6 Februar 2012| Jäger Lorenz

Die Engel staunten ob deiner Geduld

Der heilige Alexander von München: Die russische orthodoxe Kirche hat am Wochenende Alexander Schmorell heiliggesprochen. Er gehörte der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ an.

Wenn der Junge vor uns, er mag sieben oder acht Jahre alt sein, sich bekreuzigt, dann tut er es schwingend und anmutig, aber wenn er die linke Schulter berührt, dann hat seine Geste bei aller Zartheit doch eine solche Bestimmtheit, dass die Erinnerung an die Nägel völlig gegenwärtig ist. Man bekreuzigt sich gern und oft im orthodoxen Gottesdienst, und man kniet zwar nicht, berührt aber an herausgehobenen Stellen mit der rechten Hand den Boden. Und man steht über Stunden, nur die Alten und Gebrechlichen finden an den Seiten ein paar Bänke.

In der Münchner Kathedralkirche in der Nähe des Friedhofs am Perlacher Forst, wo sich das Grab Alexander Schmorells findet, feierte man am Samstagabend mit einer Vigil und am Sonntagvormittag mit einer Göttlichen Liturgie — so heißt der orthodoxe Gottesdienst — die „Verherrlichung des Neumärtyrers Alexander Schmorell“, die Heiligsprechung eines Mannes also, der zum studentischen Widerstandskreis der „Weißen Rose“ um die Geschwister Scholl gehört hatte. Er war der Sohn einer russischen Mutter mit Namen Natalie Vedenskaja, diese wiederum war die Tochter eines orthodoxen Priesters. Sie starb, als Alexander zwei Jahre alt war. Ihr und ihrem Glauben blieb er treu. Alexander Schmorell, geboren 1917 im russischen Orenburg, wurde nach einem Verfahren vor dem Volksgerichtshof am 13.Juli 1943 in Stadelheim hingerichtet.

Dreihundert küssten die Ikone

Es mag sein, dass selbst der Name „Weiße Rose“ aus einer russischen, einer orthodoxen Erinnerung herrührte. Zwar hatte Hans Scholl in seinem Verhör durch die Gestapo eine Beziehung zu den englischen Rosenkriegen zurückgewiesen und angegeben, die „Rosa Blanca“ in einer Romanze von Clemens Brentano habe ihn inspiriert, die dort als Symbol einer hellen Zukunft auftrete, die aus einer schuldverstrickten Gegenwart hinausführe. Es mag sich aber auch so verhalten, wie es der Priester in einer der wenigen deutschsprachigen Passagen der Liturgie darlegte: dass die weiße Rose aus Dostojewskis Roman „Die Brüder Karamasow“ stammt, wo sie den Sarg eines Mädchens als Auferstehungssymbol schmückt.

Alexander Schmorell, den die Ikone zeigt, war als Sanitäter im Russlandfeldzug eingesetzt, die Armbinde (Vergrößerung bei Bildklick) erinnert daran. Die weiße Rose aber verewigt den Namen der studentischen Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl.

Wie dem auch sei: Die Ikone Alexanders von München, wie der Heilige nun heißt, zeigt die weiße Rose in seiner rechten Hand. Am Samstagabend war das Bild feierlich in die Mitte der Kirche getragen und aufgestellt worden; am Sonntagmorgen war es, geschmückt von vier weißen Rosen, das Ziel vieler Gemeindemitglieder — insgesamt mögen es dreihundert gewesen sein -, welche die Ikone küssten.

Beide Ausdeutungen, jene nach Brentano und jene nach Dostojewski, können ihr Recht behalten. War doch in den Flugblättern der Widerstandsgruppe eindringlich von der Schuld die Rede, die jene auf sich laden, die gegenüber einem verbrecherischen Regime, einer „Diktatur des Bösen“ tatenlos blieben. Aber ebenso klar war die Kennzeichnung des Krieges als eines „atheistischen“ Unternehmens, war die Warnung davor, sich von den „Mächten höherer Ordnung“ loszusagen und den „Dämonen“ anheimzufallen, vor allem im vierten Flugblatt der Gruppe, das die Handschrift von Schmorell ahnen lässt. „Hat dir nicht Gott selbst die Kraft und den Mut gegeben zu kämpfen?“, hieß es dort.

