutschland zu fahren, um dort nach Filmmaterial aus der damaligen Zeit zu suchen und das Gerichtsgebäude in Nürnberg zu filmen. Da uns die Unterstützung verwehrt wurde, baten wir Studenten in Deutschland, das Gerichtsgebäude zu fotografieren. Niemand allerdings war bereit, dies unentgeltlich zu tun. Am Schneidetisch arbeitete ein Fachmann vom „Ersten Programm“ des Russischen Fernsehens, dem wir 1000 Dollar zahlten. Zum damaligen Zeitpunkt wussten wir noch nichts von jenen Crowd-funding-Portalen, mit deren Hilfe wir die Mittel für die Erstellung dieses Filmes sicher hätten zusammenbringen können.

Im Film wurden neben der chronologischen Abfolge auch die Materialien aus dem Familienarchiv von Maria Korolewa und ein Interview mit den Übersetzern Enver Mamedow und Stir, dem Assistenten der Leiter der Sektion Übersetzung „Übersetzung“ verarbeitet. Wir wandten uns an Mamedow mit der Bitte, ihn auf Video aufzeichnen zu können, doch er lehnte mit Verweis auf sein hohes Alter ab. Dafür jedoch erlaubte er uns, Videomaterial, auf dem er zu einem früheren Zeitpunkt aufgenommen worden war, für unser Projekt zu verwenden.

Die musikalische Untermalung auszuwählen, war nicht einfach, da wir uns nicht noch mit Autorenrechten befassen wollten. So erklingt im Film ein Hammerschlag, d.h. durch diesen Hammer teilen wir die einzelnen Sinneinheiten im Film voneinander ab, und holen gleichzeitig die Aufmerksamkeit des Zuschauers zurück. Der Sprecher im off ist ein Schauspieler aus dem Mossowjet-Theater.

Der Film, den wir gemacht haben ist ein noch immer unvollendetes Projekt. Am Anfang hatten wir die Idee, einen einstündigen Film zu erstellen. Wir bekamen gute Kritiken vom Gerassimow-Institut für Kinematographie, und der Film lief auf dem Festival „Heilige Anna“. Ich integrierte ihn zum Teil auch in meine Diplomarbeit. Im Augenblick beschäftigt sich niemand mit der Geschichte des Simultandolmetschens in der Sowjetunion. Ich denke, dass die Dolmetscherstudenten bis heute die Geschichte ihres Berufes eigentlich gar nicht kennen. Deshalb ist es nötig, sie darüber zu informieren. Ich weiß auch nicht einmal, ob überhaupt etwas in dieser Art über die Simultanübersetzer im Nürnberger Prozess gedreht worden ist.

 

 Uebersetzt von Henrik Hansen
www.deu.world-war.ru

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