1 Mai 2012| Lozovskaja Anastasia

Die Zerstörung Monte Cassino als strategische Aufgabe

Im sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung hat der Heilige Benedikt auf einem Hügel etwa 100km von Rom entfernt, dort, wo früher der alte Tempel des Apolls gestanden hat, ein Kloster gegründet und es Johannes dem Täufer geweiht. Die Stadt Cassino, die am Fuße dieses Hügels liegt, ist bekannt durch eine der ersten urchristlichen Gemeinden und in vielen Lebensbeschreibungen von Heiligen und Märtyrer ist zu lesen, dass sie hier gelebt haben.

Die Regel des Benedikts, nach der sich das Klosterleben organisierte, war eine der drei hauptsächlichen Mönchsregeln für katholische Klöster. (Neben dem Benediktinerorden existierten noch die Dominikaner und Franziskaner) Die Bedeutung von Monte Cassino kann man nicht hoch genug einschätzen. In seinen Mauern lebten und arbeiteten Gelehrte und Philosophen, zum Beispiel Thomas von Aquin . Sie haben eine riesige Bibliothek und ein ebenso großes Archiv hinterlassen. An den Fresken haben die bekanntesten Maler gearbeitet, italienische und flämische, unter ihnen Breughel. Es war ein bedeutendes Zentrum der Wissenschaft und der Kultur, das in seiner Geschichte vielen Angriffen standgehalten hat: so zum Beispiel im Jahre 718 von den Langobarden, 883 den Arabern und 1799 der Belagerung durch Napoleon. Außer den Kriegen hat aber auch das große Erdbeben von 1349 seine Spuren hinterlassen. All dies war Teil einer gemeinsamen Geschichte: der Heilige Benedikt und Thomas von Aquin, die Kriege und das Erdbeben, die Bibliothek und die Fresken von Breughel. Es war das Zentrum des Benediktinerordens, von dem man allen Touristen, die in diese Region kommen, wunderbar hätte erzählen können, wenn es dabei nicht ein „aber“ geben würde.

Ja, auch jetzt können Sie von Rom aus 100km auf der Via Latina entlang bis zu dem Städtchen Cassino fahren und dort hinaufschauen zu den Mauern des Klosters. Sie können es auch betreten, doch die originalen Fresken werden Sie schon nicht mehr zu Gesicht bekommen, weil alles um Sie herum einen 1964 originalgetreu nachgestalteten Neubau der gesamten Klosteranlage darstellt, die während des Zweiten Weltkrieges zerstört worden ist.

Was die Langobarden, die Araber, das Erdbeben und vieles mehr nicht geschafft hatten, gelang am 15. Februar 1944 zweihundert Flugzeugen der Alliierten. Wie ist dies geschehen? Und Warum? In den Geschichtsbüchern kann man nachlesen, wie es damals dazu gekommen ist. Doch wird man je herausfinden, aus welchem Grunde es zerstört wurde?

Der Krieg auf italienischem Gebiet tobte bereits ein ganzes Jahr lang. Im Herbst 1943 waren die Armeen der Alliierten auf der Apenninenhalbinsel angelandet und im Sommer 1944 Rom bereits eingenommen. Italien war ein Lager der Faschisten und Monte Cassino rein geographisch im Zentrum des Territoriums was noch in der Hand der Truppen des Dritten Reiches war.

Nachdem am 8. September 1943 die alliierten Truppen in Kalabrien (eine Region im Süden Italiens – die Spitze des Stiefels) angelandet waren, gab Hitler den Befehl, mit allen Kräften die Stellung zu halten. Es werden drei Verteidigungslinien gebildet: die Bernhard- Linie, die Hitler-Linie und die Gustav-Linie. Monte Cassino befand sich auf die letzteren. Es war daher offensichtlich, dass der Krieg das Kloster nicht verschonen wird. Die Frage war nur, wie stark und wie gezielt der Schlag sein wird und mit welchen Kräften er unter welchen konkreten Bedingungen erfolgen wird.

Die Stadt Cassino wurde bereits zwei Tage nach der Anlandung der Alliierten in Italien erstmalig bombardiert. Am 10. September 1943 nahm das Kloster die ersten Flüchtlinge aus der Stadt auf, die durch die Bomben ihr Heim verloren hatten. Alle flüchteten ins Kloster, weil sie dachten, dass es niemand wagen wird, diesen Heiligen Ort zu bombardieren.

