Leningrader Blockade

Ein Tannenbaum zu Weihnachten – ein Zeichen von Hoffnung

Heiligabend, der Tag vor Weihnachten war in unserer Familie immer ein zweifaches Fest. An diesem Tag stellte unsere Mutter für uns Kinder immer einen Tannenbaum auf und das sogar auch im Jahr 1937, als es verboten war, einen Weihnachtsbaum zu kaufen. Um eine Tanne zu erwerben, hatte sich meine Mutter damals...

24 Dezember 2015| Maximowa T.

Der Krieg sollte nichts relativieren

Neujahrsnacht 1943. Valja ist schon Witwe und ihre Kinder sind nun Waisen. Von Sascha habe ich schon lange keinen Brief mehr bekommen. Bin ich etwa auch schon Witwe? ... Ich sitze hier allein und weine. Ich habe mir alle seine Fotografien angesehen und sie mit Tränen übergossen. In der Schule geht es auch sehr schlecht. Die Kinder mögen einander nicht...

20 Dezember 2015| Scheljachowskaja (Gruzdewa) Maria Alexandrowna

Meine weise Mutter

Um in der Blockade zu überleben, half uns auch, dass unsere Familie groß war und wir zusammenhielt. Wir hatten auch vor dem Krieg nicht viel, mussten immer an allen Enden sparen und lebten sozusagen von der Hand in den Mund. Meine Mutter bemühte sich unsäglich, dass es uns an nichts fehlte und wir von all dem nichts spürten. Sie sorgte stets dafür, dass wir immer ordentlich angezogen waren, nicht...

12 November 2015| Mazurina Xenia Maximovna

Schule des Lebens

Als der Krieg begann, war ich gerade in einem Kinderferienlager in Serverskaja. Ich war gerade einmal elf Jahre alt und hatte die dritte Klasse beendet. Der 22. Juni war für mich ein besonderer Tag, ein sehr freudiger, denn das erste Mal hatte man mir anvertraut, den Veranstaltungskalender in unserem Ferienlager zu gestalten. Jeden Tag wurde die Datumsangabe des jeweiligen Tages, also die Ziffern...

3 September 2015| Natnjenkowa Lydia Maksowna

Die Güte der Menschen hat einem geholfen zu überleben

Ich habe immer noch auf meine Mutter gewartet und habe mich deshalb lange geweigert, zu irgendwelchen Fremden zu gehen. Doch letzten Endes bin auch ich wie eine Waise einem älteren kinderlosen Ehepaar – Fjodor Pawlowitsch und Evdokija Fjodorowna Bogdanow zugeteilt worden. Sie haben mich wie ihre eigene Tochter...

20 Mai 2015| Fedotowa (Brusowa) G.P.

Eine Neujahrsgeschichte

Hinter dem Fenster, das mit Lumpen aus den Truhen der Nachbarn, die die Stadt verlassen hatten (alles Holz und somit auch die Truhen war schon längst im Kanonenofen verheizt worden), verhangen war, klirrte der Frost mit dreißig Grad unter Null. Auf dem Tisch lagen einige Stücke Brot, das sie gerade erst bekommen hatten - zur Hälfte aus einer...

26 Dezember 2014| Molotschnikowa Serafima Iljinitschna

Ein Becher warmen Wassers

Auf diese Weise gelangte eines Tages auch Boris Alexejewitsch Medwedjew – ein Bekannter meiner Schwester Tanja und meiner Mutter - zu uns nach Hause. Vor dem Krieg war er ein bekannter Filmregisseur, ein Witzbold und Lebemann, doch bei diesem Besuch sah er äußerst erbärmlich aus, wie übrigens die meisten Einwohner der belagerten Stadt. Seine einst so...

17 Dezember 2014| Prochorow Boris Borisowitsch, Doktor der Geographie, Mitglied der Akademie der Naturwissenschaften

Die Eremitage während der Blockade

Wir arbeiten von morgens bis spät in der Nacht. Die Füße glühen. Wir nehmen Bilder von den Wänden ... Da ist keine Zeit für besondere Gefühle der Ehrfurcht vor den Meisterwerken, obwohl wir die „Danae“ besonders langsam einwickeln. Wenn wir doch nur so schnell wie möglich alles wegschaffen könnten! Weiter unten packen die Bildhauer etwas in Kisten....

25 Oktober 2014| Archivmaterialien

Ein Kilo Brot

Einmal hat der Hausverwalter bei uns in der Wohnung geklopft. Meine Mutter öffnete ihm und ließ einen dunklen Menschen in Mantel und Pelzmütze ein, der sich – wer weiß warum - statt eines Schals ein Handtuch um den Hals gewickelt hatte. Der Hausverwalter fragte, wie viele wir seien und wie viele Zimmer wir hätten. Wir waren drei, hatten aber nur ein Zimmer.

13 Oktober 2014| Korotkewitsch Lina Iwanowna

Ein ungerechter Brief

Ich sollte dir einen ruhigeren Brief schreiben, doch ich kann es nicht. Kann es sein, dass man dich in diesem Amt noch nicht bestätigt hat? Gibt es noch eine Chance abzusagen? Du hast nicht zwei Doktorarbeiten geschrieben, um dich dann darum kümmern zu müssen, wo man Nägel auftreiben kann. Das kann jede x-beliebige Mitarbeiterin in der Schule besser als du. Jedoch vor den Kindern zu stehen und...

