10 Oktober 2015| Luganskaja Swetlana Alexejewna

Bischof Nikolaj und Patriarch Gavriil auf ihrem Leidensweg in Dachau

Archimandrit Jovan Radolslavlević

Archimandrit Jovan Radolslavlević, Professor für Theologie und Chronist und einer der wenigen heute noch unter uns weilenden Schüler des heilig gesprochenen Bischofs Nikolaj (Velimirović), bezeichnet diesen völlig zu Recht als «lebendige Geschichte des Mönchtums». Er geriet kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in das Kloster Žiča und hat mit ansehen müssen, wie dieser großartige und geheiligte Ort durch deutsche Bomben dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Vater Jovan ist mittlerweile schon über 75 Jahre lang Mönch und mit der Familie des heute heilig Gesprochenen freundschaftlich eng verbunden. Er hat lange auf dem Berg Athos gelebt – dann auch auf dem Sinai und in Jerusalem — und in theologischen Kursen innerhalb von Klöstern sowie in Prizren, Ostrog, Krk Unterricht gegeben. Er ist Autor von über zwanzig Büchern, die einen ganz eigenen Einblick in die jüngste Geschichte der Serbischen Orthodoxen Kirche geben. Er hat die deutschen und die bulgarischen, die ungarischen und die italienischen und auch die albanischen Besatzer erlebt und dann später auch unter dem kommunistischen Regime leben müssen.

Heute lässt sich wohl kein ein Mönch oder ein Priester mehr finden, der nicht wenigstens eine winzige Erinnerung an eine Begegnung mit diesem weisen Mann in seinem Herzen bewahrt hat. Sowohl wegen seines Alters aber auch noch viel mehr wegen seiner gütigen Herzlichkeit und Offenheit nennt man ihn im Volk nicht „Vater Jovan“, sondern voller Wärme und Zärtlichkeit „Großväterchen Jovan“. Unserem Gespräch hat er die folgende Devise gegeben: „Wer Kritik üben möchte, der möge es tun. In der heutigen Zeit ist das so üblich. Ich erinnere mich dagegen an viel Gutes und davon möchte ich erzählen“.

 

Bischof Nikolaj (Velimirović) mit dem Volk

Der Bischof (Nikolaj) hatte folgenden Tagesablauf: Morgens zelebrierte er den Gottesdienst, danach ging jeder seinem Dienst nach. Es gab dort auch einen Landsmann von ihm. Er war Koch und Leibwächter in einem. Was sollte man auch machen. Man brauchte damals seinen persönlichen Schutz. Die Zeiten damals waren wegen des Konkordats nicht einfach. Der Vatikan wollte mit dem Staat einen Bund schließen. Das war jedoch für die Kirche gefährlich. Der Bischof Nikolaj stellte sich unerbittliche dagegen. Er wiederholte immer wieder, dass man eine Einmischung von Seiten des Vatikans nicht dulden dürfe, dass dieser eine aggressive Religion vertrete, die er uns aufdrängen wolle. Deshalb hatten der Patriarch Gavriil und die meisten der Bischöfe damals ein Bittgebet für Belgrad organisiert.

 

— Das bekannte blutige Bittgebet [1]?

Ja, es endete blutig, da es von den Gendarmen um Miladin Stojanovič, dem Regierungschef, auseinandergeschlagen worden ist. Man hat auf Bischöfe und Priester und auch auf das Volk eingeprügelt, den Bischof Simeon von Šabac hat man mit Eiern beworfen und ihn ganz beschmiert. Einen anderen Bischof haben sie zu Boden geworfen und auf ihn eingeschlagen, dass das Blut in Strömen floss. Die Gendarmen, die Machthaber, das war alles scheußlich, müssen sie wissen.

 

— Was waren die Folgen?

Mit aller Wahrscheinlichkeit ist der Patriarch damals vergiftet worden. Man hat darüber nur wenig geschrieben und kaum einer hat darüber geredet. Doch ich habe später versucht, genau zu untersuchen, was damals passiert war. Der Diakon des Patriarchen Uglescha – er ist später nach Amerika gegangen — ist zu uns ins Kloster gekommen und hat uns von den letzten Tagen des Patriarchen Warnawa berichtet. Sie hatten damals in der Kathedrale die Liturgie gefeiert. Danach sind die zwei Protodiakone herausgekommen und haben den Patriarchen begleitet. Der ältere von beiden ist mit ihm nach oben gegangen, der jüngere dagegen in den Altarraum zurückgekehrt, um die Messgewänder zusammenzulegen. Etwa eine halbe Stunde später ist etwas sehr merkwürdiges passiert: Dem Patriarchen und dem Diakon Zvetkovitć wurde etwas Wasser und ein kleiner Happen zu Essen gebracht, um vor dem Mittagessen kurz den Hunger zu stillen und zu neuen Kräften zu kommen. Der Diakon aß seine Portion auf, worauf ihm praktisch sofort schlecht wurde. Er krümmte sich vor Schmerzen. Er lief aus dem Gemach des Patriarchen, rannte die Straße entlang bis zur Brankow-Brücke und stürzte sich von ihr in die Tiefe hinab in die Save. Wissen Sie, wo die Brankow-Brücke ist?

 

— Und was ist mit dem Patriarchen passiert?

Der Patriarch ist zurückgeblieben, hat die Schmerzen ausgehalten. Er war ein alter Mann und hatte es gelernt zu ertragen. Man brachte ich sofort in eine Villa in der Nähe des Königspalastes, dem Weißen Hof, wo man ihn zum Schein behandelte. Doch alles war schon besiegelt. Auch zwei seiner Brüder, die ihn besuchen wollten, sind zu Tode gekommen. Sie sind drei Tag nach ihrer Reise gestorben. Der Neffe des Patriarchen hat erzählt, dass er davon gewusst habe, ja, dass es die ganze Familie gewusst hat. Es war bekannt, dass der Patriarch vergiftet worden ist. Doch die Machthaber haben verboten, darüber zu schreiben. Wahrscheinlich hatte der Chef der Regierung Stojadinović damit etwas zu tun. Der Bischof Nikolaj und die Priester forderten die Regierung auf zurückzutreten. Sie haben protestiert, doch es hat alles nichts genützt. Die Kirche hat damals einige Minister offiziell exkommuniziert. Dafür setzten sich am entschiedensten die Bischöfe Nikolaj und Gavriil, der zukünftige Patriarch, ein. Bischof Nikolaj war verärgert. Aber auch auf Gavriil war er wütend, dass er dies auf gewisse Weise mit zugelassen hatte. Zwei Jahre lagen sie im Streit.