Doch die Meldungen sprachen von etwas anderem. Am 14. Oktober kamen zwei Offiziere aus dem Reich mit der dringenden Empfehlung, alle transportierbaren Heiligtümer von Monte Cassino für die Evakuation vorzubereiten. Bereits am 3. November brachten ganze 120 Lastkraftwagen sämtliche Bilder, ganze Archive und alte Bücher aus der Bibliothek nach Rom. All dies wurde im Vatikan, in der Burg Sankt Angelo eingelagert. Am gleichen Tag erklärte die faschistische Führung das Kloster selbst und den Umkreis im Radius von 300 m um es herum als neutrales Territorium. Der Kommandeur der Verteidigungslinien Fred von Senger, ein aus dem Süden Deutschlands stammender Katholik, der in der Nähe eines Benediktinerklosters aufgewachsen war, war höchst persönlich am Schutz jenes Kloster interessiert, das vom Heiligen Benedikt einst gegründet worden war. Sein ganzes Handeln war darauf gerichtet, dass niemand Zweifel haben sollte, an dem Plan von einem neutralen Territorium.

Doch die Lage spitzte sich zu und es wurde bald klar, dass Monte Cassino immer noch real bedroht war, zerstört zu werden. Im Januar 1944 unterzeichnen der Abt des Klosters und ein Vertreter des Dritten Reiches offiziell eine Vereinbarung, in der festgelegt wird, dass die Mauern des Klosters für keinerlei Militäroperationen genutzt werden dürfen und sich im Innern des Klosters kein einziger Deutscher aufzuhalten hat: weder ein Offizier noch ein Soldat.

Wenig später erleiden die Alliierten an der Gustav-Linie durch die Faschisten eine Niederlage und die amerikanischen Presse beginnt daraufhin eine breite Kampagne unter dem Motto: „Wir brauchen den Sieg und keinen Michelangelo an den Wänden!“ Die Massenmedien wettern gegen die Generäle, die versuchen Kulturdenkmäler zu bewahren um den Preis des Blutes amerikanischer Soldaten.

Seit Beginn des Jahres 1944 hatten die Alliierten sehr genaue Kenntnis davon, dass mitten in der Gustav-Linie ein neutrales Territorium lag, auf dem sich kein einziger Soldat oder Offizier befand. Dort gab es nur ein bedeutendes Kulturdenkmal, in dem Mönche und zivile Flüchtlinge lebten, deren Häuser zerstört worden waren. Es war weder ein befestigter Stützpunkt noch ein Waffenlager. Es war im Ganzen ein ziviles Objekt, mitten in einem Krieg.

General Wilson, der Kommandeur der neuseeländischen Einheit, hatte mehrmals an General Clark seinen Plan zur Zerstörung des Klosters geschickt, damit dieser ihn bestätigen möge. Doch Mark Clark lehnte immer ab, mit der Begründung, dass es sich bei dem Kloster um ein ziviles Objekt handele. Unter dem Druck der Massenmedien jedoch und wegen den starken Verlusten den Fronten (in diesem Moment verloren die Amerikaner im Kampf gegen die Deutschen um die Höhenzüge 80% ihrer Soldaten), befahl Clark die Zerstörung des Klosters, um damit zu beweisen, dass er nicht mit dem Blut amerikanischer Soldaten für Fresken bezahlen will. Später bezeichnet General Clark in seinem Buch „Ein ungerechtfertigtes Risiko“ diese Entscheidung als „den größten und tragischsten Fehler“.

Am 14. Februar 1944 werfen die Amerikaner vom Himmel über Monte Cassino Flugblätter ab, die sie „Valentinsgeschenke“ nennen, da sie sie am Tag des Heiligen Valentin auf das Kloster „regnen“ lassen. Auf diesen mit „Fünfte Armee“ (Das ist die 5. Armee der USA unter dem Kommando von General Mark Clark) unterschriebenen Flugblättern erklären sie, dass sie „mit Schmerz in der Seele gezwungen sind, Gewalt anzuwenden“. Im Morgengrauen des 15. Februar kamen trotzdem noch deutsche Soldaten zum Kloster, um all denen bei der Flucht zu helfen, die das Kloster verlassen wollen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich in Monte Cassino fast 1500 Menschen, Zivilbevölkerung und Mönche. Ungeachtet der bestehenden Bedrohung hatten sie begonnen, die Messe zu feiern. (Diese Zahlen führt das Buch „Monte Cassino – ein Rückblick nach 60 Jahren“, herausgegeben im Jahre 2004, an.) Zwei von ihnen, der achtzigjährige Abt Gregorio Diamate und sein Sekretär Martino Matronala haben überlebt und ihre Tagebücher veröffentlicht. Sie nennen die Zahl der Zivilbevölkerung und bei welchem Gebet die ersten Granaten auf das Kloster fielen. Um 9.28 Uhr kamen die ersten Flugzeuge der Neuseeländischen Einheit der 5. Armee. An ihrer Spitze flog der Bomber mit der Nummer 666, geflogen von Major Bradford Evans. Er warf die ersten 250kg Granaten über dem Kloster ab. Insgesamt wurde es viermal zum Beschuss angeflogen: 239 Flugzeuge, 453 Tonnen Bomben. Nach dem Ende des Angriffs um 13.33 Uhr des 15. Februar 1944 war Monte Cassino mit seiner anderthalbtausend jährigen Geschichte dem Erdboden gleichgemacht. Zu Beginn der Bombardierung befanden sich außer der Bruderschaft noch einige hundert Flüchtlinge innerhalb der Klostermauern. Die Zivilbevölkerung war zwischen Hammer und Amboss geraten, zwischen die Alliierten und die deutschen Truppen. Niemand hatte es bis zum letzten Augenblick für möglich gehalten, dass die Allliierten dieses Kulturdenkmal zerstören würden. 400 Menschen verloren ihr Leben. Die Leiber der Toten hat man auch nach dem Krieg noch aus den Trümmern geborgen. Man hat sie in einem gemeinsamen Grab beigesetzt und die Namen derer, die man erst später gefunden hat, zu den Namen auf dem Grabstein hinzugefügt.