10 August 2014| Scheljachowskaja (Gruzdewa) Maria Alexandrowna

Passive Helden

Für uns war dieser unsere Nachbarin Nadjeshda Sergejewna Kuprjanowa. Sie kam zu uns ins Zimmer, weil sie gedacht hatte, dass auch wir schon gestorben seien. In unserer Wohnung, in der viele Menschen wohnten, war nämlich niemand mehr am Leben. Als sie gesehen hat, dass auch wir schon daniederlagen - völlig gleichgültig unserem Zustand gegenüber, verließ sie unser Zimmer mit den Worten, dass sie es...

5 März 2014| Granin Daniil Alexandrowitsch

Das Glück im Frieden zu leben

Die Realität sieht manchmal so aus, dass man sich kneifen will, um zu prüfen: bin ich das wirklich, schlafe ich nicht, geschieht in der Tat all dies mit mir? Aber ja, du bist es und du kannst nirgendwohin entkommen und dich wegstehlen von der Realität. Dein und nicht das Leben irgendeines anderen geht zu Ende, ist fast zu Ende mit gerade einmal sechzehn...

21 Januar 2014| Granin Daniil Alexandrowitsch

Schon zwei Jahre getrennt

Ich möchte dir von dem Verfall der Sitten und dem Verlust der Achtung vor dem Allerheiligsten während des Krieges berichten. Du hast schon von den Freuden der willensschwachen Wollüstlinge geschrieben: „der Krieg radiert alles aus“. Natürlich kann er alles ausradieren. Im selben Moment vernichtet er aber auch die Reinheit des Gefühls.

30 November 2013| Scheljachowskaja (Gruzdewa) Maria Alexandrowna

Ich möchte daran eigentlich gar nicht mehr zurückdenken

Wenn ich mich auf den Weg zur Schule machte, zog ich meinen Ski-Anzug an, darüber dann meinen Wintermantel und dann noch eine Mütze. Über all dem band meine Mutter mir noch ein großes kariertes Tuch um. Ich trug zwei Paar Handschuhe und an den Füßen Filzstiefel. Und trotzdem quollen zum Frühjahr hin meine...

16 August 2013| Schattenstein Evgenia Richardowna

Ein bedeutender Teil meines Lebens

Ein Kind war man damals bis zu einem Alter von zwölf Jahren. Das bedeutete, ich bekam also eine Lebensmittelkarte für ein Kind. Es gab kein Wasser und auch keinen Strom. Es gab nichts, womit wir Wasser in unsere Wohnung hätten tragen sollen. Im Keller gab es zunächst immer noch Wasser, denn auch dort waren Wasserhähne.

26 Juli 2013| Rakowa Galina Wladimirowna

Das Gewicht von Büchern

Viele jedoch hüteten ihre Bücher und retten sie vor dem Feuer. Die Angestellten der öffentlichen Bibliotheken, so erzählt man, haben selbst in den schlimmsten Wochen des Hungers, wo alle der Verzweiflung nahe waren, ganze private Bibliotheken von verstorbenen Sammlern, Gelehrten und Bücherliebhabern, also solche Büchersammlungen, um die sich schon...

5 Juni 2013| Granin Daniil Alexandrowitsch

Für mich war die Blockade damit zu Ende

Doch unsere Freude wurde bald getrübt, denn schon nach einigen Minuten kam unsere Tante Chasja mit Tränen in den Augen zu uns gerannt und erzählte, wie ihrem Sohn, während er im Laden in der Schlange stand, alle Lebensmittelkarten gestohlen worden waren. Das bedeutete den sicheren Tod. Doch hier erfuhr ich etwas, was mir mein ganzes Leben lang eine...

27 Mai 2013| Steinbock Ephraim Moiseewitsch

Der Krieg wurde also wahr

Am 17. Juni 1941 wurde ich 10 Jahre alt. 5 Tage später begann der Krieg. Am Morgen des 22. Juni spielte ich mit meinen Freunden im Nachbarhof, als plötzlich irgendein Junge angerannt kam und schrie: „Krieg! Es ist Krieg!“ Wir schrien ihn an: „Du hast wohl den Verstand verloren! Wie kannst du so etwas sagen?“ Doch es stellte sich dann als wahr heraus.

25 April 2013| Fradkin Alexander Efimowitsch

Wir sind dank eines Wunders immer noch am Leben

Wir zogen uns so viel wie möglich an und schleppten uns mühsam bis zur Majakowskij-Straße vor, wo unsere „Wunder“ auf uns wartete. Eine kleinwüchsige Frau öffnete uns mit einem Lächeln die Tür. Sie war sauber gekleidet und trug eine weiße Schürze. Wir trauten unseren Augen nicht und dachten, dass es nur ein...

1 April 2013| Soliterman (geb. Joff) Sophia Iljinitschna

Man musste sich entscheiden: sterben oder überleben

Die Kräfte waren langsam aufgezehrt und meine Mama entschied, dass wir uns bewegen müssen. Wir machten uns nun also auf und gingen zu Fuß bis zu den Nikolaj-Reihen. Danach kehrten wir zurück und nur danach erlaubten wir uns, Mittag zu essen. Es war schnell dunkel, es war ja Winter. Strom gab es keinen. Wir...

7 Dezember 2012| Sinotowa Evgenia Nikolajewna
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