Patriarch Gavriil mit Vertretern des Staates

— Patriarch Gavriil wurde vorgeworfen, dass er mit den Kommunisten zusammengearbeitet hat.

Nein, das hat er nicht, er hat mit ihnen nicht zusammengearbeitet. Er war ein prinzipientreuer Mensch, ein Montenegriner. Das Konkordat [2] kam 1937. Sie haben sich erst 1940 wieder versöhnt, als sie beide im Kloster Ljubostinja zusammen waren. Es war bereits klar, dass in Europa alles auf einen Krieg hinsteuert und Gott sei Dank, dass sie sich versöhnt haben, denn in der Folge haben sie das gleiche Los ertragen müssen. Das Schicksal hat sie beide in einem faschistischen Konzentrationslager wieder zusammengeführt. Beide wurden inhaftiert. Doch beide haben es durchgestanden und waren in ihrer Haltung unerbittlich. Wie es in Dachau gewesen ist, was man dort mit ihnen angestellt hat, habe ich lange untersucht. Ich werde es gleich erzählen.

 

— Gibt es irgendwelche neuen Fakten?

Als der Bischof und der Patriarch gemeinsam in Haft genommen wurden, haben die Deutschen versucht, sie zu zwingen, eine Botschaft an das serbische Volk zu verfassen, in der sie es gegen die Kommunisten aufwiegeln sollten. Doch das geht so nicht, das ist keine Angelegenheit für die Kirche. Das ist Politik. In Serbien war die Politik kommunistisch ausgerichtet, und die Kommintern war am Wirken. Ich habe darüber geschrieben. Es gibt hier aber noch andere Dinge anzumerken. Ein Mitglied der Kommintern, ein gewisser Mischa Brašić, Redaktor bei der bekannten Zeitschrift „Novosti“ (Neuigkeiten), war im Volk verehrt. Niemand wusste, dass er ein Kommunist war. Während seines Aufenthaltes in Russland, war er dazu aufgefordert worden, über alles zu berichten, was in Serbien vor sich geht und dort auch kommunistische Ideen zu verbreiten. Er hatte einen Radiosender. Der hieß Pawlodar und befand sich in Belgrad in der Požarevazkaja-Straße. Als in Belgrad die Hausdurchsuchungen begannen, zog dieser Brašić, damit die Deutschen den Radiosender nicht finden, zunächst nach Kragujevac, dann nach Knjaževac und von Knjaževac dann hierher nach Čačak. Doch die Deutschen gelangten auch bis nach Čačak und so musste er sich im Dorf Dučiloviči hinter Ovčar im Haus eines Priesters verstecken. Gemeinsam mit seinem Freund hatten sie entschieden, dass man sie im Haus eines Priesters wohl weniger vermuten würde. Auf diese Weise kam er auch zum Bischof Nikolaj nach Ljubostinja. Sie kannten sich noch aus der Zeit vor dem Krieg und waren sogar Freunde. Brašić war mit dem Patriarchen Warnawa und mit vielen anderen gut bekannt. Der Bischof schlug ihm vor: „Herr Mischa, du siehst, wie die Situation aussieht: es herrschen Krieg und Leid. Wenn du in Not bist, dann bleibt hier, solange der Sturm des Krieges uns noch verschont. Bleib bei uns, wir teilen alles, was wir haben“. Doch er ist nicht geblieben. Er ist hier- und dorthin gefahren und hat alles ausgekundschaftet. Der Bischof wusste nicht, womit er eigentlich beschäftigt war.

Er hat für vier Geheimdienste gearbeitet und stand sowohl im Kontakt mit der Kommintern und den Kommunisten Jugoslawiens als auch mit den Deutschen und den Tschetniks. Sehen Sie, wie tief ein Mensch sinken kann? Er gab sich dem Bischof als Tschetnik, aus, und der Bischof glaubte ihm. Danach ließ er über den Bischof bei den Deutschen Lügenmärchen verbreiten, dass dieser angeblich für die Engländer arbeite, weil er dort studiert habe.

Bischof Nikolaj (Velimirović) unter Soldaten

 — War das der Grund für die Inhaftierung des Bischofs?

Der Bischof musste gewaltige Leiden ertragen. Die Deutschen hielten ihn unter Arrest und sperrten ihn in Ljubostinja ein. Einmal postierten sie ein Wachkommando rund um das Kloster, sperrten die Zufahrtswege ab und überwachten die ganze Nacht, wer ins Kloster kommt und was der Bischof tut. Doch sie bemerkten nichts Auffälliges. Sie fragten dagegen ständig, warum das Licht im Hause mal angeht und dann wieder ausgeht und wem er wohl Signale senden und was für Informationen er da wohl übermitteln würde. Der Bischof antwortete, dass er nicht wisse, wovon die Rede ist, dass er allerdings er weiß, dass die Nonnen, da es im Kloster keinen elektrischen Strom gibt, bei ihrem Gebet und bei der Arbeit Kerzen benutzen, aber auch mit diesen sparsam umgehen und sie löschen, wenn sie ihren Dienst verrichtet haben. Die Deutschen glaubten ihm und machten sich selbst ein Bild von der Situation. Trotzdem entschieden sie, ihn für alle Fälle aus Ljubostinja nach Vojlovica bei Belgrad zu bringen, wo sie ihn wie einen Gefangenen unter strenger Aufsicht hielten.

 

Wann war das?

Das war am Vorabend des Gedenktages an den Heiligen Nikolaus im Dezember 1942. Ein Jahr später, im Jahre 1943 haben sie dann auch den Patriarchen Gavriil aus dem Kloster Rakovica dorthin gebracht. Der Bischof und der Patriarch waren dort zusammen im alten Gebäudetrakt, der noch aus der Zeit der Österreicher stammte. Im westlichen Flügel lebte der Bischof Nikolaj, im östlichen der Patriarch. In der Mitte war Vasilij, der Bischof von Žiča, Kostič und Jovo, ein Neffe von Bischof Nikolaj, der damals am Seminar von Bitola unterrichtete.

Die ganze Zeit hat man sie gefoltert und von ihnen gefordert, das besagte Manifest gegen die Kommunisten zu verfassen. Doch die Kirche mischt sich nicht in die Politik ein. Bei euch in Russland hat der Patriarch Tichon, ein wahrer Mann Gottes, eine ebenso strenge kirchliche Position eingenommen. …

Die Kommunisten haben dann später dem Bischof verboten, nach Jugoslawien zurückzukehren. Den Patriarchen Gavriil dagegen haben sie irgendwie geduldet.