In italienischen oder deutschen Geschichtsbüchern findet sich keine Erklärung über das „Warum?“ In Quellen der Alliierten spricht man oft von einer „strategischen Aufgabe“.

Am 15. Februar, als es in Italien bereits 22 Uhr war, in Washington jedoch erst 16 Uhr, hatte der Präsident der USA Roosevelt zu eine Pressekonferenz geladen, auf der er erklärte, dass das Bombardement von Monte Cassino aufgrund „unbestreitbarer Beweise“ angeordnet wurde, die den Amerikanern vorliegen, und die aussagen, dass sich auf dem Territorium des Klosters deutsche Truppen befanden.

Am 9. März wandte sich der Vatikan an die Allliierten mit der Bitte, ihnen doch diese „unbestreitbaren Beweise“ zukommen zu lassen. Mittland Wilson, der Oberkommandierende der alliierten Truppen im Mittelmeerraum, erklärte, dass die USA diese Information zu diesem Zeitpunkt nicht veröffentlichen könne, damit „die Deutschen keine Möglichkeit bekommen, bei ihren Ermittlungen falsche Beweise zu erstellen.“ Ein wenig später wurden ein abgehörtes Gespräch zweier deutscher Offiziere zur Verfügung gestellt: genauer gesagt, zwei kurze Sätze:

— Ist der Abt noch im Kloster?

— Ja.

Die Armee der Alliierten führt dies als Beweis an, mit dem Hinweis darauf, dass das Wort Abt als Abkürzung für Abteilung zu verstehen ist. Andere Berichte gibt es nicht. Der Rapport an den Präsidenten der USA über das Vorgehen in Monte Cassino, datiert vom 15. Februar 1944, ist bis heute mit dem Siegel „secret“ für Journalisten und Historiker verschlossen.

Die Geschichte jedoch hat gezeigt, dass die Bombardierung ein strategischer Fehler war. Die Ruinen auf der Anhöhe waren von da an ein wunderbares Versteck für Heckenschützen, denen es bis dahin, aufgrund der Vereinbarung, nicht möglich gewesen war, in das Innere des Klosters zu gelangen. Die Zerstörung von Monte Cassino bestärkte nur die Gustav-Verteidigungslinie. Man hatte den Fehler schnell eingesehen, und am 25. März fielen erneut Bomben aus der Luft auf die Ruinen.

1964 wurde das Kloster mit dem Segen des Papstes originalgetreu wiederaufgebaut. Es ist jedoch nicht mehr das Zentrum des Benediktinerordens. Die Menschen, die hier her kommen, denken eher an den Zweiten Weltkrieg.

Wenn man alte Klöster tritt, dann ist man gewöhnlich ergriffen und ruft unwillkürlich aus: „Oh großer Gott, wie konnte Menschen so eine Schönheit bauen?“ In Monte Cassino jedoch hört man die Leute flüstern: „Oh Gott, wie konnten Menschen so eine Schönheit bewusst zerstören?“

Der Krieg vernichtet nicht nur Leben, er verändert auch den Blick auf es. Das heute neu wiedererrichtete Kloster empfindet man schon nicht mehr als die Heimat des Benediktinerordens, sondern vielmehr als ein Mahnmal gegen den Krieg. Damals dachte man, wenn man es betrat, an Gott, heute an Zerstörung. Die Mauern von heute erinnern sich nicht mehr an Thomas von Aquin, sie haben nie den Gebeten der Heiligen und der ehrfürchtigen Mönche gelauscht. Das Verlorene kann man nicht wieder zurückholen. Was bleibt, ist allein die Erinnerung. Wer etwas lesen möchte über Monte Cassino, sei es in den Bereichen Kunstgeschichte oder Theologie und auch als Zentrum der Wissenschaft, der möge sich an Materialien orientieren, die vor 1944 datiert sind.

 

[1] Thomas von Aquin – Philosoph und Theologe, Schöpfer der großen Systeme, den sogenannten Summen in der Scholastik, Begründer des Thomismus, Mitglied des Dominikanerordens, 1879 zum wichtigsten katholischen Religionsphilosophen benannt, der die christliche Glaubenslehre mit der Philosophie Aristoteles vereinigt hat.


Uebersetzt von Henrik Hansen

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