In steter Wiederholung ertönt der Anruf „Gospodin“

Der „Kanon für den Neumärtyrer Alexander von München“ verwandelt die profane Geschichte des Jahres 1943 in eine Legende mit Goldgrund: „Du bekanntest den Heiland, den von der Jungfrau geborenen Gott und Herrn, gottgetreuer Alexander, im Gericht legtest du durch deine Geduld der Häscher Hochmut nieder. Die Engel staunten ob deiner Geduld, da sie schauten, wie du in Standhaftigkeit furchtlos Drohungen und boshafte Beschimpfungen ertrugst; so warfst du auch die körperlosen Feinde in die Nichtigkeit und erscheinst als siegreicher Zeuge Christi.“

Die Orthodoxie kennt die Orgel in der Kirche nicht. Es mag daher kommen, dass der Gesang auch diesmal von einer geradezu überirdischen Schönheit ist. Von den tiefsten, tosenden Bässen der Priester geht es zu den hohen, lieblichsten Frauenstimmen, wellenförmig, in steter Wiederholung ertönt der Anruf „Gospodin“ (Herr).

Und dann die Priester, in feierlich rotgoldenen Gewändern, manche auch schwarz gekleidet. Rotgolden auch die oben halbkugelförmigen Bischofsmützen, „Stephanos“ genannt. Um die zwanzig dieser Männer mögen es sein. Es gibt in der Gegenwart wohl kaum Gesichter, die so sehr an die Patriarchen und Propheten des Alten Testaments erinnern. Gewaltige Bärte sind die Regel, nur bei einem bemerkten wir einen bloßen Schnurrbart — aber ganz ohne einen Bart geht es nicht. Der orthodoxe Priester — das ist auch ein Männlichkeitsentwurf. (Und sollte eines Tages bei den Russen, Griechen oder Serben die Diskussion über ein Priestertum der Frauen aufkommen, dann wird man wohl nur verständnislos fragen: „Aber der Bart?“)

Ein sinnreiches Zusammentreffen

Zur orthodoxen Liturgie hatte der katholische Limburger Weihbischof Walther Kampe in dieser Zeitung einen denkwürdigen Satz geschrieben: „Das Bewahren der Traditionen hat den orthodoxen Kirchen und besonders der leidgeprüften russischen Kirche in den Stürmen der Geschichte geholfen, ihren Glauben und ihre Spiritualität, vor allem auch ihre herrliche Liturgie lebendig zu erhalten.“ Solche Stimmen sind auch heute bei katholischen Kirchenführern nicht selten. Dass aber ausgerechnet Kampe am Zweiten Vatikanischen Konzil teilgenommen hatte, von dem die Schleifung der Traditionen ausgegangen war, gehört zu den bitteren Ironien der Kirchengeschichte, die man sich bei der Münchner Feier wieder einmal vergegenwärtigen konnte.

Alexander Schmorell hatte im Verhör der Gestapo erklärt, dass er den Bolschewismus ablehne. Es ist ein sinnreiches Zusammentreffen, dass die beiden deutschen Heiligen der Russischen Orthodoxen Kirche als Opfer der beiden totalitären Systeme fielen: Die Großfürstin Elisabeth, gebürtig aus dem Hause Darmstadt, Schwester der letzten Zarin, hatte nach der Ermordung ihres Mannes das Martha-Marien-Kloster der Barmherzigen Schwestern in Moskau gegründet und pflegte dort Verletzte des Ersten Weltkrieges; im Juli 1918 brachte das bolschewistische Regime sie in einem Bergwerksstollen auf besonders feige Weise um, indem man Handgranaten hineinwarf.

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