Also, der Patriarch und der Bischof haben es abgelehnt, dieses Manifest zu verfassen: „Wir sind Knechte und Inhaftierte. Ein Knecht kann sich nicht mit Aufrufen an jemanden wenden. Nur ein freier Mensch kann dies, denn er hat die Wahl“. Daraufhin wurde ihnen vorgeschlagen, sie frei zu lassen: „Wir lassen euch frei. Der Patriarch kann in seine  Residenz zurückkehren, der Bischof nach Žiča“. Doch auch das haben sie abgelehnt.

Später dann hat mir der Neffe des Bischofs Jovo erzählt, dass der Patriarch den Bischof Nikolaj gefragt hat: „Was sollen wir tun? Du siehst, wie die Deutschen uns unter Druck setzen. Sie schicken uns entweder Nedića oder Letića. Was meinst du?“

Der Bischof entgegnete ihm: „Nein Gavro, die Serbische Kirche kämpft nicht gegen die Kommunisten, denn sie sind unsere Kinder und Brüder und es kann sein, dass sie nach dem Krieg zu uns zurückkehren. Die Politik ist eine schmutzige Angelegenheit, und es ist nicht unsere Sache, sich in sie einzumischen. Die Serbische Kirche kämpft nicht gegen die Kommunsten, sondern gegen die Gottlosigkeit. Die Gottlosen gibt es sowohl bei den Linken als auch unter den Rechten. Wir kämpfen gegen die Gottlosigkeit von außen, sprich gegen die deutsche, und gegen die von innen, also gegen unsere eigene“.

Da hat er ein wahres Wort gesprochen. Die Aufgabe der Kirche ist es, gegen die Gottlosigkeit zu kämpfen und sich nicht in die Politik einzumischen oder einer Partei anzuschließen. Um keinen Preis! Der Bischof war ein sehr weiser Mann. Als man dann von ihm forderte, dass er gegen die Kommunisten auftrete, hat er geantwortet: „Wissen Sie Herr General. Ihr Deutschen ihr denkt alle nur mit einem Kopf, mit dem Kopf eures Führers. Bei uns ist es anders. Wir sind ein anderes Volk. Jeder Serbe möchte mit seinem eigenen Kopf denken. So ist es bei uns Slawen nun einmal. Jeder denkt mit seinem eigenen Hirn. Jeder möchte seine eigene Meinung haben, seine eigene Sichtweise. Der eine denkt so, der andere eben anders. So wie eben ein Geweih nicht in einen Sack passt, so sind auch wir. Verstehen Sie das?“ Als die Deutschen dann verstanden, dass sie nichts erreichen und der Bischof unerschütterlich auf seine Position beharrt, haben sie entschieden, ihn nach Dachau, in das Todeslager zu deportieren. Gemeinsam mit ihm brachten sie über Bečkerek am frühen Morgen des 15. September 1944 auch den Patriarchen dorthin. Später bin ich mit einem Priester dorthin gefahren.

Das erste Mal bin ich 1998 in Deutschland gewesen. Zuerst nach München und von München aus dann nach Dachau, um mit eigenen Augen zu sehen, wo Bischof Nikolaj inhaftiert war. Mich hat interessiert, wo die Baracken waren. Da gab es sechzehn in einer Reihe und weitere sechzehn in einer anderen Reihe. Jede Baracke war 100 Meter lang und sechzig Meter breit. In jeder Baracke gab es etwa zehn innere Abteilungen, in die etwa siebzig Leute hineinpassten. Insgesamt hätten in diesen Baracken etwa fünf bis sechs Tausend Menschen Platz finden können, doch die Deutschen trieben dort bis zu dreißig Tausend Menschen zusammen. Man kann sich vorstellen, was die Menschen dort leiden mussten.

Dachau war so eine Art Schulungslager, wo das Foltern gelehrt wurde. Von dort wurden dann die „Fachleute“ in andere Lager gesandt. In Europa gab es insgesamt 179 solcher Lager.

Auch der Bischof Nikolaj war also dort, so auch der Patriarch. Es muss für sie die Hölle gewesen sein. Man hat sie grausam misshandelt. Es gab dort auch einen Landsmann vom Bischof, den serbischen Offizier Milomir Stanišić. Er hat überlebt. Später ist er nach Amerika gegangen. Er hat mit dem Bischof in Kontakt gestanden. Sie haben sich über verschiedene Dinge ausgetauscht, eigentlich über alles. Nach dem Tod des Bischofs war er es, der darüber geschrieben hat, wie es in Dachau gewesen ist.

Als man den Patriarchen und den Bischof ins Lager brachte, wurden sie getrennt von den anderen Häftlingen untergebracht, auf der anderen Seite des Stacheldrahtes, wo sich das Krematorium befand, in dem man die Menschen tötete und verbrannte. Dort war auch das Gebäude der SS-Leute. In diesem befanden sich einige Räume, die für Häftlinge vorgesehen waren. Dorthin sperrte man den Patriarchen, den Bischof und die Häftlinge aus Nordeuropa. Alle waren sie dort. Dem Bischof und dem Patriarchen war es befohlen, jeden Morgen den Kübel aus der Latrine hinauszubringen. Sie sollten ihn an einer Stange bis zur Grube tragen. Der Bischof Nikolaj war klein von Wuchs, der Patriarch dagegen hochgewachsen. Beide waren sie zwei ausgemergelte und gequälte, alte Männer. So trotteten sie also und schleppten den Kübel. Ein Faschist trieb sie mit einem Knüppel, stieß sie vorwärts, da sich beide kaum auf den Beinen halten konnten. Der Patriarch versuchte nicht hinzufallen, damit sich der Kübel mit den Fäkalien nicht auf dem Rücken des Bischofs entleert. Es war ein schwerer Kübel, beide hielten ihn noch zusätzlich mit einer Hand fest. Doch der Bischof geriet ins Stolpern. Der Kommandant trat an den Patriarchen heran und fragte diesen: „Und? Wie gefällt es ihnen hier?“ Der Patriarch konnte kein Deutsch. Dagegen verstand der Bischof Nikolaj fast alle europäischen Sprachen. Der Patriarch wandte sich deshalb an den Bischof: „Was hat er gesagt?“ Der Bischof antwortete dem Patriarchen: „Er fragt, wie es uns hier gefällt“.

Der Patriarch entgegnete: „Was fragt er uns hier? Sieht er etwa nicht, dass es, wenn auch noch nicht heute, so doch morgen schon mit ihnen zu Ende geht? Bald kommen die Russen und die Deutschen hier werden für alles, für all ihre Grausamkeiten einstehen müssen!“ Der Bischof entgegnete ihm: „Wenn ich ihm deine Worte so wiedergebe, dann werden sie uns auf der Stelle erschießen“. Zu dieser Zeit hatte ein Menschenleben weniger Wert als eine Kugel. Der Bischof antwortete deshalb  dem Deutschen: „Herr Oberst, Seine Heiligkeit der Patriarch der Serbischen Kirche, Seine Eminenz Gavriil (er nannte seinen vollen Titel, damit der Deutsche wisse, wen er da vor sich hat), schätzt ihre Arbeitsorganisation und Disziplin sehr, doch er bittet darum, uns von dieser erniedrigenden Aufgabe zu entbinden, da wir einerseits die Vorsteher der Kirche in Serbien sind und andererseits alte und kranke Männer. Lassen Sie uns doch einfach frei!“ Der Bischof konnte sich sehr gut ausdrücken, und dem Deutschen hat es gefallen. Und so wurden sie daraufhin von dieser Pflicht, die Fäkalien zu entsorgen, befreit.

 

— Und was ist mit ihnen dann weiterhin passiert? Weiß man etwas darüber?

Ja, sie waren dort noch etwa 5-6 Monate, von September bis Januar. Ende Januar hat man sie dann aus einer Reihe von Gründen nach Wien überführt [3]. Die Deutschen allerdings haben es nicht gewagt, sie dort so ausgemergelt und schmutzig, wie sie waren, zu zeigen. Deshalb haben sie sie zunächst für einige Tage in einem Hotel in der Nähe von München untergebracht, damit sie sich etwas zurechtmachen können. Erst dann hat man sie nach Wien gebracht.

Sie kamen also nach Wien. Dort befand sich Hermann Neubacher [4] einer der Generäle Hitlers, vielleicht haben sie von ihm gehört. Hitler hatte vor, das Banat und die Batschka den Ungarn zu geben. Doch Rumänien, vielmehr der rumänische König, hatte sich darüber beschwert: „Sie führen uns mit den Ungarn in einen Krieg. Im Banat befinden sich unsere Kirchen, unsere Leute und wenn Sie sie niedertreten werden und mit ihnen so verfahren wie mit den Serben, dann sind wir gezwungen zu handeln“. Hermann Neubacher war zum Bürgermeister des Banats und zum Aufseher über den Balkan, über alle Länder dort: Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Serbien und Kroatien ernannt worden.

Er wusste, dass der Bischof Nikolaj und der Patriarch Gavriil in Vojlocica gewesen waren und es schien, dass er den Serben gegenüber freundschaftlich gesinnt war. Er ist wohl, nachdem er mitangesehen hat, wie mit den Serben verfahren wurde und dass man für einen Deutschen hundert Serben erschossen hat, in innere Schwierigkeiten gekommen: „Wir sind als Besatzer gekommen. Die Menschen fühlen sich erniedrigt und kämpfen deshalb für ihre Freiheit. Wir sollten verstehen, dass es so nicht geht. Das führt zur Vernichtung ganzer Völker“. Später dann, nach dem Krieg, hat er in seinen Memoiren geschrieben, dass er nicht weniger als 15000 Serben vom Tod gerettet hat.

Als Tito dann Draža Mihailović vor Gericht gestellt hat, hat General Neubacher diesen verteidigt. Er meinte, dass man Mihailović nicht erschießen dürfe. Doch es hat nichts gebracht. Die Kommunisten hatten es sich zum Ziel gesetzt ihn zu töten! Amerika schwieg, England sagte nichts, alle schwiegen sie. Tito sah, dass er ungestraft alles tun konnte, was er will. Neubacher selbst wurde zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. Nach zehn Jahren im Gefängnis wurde er dann aber schwer krank, und man ließ ihn deshalb frei, damit er nicht in Haft sterben müsse. Später dann hat er sein Buch geschrieben, seine Erinnerungen daran, was in Jugoslawien geschehen ist. Ich habe es gerade nicht zur Hand, doch ich habe einige Informationen und ganze Abschnitte daraus verwendet.

 

— Was ist danach mit Bischof Nikolaj und mit dem Patriarchen Gavriil passiert, wie haben sich die Ereignisse weiter entwickelt?

Daraufhin hat man sie, um sie nicht wieder ins Lager zurückzuschicken, nach Ferne gebracht, in die Alpen, wo sie streng bewacht wurden. Der Krieg ging schon seinem Ende entgegen. Unsere Armee war auf den Rückzug. Doch dort gab es sowohl Tschetniks und antikommunistische Milizen als auch profaschistische Gruppierungen. Die Rote Armee war auf dem Vormarsch und vereinigte sich mit unseren Kommunisten. Die Tschetniks sollten zurückweichen und sich nach Österreich zurückziehen. So waren also auch Dimitri Ljotić [5] und der Anführer Momčilo Đujić [6] zu dieser Zeit dort. Was ist da passiert? Sie haben vereinbart, dem Patriarchen und dem Bischof nachts einen Besuch abzustatten. Dabei half ihnen Oberst Tscherny. Er hat der Wachmannschaft frei gegeben. Ljotić trat auf den Bischof Nikolaj zu und Đujić auf den Patriarchen Gavriil. Sie hatten für sie ein Fläschchen Obstbrand, Fisch und Fladenbrot mitgebracht und ihnen damit eine Freude bereiten, denn die zwei Gefangenen waren ja ausgehungert. Đujić klopfte an die Tür, der Patriarch fragte, wer dort sei. Er öffnete und sah einen Mann mit Bart und langen Haaren: „Söhnchen, wer bist du?“

Đujić stellte sich vor, reichte ein Stück Fladenbrot, das der Patriarch an sich nahm, es bekreuzigte und zu essen begann. Der Heerführer berichtete, aus welchem Grund sie gekommen seien. Sie wollten sie nach Bystrica bringen und aus der Gefangenschaft retten.

Der Patriarch antwortete: „Das geht nicht. Wir sind auf Befehl Hitlers hierher gebracht worden. Wenn wir jetzt flüchten, dann wird man uns jagen“.

Trotzdem gelang es Đujić, wenn auch mit viel Mühe,  den Patriarchen Gavriil zu überzeugen. Am Abend machten sie sich auf den Weg nach Bystrica. Dort kamen sie am nächsten Morgen an und wurden von Soldaten und den Tschetniks empfangen. Diese traten feierlich an und baten die Geistlichen, sie zu segnen und ihre Flagge zu weihen. Der Patriarch schritt die Reihe der Soldaten ab und wiederholte immer wieder: „Ach Tschetniks, ihr seid meine Männer, Tschetniks. Möge Gott euch segnen“. Und der Bischof lief neben ihm her und weinte, als er die zerschundenen Soldaten sah. Dorthin kam dann auch General Neubacher.

Es wurde geplant, den Bischof und den Patriarchen in die Schweiz zu bringen. General Neubacher entschied, mit ihnen zu fahren und sich dort den Amerikanern zu ergeben. Er wollte dort mit ihnen vereinbaren, dass sie aufhören, Wien zu bombardieren. Um die Stadt zu retten, wollte er sich selbst opfern. Doch es wurde ihnen nicht gewährt, die Schweizer Grenze zu überqueren. Sie mussten also zurückkehren und blieben auf der Burg in Kietzbühel. Schon sehr bald rückte die 36. Division der Amerikaner dorthin vor. Unter ihnen befanden sich auch serbische Offiziere. Sie besuchten den Patriarchen und den Bischof und sahen natürlich, wie diese litten und hungerten. Sie brachten ihnen das Nötigste. Die Amerikaner selbst waren mit sich selbst beschäftigt. Sie hatten keinen Sinn für irgendwelche Bischöfe. Letztendlich geriet der Bischof nach Salzburg und danach nach Brüssel. Den Patriarchen verschlug es zunächst nach London und dann über Italien in die Tschechoslowakei, nach Karlovy Vary, wohin ihn der Vorsitzende der dortigen Regierung eingeladen hatte. In diesem Kurort ist er wieder zu Kräften gekommen und daraufhin nach Belgrad zurückgekehrt. Dem Bischof Nikolaj hat man die Einreise in das Land verboten. Tito hat ihn zum Verräter des neuen Jugoslawiens erklärt und ihm harte Strafen angedroht. Er ging deshalb nach Amerika und blieb dort. Er schrieb und arbeitete, unterrichtete am Seminar im Kloster des Heiligen Sawwa. Später brachte ihn Majewski ins russische Kloster. Wladimir Majewski war ein Freund des Bischofs. Er unterrichtete ebenfalls. Sie waren zusammen im Kloster zu Ehren des Heiligen Tichon in Pennsylvania. Er hatte 26 Jahre in Serbien verbracht, hat über den Bischof geschrieben und auch über sein Lebensende. Ich habe vieles aus seinen Erinnerungen übernommen: „Meine Begegnungen und mein Leben mit Bischof Nikolaj“. Zuerst wollte ich nur auf ihn verweisen und mit eigenen Worten nacherzählen, doch dann habe ich mich entschieden, dass es besser ist, wenn ich ihn selbst, persönlich, über den Bischof zu Wort kommen lasse, als dass ich ihn direkt zitiere. … Sie können mir glauben, das die Russen sich uns gegenüber menschlicher verhalten haben als wir selbst uns zu unseren eigenen Leuten. So ist es manchmal im Leben: Es gibt nichts schlimmeres, als wenn Brüder miteinander verfeindet sind. Sie kennen kein Maß, können nicht aufhören. Der Nachbar schaut nüchterner und gelassener auf die Sache. So ist es leider!

Professor Majewski lud den Bischof also in das russische Kloster ein: „Kommen Sie zu uns. Wir wissen, wer Bischof Nikolaj ist!“ Der Bischof konnte gut russisch und hat dort dann die Heilige Schrift und Homiletik unterrichtet. Majewski hat geschrieben: „Seine Methode zu predigen war für uns sehr wertvoll“.

 

— Väterchen, was ist ihnen noch aus jenen Tagen in Erinnerung geblieben, die Sie gemeinsam mit dem Bischof verbracht haben?

Ich kann mich sehr gut an das allererste Treffen erinnern, als ich gerade zu ihm gekommen war. Wissen Sie, ich hatte vorher noch nie solche Leute gesehen. Lange und ein wenig ergraute Haare, ein Bart und ein strenger, eindringlicher Blick aus großen Augen. Ich hatte den Eindruck, dass er gerade vom Himmel herabgestiegen war. Ich erinnere mich noch, wie er mich umarmt hat und mich gefragt hat, wer ich sei. Und wie er mich unterstützt hat! Er hatte ein großes und gütiges Herz. Manchmal konnte er aber auch streng sein und ärgerlich. Manchmal hat er uns auf diese Weise getestet, uns auf die Probe gestellt. Einige Male war es so, dass ich, als wir mit ihm ins Gespräch gekommen sind, das Gefühl hatte, dass er mich auf die Probe stellt. Viele haben ihn deshalb verurteilt, er wäre ein solcher und ein solcher. Vielleicht war er auch anders, als er noch jung war und in England studiert hat. Dort hatten wir Serben damals breite Unterstützung, eine Lobby aus hervorragenden und gebildeten Menschen, die im Ersten Weltkrieg mit den Engländern über Hilfeleistungen an Serbien Gespräche führten. Der Bischof war damals dort eine Schlüsselfigur, war auch in Amerika und sammelte Freiwillige, Geld für die Verpflegung und Kleidung. Uns fehlte es damals ja an allem. Das gesamte Land war bitterarm. Die Regierung, Nikola Pašić, hatte es dahin gebracht. …

 

— Waren Sie während des Krieges in Žiša? Haben sie mit eigenen Augen mit angesehen, wie das Kloster bombardiert und dem Erdboden gleich gemacht wurde?

Als der Krieg ausbrach, sind wir in Žiča geblieben, der Bischof war allerdings bereits in Ljubostinja. Ich bin damals erneut an Malaria erkrankt, doch eine Explosion hat mich gesund gemacht. Eine Bombe schlug etwa zwanzig Meter von mit entfernt ein. Es gab eine so heftige Detonation, dass  ich zu Boden fiel. Alles in mir zitterte vor Angst. Aber von diesem Augenblick an hatte ich keine Malariaschübe mehr. Die Jungs um mich herum sagten zu mir: „Milisav, steh auf, sieh dir unsere Soldaten an. Sie tragen Bärte wie Mönche. Steh auf und schau dir das an!“ Ich stand also auf, und in der Tat sahen unsere Tschetniks aus wie Mönche. An diesem Tag haben sie sich mit den Partisanen zusammengetan, um Kraljevo zu verteidigen und die Stadt zu befreien. Als das Gefecht begann, flohen wir. Ich hatte noch nicht einmal Zeit gehabt, mir andere Schuhe anzuziehen. In Sandalen bin ich los. Zuerst in den Wald und dann sind wir zum Bach hinuntergestiegen, wo die ersten Häuser standen. Uns kannten ja alle Leute dort. Ich habe da übernachtet und mich am nächsten Tag aufgemacht, um nachzusehen, was nach dem Kämpfen noch übrig war. Die Deutschen hatten die Tschetniks fast bis an das Kloster getrieben. Wir hatten für die Unseren Milch im Kessel gelassen. Der Kessel war durchschossen und die Milch ausgelaufen. Die ganze Nacht waren Bomben gefallen. Ich habe gesehen, wie stark Žiča von den Bomben zerstört worden ist: die Kirche, der Wohntrakt, das Haus des Bischofs. Das Herz wollte mir vor Trauer zerspringen.

Doch danach, nach dieser Explosion, habe ich nie mehr an Malaria gelitten. Anderenfalls wäre ich wohl nachts dort in dem eiskalten Bach geblieben und wäre in den Bergen gestorben. Niemand hätte mit helfen können. Ich war ja damals gerade einmal dreizehn Jahre alt. Alles Furchtbare hat auch sein Gutes.

 

— Wo haben Sie und die anderen Mönche sich nach der Zerstörung von Žiča aufgehalten?

In den Bergen. Dort gab es einige Häuser, die die ehemaligen Bewohner leer zurückgelassen hatten. Auf dem einen von diesen zimmerten wir provisorisch aus Reisig und Heu eine neues Dach zusammen, wärmten uns am Feuer, denn es war ja kalt. Es war Oktober und wir blieben dort einen Monat. Bis Ende November.

Als die Deutschen auf den Rückzug waren, haben sie Žiča angezündet und sich nach Banja Mataruška zurückgezogen. Unser Abt hat uns gesagt: „Milisav und Stanislaw, lauft und lasst das Vieh aus dem Verschlag frei, dass es nicht in den Flammen umkommt“. Wir hatten zehn gute und große Kühe, vier Bullen, fünf Pferde, Schweine und Schafe. Wir sind also im Laufschritt bis zur Kirche und weiter bis zum Friedhof. Dort trafen wir auf Mutter Theodora, eine achtzigjährige alte Nonne, die einen Eimer schleppte. Sie hatte Wasser geholt und wollte es auf den Berg hinauftragen. Wir liefen zuerst zu ihr. „Mütterchen Theodora, was ist los? Sie meinte zu uns: „Seht nur! Wisst ihr was passiert ist? Sie haben unser Kloster angezündet!“ Wir ergriffen den Eimer. „Bleib hier sitzen Mütterchen und rück dich nicht vom Fleck“. Wohin sollte sie, die Achtzigjährige, auch gehen? Und so machten wir uns weiter auf im Laufschnitt. Überall schon wüteten Flammen. Wir liefen in das Kloster hinein: rundherum stand alles in Flammen, die Kirche war zerstört, auch die große Kathedrale, das Wohnhaus fiel zusammen, das Feuer loderte aus den Fenstern und Türen. Alles krachte und knarrte wie eine Lokomotive. Ich wundere mich bis auf den heutigen Tag, wie wir damals dort durch das Kloster laufen konnten, ohne selbst Feuer zu fangen. Wir rannten durch den Garten bis hin zum Verschlag und ließen das Vieh frei. Die Pferde und Bullen, die Kühe, Schweine und Schafe und jagten sie auseinander. Der Abt hatte uns aufgetragen, die Schafe zu uns zu treiben, doch die wollten nicht laufen, sie wollten lieber weiden. Rundherum wurde geschossen. Wir wussten nicht, wo wir waren und wohin wir laufen sollten. Es war Krieg. Wir trieben die Schafe bis an den Berghang und stiegen langsam immer weiter nach oben. Rund herum flohen die Menschen. Jeder trug, was er tragen konnte. Alle rannten. Ich sah einen Partisan, er war kein Tschetnik, denn er hatte einen Stern an der Schiffchenmütze. Er fuhr uns an: „Ihr seid es, die an allem Schuld sind, euch müsste man alle totschlagen“. Ich fragte einen Mönchen: „Vater Tichon, woran sollen wir Schuld sein? Das alles haben wir doch nicht getan!“ Doch er gab mir mit einer Geste zu verstehen, dass ich schweigen soll. Wir waren lange unterwegs. Erst gegen Abend kamen wir an. In Stolova hat man für uns ein Feuer gemacht, damit wir uns aufwärmen und beruhigen können. …

Als dann der erste Schnee fiel, mussten wir die Schafe schlachten, um in den Bergen zu überleben. Wir waren nur leicht gekleidet und hatten nichts zu essen. Manchmal stiegen wir hinab in die Scheune, wo unser Weizen lagerte. Das Korn war nur in den oberen Schichten verbrannt. Im Inneren war es noch unversehrt. Wir brachten es in die Mühle, wo wir es mahlen ließen. Das Mehl war ganz schwarz. Doch das machte nichts. Die Hauptsache, wir hatten etwas zu essen. Danach gebot uns der Bischof Nikolaj nach Studenica zu gehen. Also haben wir uns dorthin aufgemacht. Wir waren insgesamt vierzehn Mann. Der Bischof hat mir dann später Geld gesandt, 200 Dinar, damit ich mir ein Paar Schuhe kaufen könne. Er hatte erfahren, dass ich barfuß war. Doch es gab nirgends Schuhe zu kaufen, für kein Geld der Welt. Es war Krieg. Einer unserer älteren Mönche fertigte mir Schuhe aus alten Stiefeln. Oben waren sie aus Leder, die Sohle jedoch war aus Holz. Das Leder hatte er mit Nägeln an das Holz genagelt. So bekam ich ein Paar Schuhe. Das alles war 1941-42.

1943 kamen die Bulgaren und es begann der Krieg gegen die Bulgaren. Die Deutschen hatten ihnen die ganze zentrale Region Serbiens von Užice bis an die Drina abgetreten. Das alles gehörte nun ihnen. Auch in Studenica waren die Bulgaren und auch in Rača. In Rača haben sie sämtliche Klostergebäude niedergebrannt. Als es in Stundenica zu Auseinandersetzungen kam, wollten sie uns alle totschlagen und auch unser Kloster zerstören. Sie können mir Glauben, dass Gott allein es war, der uns gerettet hat.

Damals waren einige bulgarische Soldaten verschwunden. Wenn unser Abt nicht so mutig gewesen wäre, dann wäre es damals unser Ende gewesen. Er hat gesagt: „Ich werde eure Soldaten suchen gehen“. Und so machte er sich auf den Weg und ging in den Wald, wo sich die Tschetniks versteckt hielten. Diese kommandierte ein gewisser Mašan Džurović. Er hatte befohlen, diese Bulgaren zu erschießen, nachdem diese sich selbst zunächst ihr eigenes Grab gegraben hatten. Doch unser Abt konnte noch rechtzeitig eingreifen und ihn stoppen: „Mašan, was tust du, denke an das Kloster! Weißt du wie viele bulgarische Soldaten unten stehen: Sie werden kommen und das Kloster zerstören und so auch uns und das gesamte Volk im Umkreis. Lass die Soldaten frei, durch sie werden auch wir alle umkommen“. Die Tschetniks hörten auf den Abt und ließen die Bulgaren frei, damit es nicht nach dem Motto „hundert für einen“ enden möge. Alles ist möglich. Krieg ist eben Krieg. Möge Gott uns davor bewahren! Es war eine schwierige Situation damals. Der Abt hat auf diese Weise das Kloster retten können, doch die Bulgaren haben uns trotzdem damals die Hölle heiß gemacht. Es kam plötzlich irgendeine zurückgebliebene Rotte, als ein jeder von uns sich bereits in seine Zellen zurückgezogen hatte. Sie trieben uns alle auf den Hof hinaus, übergossen uns und auch die Kirche mit Benzin und schlugen danach mit eisernen Stangen auf uns ein.

Damals waren fünf russische Nonnen aus dem Kloster zur „Einführung der Gottesmutter in den Tempel“ bei uns untergetaucht. Sie hielten sich bei uns versteckt. Mutter Paula, Susanna, Evsewia und noch eine. Sie war sehr schwach und ist bei uns gestorben, und wir haben sie dann beerdigt: Mutter Paula sagt zu mir, ich war der Jüngste: „Flieh mit uns, ich verstecke dich unter meinem Nonnengewand“. Sie trugen die weiten russischen Gewänder. Die Bulgaren führten einen nach dem anderen heraus und schlugen auf uns ein, auf die Männer mit Eisenstangen. Viele Knochen haben sie den Mönchen damals zertrümmert. Aber auch die Laien hatten es nicht besser. Ich machte mich ganz klein und drückte mich an Mutter Paula. Sie deckte mich mit ihrem Nonnengewand zu. Doch einer bemerkte, dass die Beine Hosen trugen und meinte: „Los komm mal her!“ Ich wurde einige Schritte von den anderen fortgeführt und man begann auch auf mich einzuschlagen. Ich dachte nur, dass man nun Mehl aus mir machen wird und spannte alle meine Muskeln an, um die Hiebe auszuhalten. Ein Bulgare schlug hart auf mich ein. Bis heute habe ich deshalb immer noch Schmerzen, besonders die rechte Hüfte tut oft weh. Auch Vater Rafael wurde heftig geschlagen. Er hat zunächst, als er noch Kräfte hatte, laut gestöhnt, bald jedoch war er ganz still, nur noch die Schläge tönten in die Nacht hinein. Nur wie durch ein Wunder ist er am Leben geblieben. Danach haben sich die Bulgaren in ihre Lastwagen gesetzt und uns gejagt. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten uns alle überfahren. Hinter ihnen folgte eine andere Rotte. Die haben das Kloster geplündert und alles mitgenommen: Decken, Laken, Handtücher, Uhren. Was sie nicht mitnehmen konnten, haben sie kaputtgemacht. Wir hatten viel Honig und Wein im Keller. Sie haben die Hähne in den Weinfässern geöffnet, damit der Wein ausläuft. Das Kloster Studenica war damals reich.

 

— Und die Ikonen? Haben Sie die verschont?

Die Ikonen haben sie nicht mitgenommen. Sie haben nach allem gegriffen, was man essen konnte, so zum Beispiel alle Paprikaschoten. Wir hatten viele gebackene Paprikaschoten. Zwei Nonnen hatten sie als Vorräte für den Winter eingemacht. Es war schwer mit den Bulgaren. Wir wollten fortlaufen, doch der Abt hat gesagt: „Brüder, lauft nicht fort! Lasst uns hier bleiben. Wenn wir von hier weggehen, dann werden sie auch Studenica niederbrennen und uns töten“. Und so sind wir geblieben. Wir mussten das einfach durchstehen. Doch wir sind am Leben geblieben. Gott sei Dank! Man hat von mir den Schlüssel zur Kirche gefordert. Ich habe sie ihnen den jedoch gegeben. Ich schwieg nur und warte, was der Abt sagen wird. Doch der lag halbtot geschlagen und fragte mich: „Milisav, mein Söhnchen, hast du den Schlüssel zur Kirche?“ Ich antworte: Ja, ich habe ihn“. Doch nicht einmal aufstehen konnte ich, um den Schlüssel aus der Tasche zu holen. Ein Bulgare wurde wütend und stach nach mir mit seinem Bajonett. Wenn ein anderer ihn nicht zurückgehalten hätte, dann hätte er mich sicher durchstochen. Jener andere meinte zum Glück: „Sieh doch, der ist noch ein Kind. Lass ihn in Ruhe!“ Ich weinte und konnte mich nicht erheben. Der Bulgare beruhigte sich wieder etwas, doch er hat uns weiter aufs Übelste beschimpft und beleidigt. Dann haben wir es doch geschafft aufzustehen. Wir haben uns gegenseitig geholfen. Einige von uns konnten überhaupt nicht gehen.  Vater Raffael konnte nicht aufstehen. Wir mussten ihn hinter uns herziehen. Er hat kaum geatmet. Sein ganzer Leib war blau. Dreien hatten sie sämtliche Rippen gebrochen.

Dann sind die Bulgaren doch in die Kirche eingedrungen. Sie standen vor den Reliquien des Heiligen Simeon, der Myron spendet. Der Schrein war aus Marmor: „Was haltet ihr hier versteckt? Los aufmachen!“ Wir antworten: „Nichts, das ist ein Grab“. „Was für ein Grab, öffnen!“ Danach trat der Kommandeur heran und sagte: „Ihr seht doch, das ist ein „Grob“. So nennen es die Bulgaren: „Grob“. Sie betraten den Altarraum und begannen den großen Leuchter an der Decke hin- und herzuschwingen, dass er fast zu Boden gestürzt wäre. Sie bewegten sich, als ob sie keine Christen gewesen wären. Doch was soll man sagen. Es war Krieg damals.

Es war schwer. Der Krieg war eine harte Zeit für das Kloster Studenica. Wenn wir dann später hörten, dass irgendwelche Lastkraftwagen angefahren kamen, haben wir die Flucht ergriffen und uns in den umliegenden Dörfern versteckt.

Das Jahr 1944 wurde noch schwerer. Wir hätten noch mehr leiden müssen, wenn nicht die Russen gewesen wären. Ich meine eine russische Rotte, die gekommen ist, als die Bulgaren uns eingenommen hatten. Es waren Weißgardisten, Flüchtlinge aus Russland. Die Deutschen rührten sie nicht an. Sie haben uns vor den Bulgaren gerettet. Etwas später kam dann auch die Rote Armee. Ich war damals im Kloster Vujan. Das ist nicht weit von hier in Richtung Gornje-Milanovca. Dort hielt sich damals auch der (zukünftige) Patriarch Pawel auf, der damals noch ein Laie war und Gojko hieß. Er ist in Vujan geblieben, doch wir sind mit dem Abt in das Dorf Breznitsa geflüchtet. Dann sind die Rotarmisten, also die Russen gekommen.

 

— Wie haben sie sich euch gegenüber verhalten?

Sie haben eine „Katjuscha“, einen Raketenwerfer, auf dem Berg aufgestellt. Wir haben uns  gefreut: „Jetzt werden die Deutschen auseinanderlaufen“. Das war sofort klar. Und so begann die „Katjuscha“ die ganze Gegend zu „mähen“ (wie man bei uns sagt): Sie schossen auf Čačak. Innerhalb von zwei Stunden war kein Deutscher mehr in der Stadt.

Wir wussten aber auch, dass mit ihnen die Partisanen Unterstützung bekommen hatten und dass es Zeit war für die Tschetniks sich zurückzuziehen. Sie hatten keine andere Wahl. Was sollten sie auch tun. Ich sollte nach Vujan zurückkehren. Auf dem Weg dorthin traf ich auf Partisanen. Sie wollten mich in ihre Reihen aufnehmen. Bei mir war jedoch eine Frau, eine alte Nonne, bei der wir uns versteckt hatten. Sie war mit uns gekommen, um uns zu begleiten. Sie war eine weise Frau, sie wusste, was man sagen musste und hat uns so geschützt. So sind wir in das Kloster zurückgekehrt. Dort traf ich auf Vater Julian und Vater Pawel, der damals noch Gojko war.

 

— Haben viele Serben für ihre Liebe zu Russland leiden müssen? Sie haben ja nicht Stalin geliebt, sondern Russland?

Ja, es waren viele. Sowohl in Montenegro wie auch überall im ganzen Land. Die Politik ist eine teuflische Angelegenheit. Innerhalb von einer Nacht kann sich alles ändern. Den man gestern noch geliebt hat, muss man morgen schon verfluchen. Das ist nicht menschlich.

Zum Glück waren wir zusammen mit Bischof Pawel. Er war für uns damals im Kloster sehr bedeutsam. 1948 hat er dann die Mönchsgelübde abgelegt, am Tag der Apostel Petrus und Paulus. Zum Ende dieses Jahres sind wir dann in das Kloster Rača übergesiedelt. Ich wurde zur Armee einberufen. Das war 1948-49. 1950 bin ich von dort zurückgekehrt und habe mich auch zum Mönch weihen lassen. Im Jahre 1950 am Gedenktag des Heiligen Johannes des Täufers. Vater Pawel hat mir den Namen gegeben, und er war es auch, vor dem ich den Mönchseid geleistet habe.



[1] Das sogenannte „blutige Bittgebet“  – eine Prozession durch Belgrad, die der dortige Klerus aus Protest gegen das Konkordat organisiert hat. Die Prozession führte von der Kathedrale durch die gesamte Stadt. Die Regierung hatte diese Aktion nicht genehmigt. Deshalb ist die Gendarmarie von Belgrad (der Innenminister war zu der damaligen Zeit ein katholischer Priester) grausam über die Prozession hergefallen und hat Bischöfe, Priester und Laien, die an diesem Marsch teilgenommen haben, blutig niedergeschlagen. Doch wie ein Geschenk des Himmels wurde das Konkordat nicht unterschrieben.

[2] Konkordat – ein Vertrag des Königreiches Jugoslawien mit der Römisch-katholischen Kirche über ihre Zusammenarbeit. Dieser Vertrag sollte der Katholischen Kirche das Recht geben, eigene Missionstätigkeit zu betreiben, um auf dem kanonischen Gebiet der Serbischen Kirche und des serbischen Staates weiter zu expandieren.

[3] Zu Beginn des Jahres 1945 wurden der Patriarch Gavriil Dožič und der Bischof von Žiča Nikolaj Velimirović aus dem Todeslager Dachau unter besonderer Beaufsichtigung nach Wien gebracht, wo sie drei Wochen festgehalten wurden. Während dieser Wochen wurden sie unter Bewachung in die serbische orthodoxe Kirche zu Ehren des Heiligen Sawwa in Wien geführt. Die Feinde erwiesen sich als so „gönnerhaft“, dass sie den Ersthierarchen das Gebet in der Kirche nicht versagen wollten. Während die Wachtmänner, die draußen auf sie warteten, um die Kirche herum gingen, hat der Bischof Nikolaj im Altar auf den leeren Seiten des Evangeliums unter Tränen drei Gebete niedergeschrieben, die als die „Gebete im Schatten der Deutschen“ bekannt sind.

[4] Hermann Neubacher (24. Juni 1883 – 1. Juli 1960) war spezieller Berater für außenpolitische Angelegenheiten. Nach dem Krieg stand Neubacher in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien vor Gericht und wurde 1946 in Belgrad von einem Militärgericht zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. Aus Krankheitsgründen wurde er allerdings bereits 1951 entlassen. Neubacher kannte sich sehr gut im Donauraum und auf dem Balkan aus. Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland hatte er die Funktion des Bürgermeisters von Wien inne. Von August 1943 an wurde Neubacher auf persönlichen Befehl Hitlers hin Sonderbeauftragter des Außenministeriums in Belgrad unter der Regierung von Milan Nedić. Ihm war aufgetragen worden, die außenpolitischen Fragen im Zusammenhang mit Serbien, Montenegro, Griechenland und Albanien zu lösen. Letzteres sollte nach dem Zusammenbruch Italiens, unter der Führung Deutschlands in einen unabhängigen Staat verwandelt werden. Im Dezember 1944 kehrte Neubacher aus Belgrad nach Wien zurück, wo er versuchte, die Bemühungen der antikommunistischen Kräfte in Serbien und Slowenien zu koordinieren.

[5] Dimitrij Ljotić, serbischer Politiker, Sohn eines Diplomaten, hat an der juristischen Fakultät der Universität Belgrad studiert (1913)

[6] Momčilo Đujić (1907-1999) – Kommandeur der serbischen Tschetniks während des zweiten Weltkrieges, Fürst und Priester.

 

Uebersetzt von Henrik Hansen
www.deu.world-war.ru

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